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Verrechnung von Sozialhilfe und IV-Taggeldern

Veröffentlicht:
13.12.2019
Kanton:
Aargau
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Sozialhilferecht

Guten Tag

Meine Klientin wurde am 31.07.2019 von der Sozialhilfe abgelöst wegen eines IV-Arbeitsversuchs.

Obwohl die IV Aargau in der Arbeitsversuchs-Vereinbarung ein Taggeld zugesichert hatte, wurde der Anspruch noch einmal infrage gestellt, während der Arbeitsversuch bereits lief. 

Bis am 3. Oktober 2019 wurden keine Taggelder ausbezahlt. Erst dann wurden Taggelder für den September 2019 ausbezahlt. In dieser Zeit konnte sich die Klientin nicht mehr an die Sozialhilfe wenden, da diese sich auf den Standpunkt stellte, die Taggelder seien gutgesprochen und sie seien nicht für administrative Verzögerung zuständig. 

Meine Klientin hat sich infolgedessen privat verschuldet. 

Mittlerweile wurden Taggelder für Oktober und November 2019 ausbezahlt. Die Taggelder für den August 2019 wurden jedoch direkt mit der Sozialhilfe verrechnet, die geltend macht, Ende Juli die letzte Zahlung für den August ausgestellt zu haben. 

Mir ist klar, dass gesetzlich eine zeitlich kongruente Verrechnung gemäss Art. 12 SPG möglich ist. Dennoch bin ich der Meinung, dass unter diesen Umständen keine nachhaltige Ablösung von der Sozialhilfe möglich war, wie in Art. 1 und 4 SPG gefordert. Gesuche um Wiedererwägung an die zuständige Gemeinde wurden abgelehnt. 

Dass die IV erst im Oktober Taggelder ausbezahlt hat, ist nicht die Schuld meiner Klientin. Sie ist also ohne eigenes Verschulden ohne Einkommen geblieben und hat Geld von Freunden annehmen müssen. Gibt es irgendeine Möglichkeit, diese Tatsache geltend zu machen, oder ist dies Ihrer Meinung nach ein bereits verlorener Kampf?

Danke für Ihre Einschätzung und freundliche Grüsse

Sarah Studer

Frage beantwortet am

Ruth Schnyder

Expert*in Sozialhilferecht

Guten Abend Frau Studer

Gerne beantworte ich Ihre Anfrage. Wie Sie richtig ausführen, ist die Sozialhilfe berechtigt, für den gleichen Zeitraum bevorschusste IV-Taggelder zu verrechnen. Wenn die zuletzt ausbezahlte wirtschaftliche Hilfe für den August 2019 war (so auf der Abrechnung erwähnt), dann darf die Sozialhilfe nur Taggeldnachzahlungen verrechnen, die für den Monat August 2019 gedacht waren (zeitliche Kongruenz). Nach Art. 80 Abs. 1 der Verordnung vom 17.1.1961 über die Invalidenversicherung (IVV; SR 831.201) werden die Taggelder monatlich nachschüssig ausbezahlt (siehe auch Rz. 3225 Kreisschreiben über die Taggelder der Invalidenversicherung, gültig ab 1.1.2019; KSTI). Die Taggelder funktionieren daher gleich wie der Lohn, welcher auch erst am Ende des Arbeitsmonats zur Auszahlung gelangt. Die Taggelder stellen Erwerbsersatz dar. Beiden ist daher gemein, dass sie für den Bedarf des Folgemonats zu verwenden sind. D.h. das IV-Taggeld für den August ist für den September zu verwenden. Weder SPG, SPV, SKOS-RL noch das Handbuch des Kantons Aargau enthalten Aussagen zu dieser Thematik. Hingegen kann die gleiche Auffassung dem Praxisbeispiel von B. Deschwanden für die Richtlinienkommission der SKOS in ihrem Aufsatz «IV-Taggeld: Hat der Klient Anspruch auf den Überschuss?»  (Zeso 1/12) entnommen werden. Gleich äussert sich das Zürcher Sozialhilfe-Behördenhandbuch im Kapitel 9.1.01  unter Ziff 1.4 Anrechnung von Einkommen.

D.h. in Ihrem Fall könnte somit argumentiert werden, dass die IV-Taggelder für den August nur mit dem Monat September 2019 hätten verrechnet werden dürfen. In diesem Monat richtete Gemeinde jedoch keine wirtschaftliche Hilfe aus. Dies im Übrigen zu Unrecht: Nach § 5 Abs. 1 SPG (Kt. Aargau) muss die Sozialhilfe auch für eine Bedürftigkeit aufkommen, wenn die eigenen Mittel nicht rechtzeitig erhältlich sind. Die Gemeinde wäre in der Pflicht gewesen, während der Auszahlungsverzögerung weiterhin wirtschaftliche Hilfe zu leisten. Sie hat demnach in rechtswidriger Weise die wirtschaftliche Hilfe eingestellt. Falls der Klientin daraus (trotz Nachzahlung des IV-Taggeldes) ein Schaden entstanden ist, wäre dies an sich ein Fall für die Staatshaftung.

Bezüglich des IV-Taggeldes für den Monat August 2019 kann ich Ihnen zwei Vorgehensweisen empfehlen:

  • Von der IV-Stelle die (nochmalige) Auszahlung verlangen, da der Sozialhilfe kein Verrechnungsanspruch für die Nachzahlung (Art. 22 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 6.8.2000 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts, ATSG, SR 830.1) zugestanden hatte. D.h. die IV-Stelle hätte vielmehr auch diesen Monat der Klientin auszahlen müssen. Sie konnte nicht befreiend an die Sozialhilfe zahlen. Damit besteht dieser Anspruch gegenüber der IV nach wie vor.

  • Alternativ kann die Klientin die Rückzahlung von der Gemeinde direkt verlangen, da sich die Gemeinde in ungerechtfertigter Weise bereichert hat (analoge Anwendung von Art. 62 ff. OR). Falls sich die Gemeinde weigert, dann wäre eine Verfügung zu verlangen und diese anzufechten. Falls die Gemeinde die Rückforderung bereits verfügt hat, wäre diese innert Frist anzufechten. Falls diese unangefochten in Rechtskraft erwuchs, bleibt nur der Weg über ein Wiedererwägungsgesuch.

Für den Fall, dass die Klientin bei der IV oder der Gemeinde durchkommt, möchte ich noch den Hinweis geben, dass bei einer erneuten Bedürftigkeit der Klientin (nach Beendigung des Taggeldbezuges) die gleiche Regel zur Anwendung käme: D.h. sie müsste die Taggelder des laufenden Monats für den Lebensunterhalt im Folgemonat verwenden. Dies würde konsequenterweise aber nicht gelten, wenn es der Klientin nicht gelingen würde, die Taggelder für den August zurückzubekommen. Dann müsste die Gemeinde bereits im Folgemonat nach Ende des Taggeldes unterstützen.

Ich hoffe, Ihnen damit Ihre Frage beantwortet zu haben. Falls Sie weitere Vorgehensfragen haben, dürfen Sie sich gerne wieder melden.

Freundliche Grüsse

Ruth Schnyder