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Vertragspartner KVG, wen kann die Krankenkasse betreiben bei Ausstände

Veröffentlicht:
14.08.2018
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Sozialversicherungsrecht

Sehr geehrter Herr Mösch
Ich bin seit Jan. 2018 Beistand einer Frau. Diese hat zwei Kinder, die älteste Tochter wurde in Dez. 2016 volljährig. Mutter und Tochter werden von der Sozialhilfe unterstützt, seit Jan. 2017 wird für die Tochter eine eigene UE geführt.
Die KK-Prämien wurden bis und mit Dez. 2017 direkt von der Sozialbehörde der zuständigen Gemeinde bezahlt, seit Januar 2018 werden die Prämien der Mutter (und deren minderjährigen Sohn) von uns begleichen, wir stellen diese der Gemeinde in Rechnung. Die Prämien für die volljährige Tochter werden separat von der Gemeinde direkt bezahlt.
In Juni 2018 wurde meine Klientin für Ausstände (KVG-Prämien 11 und 12.2017) der Tochter betrieben (dass diese bezahlt werden müssen ist unbestritten, die Gemeinde möchte allerdings die Betreibungskosten nicht übernehmen). Die Tochter war damals schon volljährig und deswegen ( m.E.) selber zu betreiben. Deswegen habe ich Rechtsvorschlag erhoben und dies der Kasse gegenüber entsprechend begründet. Die Kasse hat den RV noch nicht beseitigt (was sie für das KVG mittels Verfügung einfach tun kann).
Allerdings war die Mutter (=meine Klientin) in 2017 noch als Prämienzahlerin aufgeführt.
Meine Frage:
Gehe ich recht in der Annahme, dass die Tochter meiner Klientin Schuldnerin der Prämien ist und sie entsprechend zu betreiben ist
Oder gilt analog Vertragsrecht, dass diejenige die der Vertrag abgeschlossen hat mit der Kasse (=meine Klientin) Schuldnerin ist, bis sie etwas anderes der Kasse mitteilt?
Danke und freundliche Grüsse
Hans van der Weij
SDBU
Industriestrasse 27
8604 Volketswil

Frage beantwortet am

Peter Mösch Payot

Expert*in Sozialversicherungsrecht

Sehr geehrter Herr van der Weij
In der Krankenversicherung gilt das Prinzip der Individualversicherung. Rechtlich werden also stets einzelne Versicherungsverhältnisse mit den jeweiligen Familienmitgliedern, auch den minderjährigen, von den Eltern vertretenen, Kindern abgeschlossen. (Bundesgerichtsurteil K 137/02 vom 4. Juli 2003, E 4.1). Sind die Kinder minderjährig, so wird die Versicherung von den Eltern für das Kind und auf dessen Rechnung abgeschlossen (Art. 3 Abs. 1 KVG, Bundesgerichtsurteil 9C660/2007 E. 3.2). Die Krankenversicherungen können deswegen versicherte Personen gemäss verschiedener Gerichtsentscheide für ausstehende Prämien aus der Zeit vor dem vollendeten 18. Altersjahr belangen, weil es sich bei Prämienforderungen dabei immer auch um eine Forderung gegen das Kind handelt (Bundesgerichtsurteil K 5/00=RKUV 2000 KV 129 232 E. 2; Bundesgerichtsurteil 9C660/2007 E. 3.2; siehe auch.
Die Rechnungsstellung an die Eltern ändert dabei noch nichts an den gesetzlichen Schuldverhältnissen. Eine automatische Schuldmitübernahme der Eltern für die Prämien volljähriger Kinder besteht nicht. (vgl. BGE 125 V 183 E.3; BGer 2P.445/1998 E.2; EVG K 137/02 E. 4.1; EVG K 4/07 E. 4.2f. (Verwaltungsgericht Bern Nr. 200 09 369 KV)
Siehe dazu Gebhard Eugster, Krankenversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Soziale Sicherheit, 3. Auflage. Basel 2016, S. 745 N 1312 ff.
Die Zahlungspflicht kann jedoch mittels einer Vereinbarung mit der Versicherung von einer Drittperson übernommen werden, zum Beispiel von einer Fürsorgebehörde oder auch von den Eltern für ihr volljähriges Kind. Es ist also wohl nicht ganz ausgeschlossen (bzw. bisher nicht von der Rechtsprechung ausgeschlossen worden), dass Verträge abgeschlossen werden, bei denen die Eltern gegenüber der Krankenversicherung explizit versprechen, die Prämien für ihr volljähriges Kind zu schulden und zu übernehmen Dabei besteht dann aber die Prämienzahlungspflicht der versicherten Person, z.B. des volljährigen Kindes, weiterhin. Sie wird bedeutsam, wenn die Übernahme der Prämienzahlung durch Dritte dahinfällt.
Für die Beantwortung Ihrer Frage sind also die genauen Sachverhaltsumstände entscheidend. Liegt ein gültiger Vertrag vor, in dem die Eltern die Prämienübernahme für ihr volljähriges Kind garantiert haben, so schulden auch sie die Prämie und können betrieben werden. Lässt sich (seitens der Krankenversicherung) der Nachweis einer solchen Schuldübernahme nicht erbringen, so trifft die Prämienpflicht einzig das volljährige Kind.
Wenn im vorliegenden Fall der Vertrag bereits vor Volljährigkeit abgeschlossen wurde so ist es ratsam zu argumentieren, dass mit der Volljährigkeit selbstverständlich nach allgemeiner Lebenserfahrung die Schuldmitübernahme der Eltern wegfällt, und nur wieder hergestellt werden könnte mit einem expliziten zusätzlichen Vertrag.
Die familienrechtlichen Verpflichtungen der Eltern, namentlich die allfällige Pflicht der Eltern zum Volljährigenunterhalt gemäss Art. 277 Abs. 2 ZGB, sind für die Frage, wer die Prämie gegenüber der Krankenversicherung schuldet, nicht relevant.
Ich hoffe, diese Angaben dienen Ihnen.
Beste Grüsse
Peter Mösch Payot