Guten Tag
Einer unserer Klienten erhielt im Frühjahr 2022 eine Erbschaft in zwei Tranchen, von total CHF 110'000.00 ohne dies dem Sozialamt mitzuteilen und bezog parallel dazu vollumfänglich Sozialhilfe. Seine Erbschaft verteilte er an seine Kollegen und ins Ausland an eine Privatperson.
Ende 2022 wurde die Sozialhilfe, mangels Mitwirkung, eingestellt. Im August 2023 erfolgte erneut Antrag auf Sozialhilfe des Klienten. Nach unserer Prüfung der Unterlagen wurde die obengenannte Erbschaft im 2022 festgestellt.
Wie verhält es sich nun mit der laufenden Sozialhilfe? Bis diesen Monat konnte er sich selber finanzieren, wovon ist noch unklar. Ab Dezember 2023 nicht mehr. Muss vollumfänglich Sozialhilfe ausbezahlt werden? Kann die laufende Sozialhilfe reduziert werden? Welche Möglichkeiten gibt es, um die Sozialhilfe 2022 zurück zu erhalten? Strafanzeige wurde eingereicht. Dieses Ergebnis steht noch aus resp. werden wir nicht zwingend vom Gericht erfahren.
Zurzeit verweigert er die Auszahlung der FZL. Wir versuchen ihn für die Vermögensverwaltung über das Sozialamt zu motivieren, damit er mit der Ergänzungsleistung nicht noch mehr in «Konflikt» gerät, da es durchaus möglich ist, dass er dieses Geld ebenfalls ins Ausland senden wird. Kann möglicherweise von der FZL die Sozialhilfe 2022 zurückverlangt werden? Besten Dank für Ihre Antworten.
Frage beantwortet am
Ruth Schnyder
Expert*in Sozialhilferecht
Guten Abend
Gerne beantworte ich Ihre Anfrage, welche ich entlang der folgenden Themen bearbeiten werde:
- Aktuelle Bedürftigkeit
- Kürzung wirtschaftlicher Hilfe
- Rückerstattung bezogener wirtschaftlicher Hilfe (WSH)
a. Rechtmässig bezogener WSH
b. Unrechtmässig bezogener WSH - Abrechnung mit FZ-Guthaben
a.Vorfrage: Verpflichtung, dieses herauszulösen
b. Abrechnung, wenn herausgelöst
- Aktuelle Bedürftigkeit
Zunächst stellt sich die Frage, ob aktuell noch Pflichten aus der Einstellungsverfügung per Ende 2022 erfüllt werden müssen, bevor der Klient in die wirtschaftliche Hilfe aufgenommen werden kann. In diesem Fall könnte er aber Anspruch auf Nothilfe haben (vgl. § 25 Abs. 3 SHG / TG in Verbindung mit § 2h Abs. 3 SHV / TG). Dabei ist nach Finalprinzip zu hinterfragen, ob die damaligen Pflichten noch heute überhaupt eingefordert dürfen, zumal die Verfügung praktisch ein Jahr zurückliegt. Als Nächstes stellt sich die Frage, ob der Klient bedürftig ist im Sinne von § 8 SHG / TG. Dabei ist er verpflichtet, bei der Abklärung mitzuwirken. Ihn trifft eine besondere Mitwirkungspflicht aufgrund der verschwiegenen Erbschaft während des letzten Bezugs wirtschaftlicher Hilfe und des Umstandes, dass nicht offensichtlich ist, wovon er bis Dezember 2023 gelebt hat. Ein lückenloser Beweis, dass er nichts mehr hat, ist in der Realität nicht erbringbar. Vielmehr müssen die beigebrachten Angaben und Belege nach dem Grundsatz der überwiegenden Wahrscheinlichkeit ein verdichtetes Bild abgeben, wonach der eine oder andere Schluss (bedürftig bzw. nicht bedürftig) als richtig erscheint. Insoweit muss der Sozialdienst den Klienten instruieren, welche Angaben und Belege er von ihm benötigt.
Generell ist es nicht zulässig, dem Klienten die wirtschaftliche Hilfe zu verweigern lediglich aufgrund der Tatsache, dass er gegenüber der Sozialhilfe eine Meldepflichtverletzung mit der Folge des unrechtmässigen Bezugs begangen hat. Das wäre nur denkbar, wenn ihm ein rechtsmissbräuchliches Verhalten vorgeworfen werden könnte. Dies bedingt aber, dass erwiesen sein muss, dass er ausschliesslich mit dem Ziel, die Sozialhilfe zu schädigen, gehandelt hat (vgl. BGE 134 I 65 E. 5.2, deutsche Übersetzung in Pra 2008 Nr. 86 [siehe Beilage]). In der Regel, kann eine solche Absicht in der nötigen Absolutheit nicht nachgewiesen werden.
