Im Rahmen der wirtschaftlichen Sozialhilfe (WSH) betreue ich eine Klientin, die im Jahr 2017 aus Brasilien in die Schweiz eingereist ist. Der Ex-Partner hat am 13.02.2017 eine Verpflichtungserklärung (er bürgt für sie) unterzeichnet. Gemäss der Auskunft vom Amt für Migration ist diese Verpflichtungserklärung für vier Jahre ausgelegt, er wäre also vier Jahre verpflichtet, ihren Lebensunterhalt zu begleichen. In der Praxis kann er dieser Verpflichtung jedoch nicht nachkommen und bezieht aktuell selber WSH. Die beiden Personen leben nicht mehr zusammen, haben jedoch ein gemeinsames Kind.
Zusätzlich hat sich herausgestellt, dass der Ex-Partner für eine Zeit bei der Klientin gewohnt hat, während sie WSH bezog. Er hatte Anspruch auf ALE. Währenddessen wäre ein Konkubinatsbeitrag (aufgrund des gemeinsamen Kindes) geschuldet gewesen. Die Klientin hat die Veränderung der Wohnsituation nicht gemeldet. Entsprechend hat sie ca. CHF 30'000 zu viel WSH bezogen. Diese zu viel bezogene WSH soll nun mit einer Schuldanerkennung und einer ratenweisen Rückzahlung getilgt werden.
Meine Frage:
- Welche Person muss die Schuldanerkennung unterzeichnen? Resp.:
- Welcher Person ist die regulär bezogene WSH zu verrechnen?
- Welcher Person ist die, aufgrund des zusammenwohnens, zu viel bezogene WSH zu verrechnen?
Besten Dank für Ihre Rückmeldung.
Frage beantwortet am
Anja Loosli
Expert*in Sozialhilferecht
Sehr geehrte Frau Käslin
Vielen Dank für Ihre Frage. Darf ich Rückfragen stellen?
Habe ich es richtig verstanden, dass der Ex-Partner der Klientin während des Zusammenlebens und der durch die Sozialhilfe bereits erfolgten Unterstützung der Klientin nicht von der Sozialhilfe unterstützt worden ist und von Arbeitslosentaggeldern gelebt hat?
Wenn der Ex-Partner am 13.02.2017 eine Verpflichtungserklärung für 4 Jahre unterzeichnet hat, dann hat seine Verpflichtung am 12.2.2021 geendet. Verstehe ich das richtig? Eine gewisse Zeit scheint der Ex-Partner von Arbeitslosentaggeldern gelebt zu haben. Bis wann war das? Und hätte er in dieser Zeit seiner Verpflichtung nachkommen können? Hat er es getan?
Ich bedanke mich herzlich für Ihre Unterstützung.
Freundliche Grüsse
Anja Loosli Brendebach
Guten Tag Frau Loosli
Besten Dank für Ihre Rückfragen, welche ich gerne untenstehend beantworte:
Habe ich es richtig verstanden, dass der Ex-Partner der Klientin während des Zusammenlebens und der durch die Sozialhilfe bereits erfolgten Unterstützung der Klientin nicht von der Sozialhilfe unterstützt worden ist und von Arbeitslosentaggeldern gelebt hat? Er hatte Anspruch auf ALE bis Ende Oktober 2020. Zusammengewohnt haben die Ex-Partner von Oktober 2019-November 2020. Währenddessen hatter er keinen Anspruch auf WSH. Er macht seit Dezember 2020 einen WSH Anspruch geltend.
Wenn der Ex-Partner am 13.02.2017 eine Verpflichtungserklärung für 4 Jahre unterzeichnet hat, dann hat seine Verpflichtung am 12.2.2021 geendet. Verstehe ich das richtig? Gemäss Auskunft vom Amt für Migration NW ist das Ende der Verpflichtung am 12.02.2021 eingetreten.
Eine gewisse Zeit scheint der Ex-Partner von Arbeitslosentaggeldern gelebt zu haben. Bis wann war das? Bis Ende November 2020.
Und hätte er in dieser Zeit seiner Verpflichtung nachkommen können? Hat er es getan? Gemäss dem SKOS Budget, welches wir nachträglich im Rahmen des Konkubinatsbeitrags erstellt haben, hätte er der Verpflichtung nachkommen können. Heisst, die Ex-Partnerin hätte von Oktober 2019-November 2020 keinen WSH Anspruch gehabt und hat während dieser Zeit unrechtmässig WSH bezogen. Ich weiss, dass er, während die Ex Partnerin in der WSH ist, nie der Verpflichtung nachgekommen ist.
