Sehr geehrte Frau Anderer
Folgene Situation beschäftigt uns derzeit:
MG, geb. 25.11.1999, unter Vormundschaft und mit einer geistigen Behinderung. Er hat einen stark eingeschränkten IQ und ging in die heilpädagogische Schule. M.G wohnte insgesamt 13 Jahre in unserer Institution. Es besteht ein Obuts- und Sorgerechtsentzug. Kurz vor seiner Volljährigekit wechselte er vor einem Jahr die Institution. Derzeit wohnt er in einer Stiftung. M.G entfernt sich immer wieder unerlaubt und treibt sich zum Teil tagelang herum. Er kommt während seines unerlaubten Vagabundierens sporadisch (alle 3-4 Monate) zu uns um seine alten Betreuer und Freunde zu sehen. Wir haben seinen psychischen und physischen Zustand zum teil als prekär eingeschätzt und ihm zu Essen gegeben. Da niemand von der neuen Institution bereit war ihn abzuholen haben wir ihn auch bei uns übernachten lassen.
Sein Beistand erteilte uns nun klare Anweisungen:
- Bitte verständigen Sie bei Auftauchen des Klienten die Grosseltern, den Beistand oder falls notwendig die Polizei (aus folgendem Grund: M. ist zwar 18, faktisch jedoch in seiner Entwicklung ca. 3-4 zurückgeblieben, und kann deshalb nicht als volljährig betrachtet werden)
Bitte weisen Sie Michael bei einem erneuten Auftauchen bei Ihnen ab - Bitte lassen Sie M.G auf keinen Fall bei Ihnen in der Institution übernachten oder geben ihm zu Essen
- Bitte fahren Sie M.G nirgends hin
Wir können das Vorgehen des Beistands nicht unterstützen.
Folgende Fragen stehen nun im Raum: - Wenn M.G in einem ausgehungerten und verwahrlosten Zustand in der Nacht oder am Morgen bei uns auftaucht sollen wir in von der Türe weisen? Aus meiner Sicht befand sich M.G in einem selbstgefährdenden Zustand. Ist die Bitte des Beistands korrekt bzw. für uns verpflichtend.
- Ist das Vorgehen rechtlich abgesichert? Darf man einen in Not geratenen behinderten jungen Mann die Hilfe verweigern? (In Anbetracht seiner wohl beschränkten Urteilsfähigkeit ).
- Ist jemand verpflicht M.G bei uns abzuholen? Muss er polizeilich ausgeschrieben sein, damit er abgeholt wird? M.G zieht andernfalls bettelnd durch das Dorf. Ein Zustand der weder für M.G, die Wohnfamilie und die Nachbarschaft tragbar ist.
Vielen Dank für Ihre Unterstützung.
Freundliche Grüsse
Jörg Pieper
Frage beantwortet am
Karin Anderer
Expert*in Kindes- und Erwachsenenschutz
Sehr geehrte Herr Pieper,
die Art der Beistandschaft über den inzwischen volljährigen Herrn ist mir nicht klar. Ich gehe davon aus, dass der Herr nicht per FU in der Stiftung platziert ist.
Das Vorgehen des Beistandes wirft vorab methodische Fragen auf. Ohne die näheren Umstände zu kennen, insbesondere die Gründe des Weglaufens, kann ich Folgendes in allgemeiner Form festhalten.
Ob der Herr in Ihrer Institution Unterschlupf findet oder zu essen bekommt, entscheiden Sie selbst; selbstverständlich dürfen Sie ihn nicht festhalten. Wenn Sie das nicht wollen, können Sie dem Herrn den Zutritt verweigern und ein Hausverbot aussprechen (siehe zum Vorgehen die Beratung hier im Forum: Hausverbot in Institution vom 1.3.2018 ). Und nur in diesem Fall kann die Polizei beigezogen werden. Begeht der Herr keinen Hausfriedensbruch, dann nämlich, wenn Sie kein Hausverbot aussprechen und er sich somit erlaubterweise bei Ihnen aufhält, kann auch die Polizei nichts ausrichten. Das scheint der Beistand zu verkennen.
Ein Problem, das der Beistand (und vielleicht auch die Stiftung?) methodisch anzugehen hat, ist das „Weglaufen und Herumziehen“ des Herrn. Für die Lösung benötigt es einen Handlungsplan, einen pädagogischen Plan, in den der Herr und die involvierten Bezugspersonen eingebunden werden. Immerhin stellt doch Ihre Einrichtung eine Ressource dar, für den Herrn scheinen Sie nicht nur ein Zufluchtsort zu sein, er pflegt dort auch noch Kontakte.
Das Ansinnen, dass Sie die Polizei zu rufen haben, ist abzulehnen.
Sie sind nicht verpflichtet den Herrn aufzunehmen, auch wenn er ein Bett braucht oder Hunger hat. Für das „Herumziehen“ und „Betteln“ tragen Sie keine Verantwortung. Wenn Sie den Beistand, die Grosseltern und die Stiftung über seinen Aufenthalt informieren und mitteilen, dass Sie sich Sorgen machen, haben Sie m.E. das Notwendige getan. In medizinischen oder psychiatrischen Notfallsituation ist selbstverständlich ein Arzt zu rufen.
Nicht immer kann sich ein Beistand durchsetzen, vielleicht liesse sich das Problem auch mit 4 Taxigutscheinen im Jahr lösen?
Sollten Sie den Eindruck haben, dass der Beistand das Mandat nicht im Interesse des Herrn führt, können Sie sich, gestützt auf Art. 419 ZGB, über den Beistand bei der KESB beschweren.
Ich hoffe, die Angaben sind Ihnen nützlich und ich grüsse Sie freundlich.
Karin Anderer
Sehr geehrte Frau Anderer
Vielen Dank für die wertvollen Informationen.
Freundliche Grüsse
Jörg Pieper