Auf der anderen Seite sieht § 2h SHV / TG eine Einstellung bei absichtlich herbeigeführter Notlage vor. Damit eine Einstellung (mit Folge nur noch Nothilfe) erfolgen kann, muss vorgängig verwarnt worden sein. Gerade diese Vorgabe (vgl. dazu § 37a SHV / TG) kann im vorliegenden Fall nicht mehr umgesetzt werden. Mir scheint, dass diese Bestimmung im vorliegenden Fall nicht weiterführt.
2. Kürzung wirtschaftlicher Hilfe
Würde die Bedürftigkeit als überwiegend wahrscheinlich angenommen werden, käme der Klient (wieder) in Unterstützung. Der unrechtmässige Bezug (siehe dazu unter 3b) beim letzten Bezug wirtschaftlicher Hilfe stellt eine Mitwirkungsverletzung dar. Insoweit stellt sich die Frage der Kürzung nach § 26 SHV / TG in Verbindung mit § 2h Abs. 2 SHV / TG. Dabei stellt sich die Frage, ob aufgrund der zwischenzeitlichen Ablösung die Kürzung noch zulässig ist, weil Sie erst jetzt Kenntnis erhalten haben. Mir ist zu dieser Frage keine Rechtsprechung bekannt, weshalb sie sich nicht abschliessend beantworten lässt. Ich denke, eine einzelfallbezogene Betrachtung könnte zum Ziel führen. Im vorliegenden Fall hat die Sozialhilfe die wirtschaftliche Hilfe wegen Mitwirkungsverletzungen des Klienten per Ende Dezember 2022 eingestellt. Ausserdem liegt der unrechtmässige Bezug in zeitlicher Hinsicht nicht weit zurück und schliesslich ist die Dauer der Ablösung nicht sehr lange gewesen. Diese Aspekte könnte eine aktuelle Kürzung als zulässig erscheinen lassen trotz zwischenzeitlicher Ablösung.
3. Rückerstattung bezogener wirtschaftlicher Hilfe (WSH)
a. Rechtmässig bezogene WSH
Rechtmässig bezogene Sozialhilfe nach dem vollendeten 18. Altersjahr sind zurückzuerstatten, soweit dies zumutbar ist. Den betreffenden Richtlinien «Rückerstattung von Sozialhilfeleistungen» vom 1.12.19 wird die Zumutbarkeit in Bezug auf veränderte Einkommensverhältnisse dargestellt. Vorliegend handelt es sich aber um einen Vermögensanfall. Bei günstigen Verhältnissen im Sinne eines Vermögensanfalles sehen die SKOS-RL in E.2.1 die Rückerstattung rechtmässig bezogener Unterstützungsleistungen über die genannten Freibeträge vor. Soweit der Kanton Thurgau diese Rückerstattungsbestimmung via Verweis gemäss § 2b SHV / TG – welcher zwar die Rückerstattung nicht umfasst – zur Anwendung gelangen lässt, wäre im konkreten Fall gestützt darauf eine Rückerstattungsverfügung ab Vermögensanfall zu erlassen. Denn der Klient war, bevor er das Geld verteilt hatte, aus meiner Sicht vermögend.
b. Unrechtmässig bezogene (WSH)
Nach § 19 SHG / TG sind zu Unrecht bezogene Leistungen samt Zinsen zurückzuerstatten. Mit dem Vermögensfreibetrag hätte die Gemeinde den Klienten abgelöst. Da er die Meldung pflichtwidrig unterliess, hat er ab Frühjahr 2022 bis Ende 2022 bis maximal den Vermögensfreibetrag unrechtmässig wirtschaftliche Hilfe bezogen.
Beide Rückerstattungen sind verfahrensrechtlich mit Verfügung geltend zu machen. Von einer Vereinbarung rate ich Ihnen generell ab.
4. Abrechnung mit FZ-Guthaben
a. Vorfrage: Verpflichtung, dieses herauszulösen
In dieser Hinsicht verweise ich auf die Leitsätze zur Rechtsprechung in der Sozialhilfe 2023 S. 31 / § 8 SHG (oben) und die darin erwähnten Urteile.
b. Abrechnung, wenn herausgelöst
In Bezug auf die Abrechnung mit herausgelöstem Freizügigkeitsguthaben verweise ich auf das Merkblatt der SKOS zum Umgang mit Freizügigkeitsguthaben in der Sozialhilfe. Die SKOS empfehlen im Fall der günstigen Verhältnisse keine Rückerstattung, das Bundesgericht sah diese als zulässig an im Fall eines Bezugs vor Eintritt des Vorsorgefalles, dies aber unter Berücksichtigung der beschränkten Pfändbarkeit nach Art. 93 SchKG. Im vorliegenden Fall handelt es sich aber um die Verrechnung von Forderungen (vorstehend Ziff. 3), die vor der Herauslösung entstanden sind. Aus meiner Sicht können diese wohl im Rahmen der beschränkten Pfändbarkeit geltend gemacht werden.
Ich hoffe, mit diesen Ausführungen Ihre Frage beantwortet zu haben.
Freundliche Grüsse
Ruth Schnyder