Frage beantwortet am
Anja Loosli
Expert*in Sozialhilferecht
Sehr geehrte Frau Käslin
Vielen Dank für Ihre unterstützende Beantwortung meiner Rückfragen. Ich kann Ihre Fragen deshalb folgendermassen beantworten:
Nach Art. 17 des Gesetzes über die Sozialhilfe (Sozialhilfegesetz, SHG, SG 761.1) hat Anspruch auf Sozialhilfeleistungen, wer nicht über die nötigen Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen verfügt. Dabei gilt das Prinzip der Subsidiarität, gemäss dem jede hilfesuchende Person verpflichtet ist, alles Zumutbare zu unternehmen, um eine Notlage aus eigener Kraft abzuwenden oder zu beheben (Art. 3 Abs. 1 SHG Die Hilfeleistungen von privaten Trägern der Sozialhilfe sind dabei zu berücksichtigen; die gesuchstellende Person ist verpflichtet, Hilfeleistungen von privaten Trägern der Sozialhilfe bekanntzugeben (Art. 4 Abs. 2 SHG).
Art. 37 SHG besagt, dass wer unter unwahren oder unvollständigen Angaben Sozialhilfe erwirkt hat, zur Rückerstattung verpflichtet ist (Abs. 1). Der Rückerstattungsanspruch steht nach Art. 38 SHG jedem Gemeinwesen zu, das Sozialhilfe entrichtet hat.
Diesen Grundsatz hält auch Kapitel E.1 der SKOS-Richtlinien fest, an denen sich der Kanton Nidwalden für die Bemessung der wirtschaftlichen Sozialhilfe orientiert (siehe § 8 der Sozialhilfeverordnung, SHV, SG 761.11).
Dabei ist rückerstattungspflichtig, wer mehr erhalten hat, als ihm zugestanden ist. Der Rückerstattungsanspruch erstreckt sich in der Regel nicht nur auf die Leistungen, welche die unterstützte Person für sich selbst erhalten hat, sondern auf die Leistungen an die gesamte Unterstützungseinheit (z.B. unmündige Kinder; siehe Guido Wizent, Sozialhilferecht, Zürich/St. Gallen 2020, N 812).
Rückerstattungen sind gemäss den allgemeinen Grundsätzen zu verfügen. Für kleinere Beträge werden in der Praxis auch Schuldanerkennungen eingesetzt. In einigen Kantonen sieht das Gesetz auch die Möglichkeit von verwaltungsrechtlichen Rückerstattungsvereinbarungen vor. In diesem Fall wird nur verfügt, wenn keine Vereinbarung zustande kommt (Guido Wizent, a.a.o., N 813). Hat ein Kanton keine entsprechende gesetzliche Regelung, ist die Rückerstattung basierend auf einer Schuldanerkennung nicht zulässig, insbesondere bei grösseren Beträgen nicht.
Schlussfolgerung: Ihre Klientin hätte aufgrund der Verpflichtungserklärung Ihres Ex-Partners bis mindestens November 2020 keinen Anspruch auf Sozialhilfeleistungen gehabt, da er bis dahin offenbar finanziell leistungsfähig war. Alternativ hätte sie auch aufgrund eines Konkubinatsbeitrages keinen Anspruch auf Sozialhilfeleistungen bis November 2020 gehabt, da das Zusammenleben bis dahin dauerte. Da die Klientin offenbar das Zusammenleben nicht gemeldet hat und auch die Verpflichtungserklärung nicht berücksichtigt wurde (diesbezüglich bin ich mir unsicher, ob sie nicht bekannt war oder ob sie von der Sozialhilfe nicht geltend gemacht worden ist) hat sie aufgrund verschwiegener Tatsachen mehr Leistungen erhalten, als ihr zustanden. Sie muss in diesem Umfang die Unterstützungsleistungen wegen unrechtmässigem Bezug zurückerstatten. Da der Betrag kein geringer ist, muss die Rückerstattung meiner Ansicht nach mittels Verfügung verlangt werden. Rückerstattungsbeträge können demnach auch nur von ihrem Bedarf abgezogen werden.
Eine kleine Unsicherheit besteht für mich dahingehend, dass ich nicht ganz sicher bin, ob die Verpflichtungserklärung von Beginn weg bekannt war. In diesem Fall hätte die Sozialhilfe im Wissen um eine vorangehende Drittleistung unterstützt und könnte meiner Ansicht nach gestützt auf die gesetzlichen Grundlagen des Kantons Nidwalden die Leistungen nicht zurückfordern, da es dann an unwahren Angaben fehlen würde. Da die Klientin aber offenbar das Konkubinat verschwieden hat, können die Unterstützungsleistungen im Umfang der finanziell möglichen Konkubinatsleistungen auf jeden Fall zurückverlangt werden.
Ich hoffe, Ihnen mit dieser Antwort weiterhelfen zu können.
Freundliche Grüsse
Guten Tag Frau Loosli
Besten Dank für Ihre Ausführungen. Scheinbar war die Verpflichtungserklärung auf dem Sozialdienst bekannt. Da ich das Dossier von einer ehem. Arbeitskollegin übernommen habe, habe ich noch etwas recherchiert und folgende, früher getroffene Abklärungen vorgefunden. Eine Anfrage in einem Forum für Rechtsberatung hat im Jahr 2019 folgende Rückmeldung gegeben:
"...
Die betroffene, bedürftige Person selber hat kaum eine Möglichkeit, das Geld rechtlich einzufordern, weil die Erklärung von den Verwandten gegenüber dem Gemeinwesen, konkret der Migrationsbehörden, erbracht wird. Daher ist die betreffende Person aus Sicht der Sozialhilfe grundsätzlich zu unterstützen. Es ist dann eine migrationsrechtliche Frage, ob der Aufenthalt hier fortbestehen kann oder nicht. Diese Frage kann aber nicht von den Sozialdiensten geklärt werden.
Es ist von manchenorts die Praxis bekannt, dass die Unterstützung erbracht wird und dann gegenüber der Person, die sich zur Unterstützung verpflichtet hat, eine Rückerstattungsverfügung ergeht. Die rechtlichen Grundlagen für dieses Vorgehen sind jedoch fraglich, weshalb es nicht zu empfehlen ist. Als Alternative wird erachtet, dass das Gemeinwesen, welches die Sozialhilfe erbringt, auf dem zivilrechtlichen Weg gegen die Person vorgeht, die sich zur Unterstützung verpflichtet hat."
Was ich noch nicht verstehe an Ihrer Antwort ist, dass die Sozialhilfe nicht hätte eintreten sollen. Was wäre die Alternative gewesen, wenn die subsidiäre Leistung (Bürgschaft) nicht rechtzeitig geltend gemacht werden kann? Als sie in die WSH kam, war kein Konkubinatsbeitrag geschuldet, da sie anfangs noch getrennt wohnten. Der Verpflichtungserklärung ist er nicht nachgekommen.
Verstehe ich Ihre Antwort richtig, dass in diesem Fall die Rückerstattung nicht mittels Verfügung zurückgefordert werden kann, da der Sozialdienst fälschlicherweise auf den WSH Antrag eingetreten ist? Ist die Antwort aus dem Jahr 2019 somit fehlerhaft?
Ich danke Ihnen herzlich für Ihre Rückmeldung.
Frage beantwortet am
Anja Loosli
Expert*in Sozialhilferecht
Sehr geehrte Frau Käslin
Vielen Dank für Ihre berechtigte Rückfrage. Meine Antwort hat sich lediglich auf die Voraussetzung der Rückerstattung bezogen. Nach Art. 37 SHG NW ist nur rückerstattungspflichtig, wer durch unwahre oder unvollständige Angaben mehr Leistungen bezogen hat, als er Anspruch hatte. Ich wollte mit meiner Antwort ausdrücken, dass die Rückerstattung allenfalls auf die Verpflichtungserklärung gestützt werden kann, wenn die Klientin diese nicht angegeben, also verschwiegen hat. Hat sie die Verpflichtungserklärung angegeben (oder war sie sonst bekannt), so kann die Rückerstattung nicht gestützt auf die Verpflichtungserklärung verlangt werden, weil dann die Voraussetzungen von Art. 37 SHG NW nicht erfüllt sind.
Nicht sagen wollte ich damit, dass die Unterstützungsleistungen aufgrund der Leistungsvereinbarung nicht hätten aufgenommen werden dürfen.
Aufgrund Ihrer Rückmeldung mit dem ergänzten Sachverhalt kann ich deshalb betreffend Rückerstattung Folgendes ausführen: Die Rückerstattung kann im vorliegenden Fall nur gestützt auf das verschwiegene Konkubinat erfolgen. Der Umfang der Rückerstattung erstreckt sich auf den errechneten Konkubinatsbeitrag.
Ich hoffe, mit meiner Antwort Klarheit schaffen zu können.
Freundliche Grüsse
Anja Loosli Brendebach
Sehr geehrte Frau Loosli
Besten Dank für die erneuten Ausführungen. Diese haben definitiv Klarheit geschaffen.Entsprechend ist die Rückerstattung für den Betrag zu tätigen, welcher aufgrund des Verschweigens des Konkubinats fälschlicherweise bezogen wurde.
Eine letzte Frage: Ist es richtig, dass die Schuldnerin in diesem Fall die Klientin selber (und nicht der ehemalige Partner, welcher die Verpflichtungserklärung unterzeichnen hat) ist? Es handelt sich dabei um einen Betrag in Höhe von CHF 33'000.00. Ist Ihre Empfehlung demnach, diese Schuld mittels Verfügung anerkennen zu lassen?
Ich danke Ihnen vielmals für Ihre Bemühungen!
Frage beantwortet am
Anja Loosli
Expert*in Sozialhilferecht
Liebe Frau Käslin
Ja. Nur die Klientin ist zur Rückerstattung verpflichtet. Die rechtliche Grundlage für meine Antwort finden Sie in meiner ersten Antwort (nur Klienten haben eine Rückerstattungspflicht).
Freundliche Grüsse
Anja Loosli Brendebach