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"Vermögensverzicht" / WSH

Veröffentlicht:
28.03.2017
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Sozialhilferecht

Zu folgender Situation bitten wir um eine Einschätzung.
Sachverhalt (zusammenfassend)

  • Ehepaar (sie Jahrgang 1959, er Jahrgang 1955)
  • 01.10.2014 Antrag WSH am
  • 08.10.2014 kein Anspruch da Vermögen zu hoch, Säule 3b CHF 47‘000.00, Auto 9‘500, Motorrad 10‘000.
  • 04.11.2014 erneuter Antrag mit Begründung Betrag der Säule 3b ging an Raiffeisenbank zur Rückzahlung eines Darlehens (Pfandverschreibung auf Säule 3b) und Motorrad sei verkauft.
  • 24.11.2014 Erstgespräch, auf Frage was mit dem Erlös des Verkauf des Motorrads gemacht wurde, erklärt Kl, er habe das Motorrad der Schwester seiner Frau gegeben, da er ein Darlehen von ihr bekommen hatte CHF 15‘000.00. Schwägerin bestätigt dies datiert mit Oktober 2014, eingegangen bei uns am 2. Dezember.
  • Januar und Februar 2015 WSH
  • 27.02.2015 Auszahlung der Freizügigkeitsleistungen von CHF 232‘588.00, Ablösung WSH.
  • Am 31.01.2017, also nicht ganz zwei Jahre nach der Ablösung der WSH, meldet sich das Paar erneut beim Sozialdienst zur Anspruchsklärung WSH.
  • 13.02.2017 Eingang des Antrages mit Unterlagen. Motorrad ist nicht deklariert. Gemäss Verkehrssicherheitszentrum war das Motorrad bis am 10.02.2017 (3 Tage vor Einreichung des WSH-Antrages) auf den Klienten eingelöst.
  • 06.03.2017 Erstgespräch. Sozialdienst verlangt Ankaufsofferte für Motorrad und weist darauf hin, dass das Vermögen (auf Konto > 6‘000.00, Auto 6‘500, Motorrad noch pendent) über dem VFB liegt und das Motorrad veräussert werden muss.
  • 27.03.2017 Termin, Klient legt dem Sozialdienst die Ankaufsofferte vom Motorrad vor, CHF 8‘616.00, datiert vom 14.03.20217. Gleichzeitig weist er darauf hin, dass das Motorrad nicht mehr in seinem Besitz sei, er habe es einem Kollegen gegeben, bei welchem er einen Bastellraum benutzen und nie dafür bezahlen konnte. Es liegt weder ein Mietvertrag für den Bastelraum noch ein Darlehensvertrag vor. Gemäss Fahrzeugausweis wurde das Motorrad am 09.03.2017 vom Kollegen des Klienten eingelöst.
  • Das Ehepaar hat ein monatliches Einkommen von CHF 2‘200.00. Es besteht ein Bedarf von CHF 900 pro Monat.
  • Am 27.03.2017 informiert der Sozialdienst den Klienten, dass seine Frau ihr Freizügigkeitskonto mit einem Guthaben von CHF 1‘128.00 auflöst (volle IV Rente), die Situation bezgl. Motorrad geklärt werden und frühestens ab Mai 2017 ein Anspruch auf WSH besteht.
    Besonderer Hinweis (strukturelle Bedingungen)
  • Der Sozialdienst ist für die Abklärung und Berechnung der Sozialhilfe sowie für die Antragsstellung zu Handen der Sozialbehörde zuständig. Der Entscheid über die Unterstützung obliegt der Sozialbehörde. Diese hat zum jetzigen Zeitpunkt noch keine Kenntnis über das laufende Abklärungsverfahren beim Sozialdienst.
    Fragestellung
  • Kann das „verschenkte“ Motorrad zu den Vermögenswerten des Klienten zu zählen, auch wenn er nicht (mehr) der Halter ist?
  • Falls ja: soll das Gesuch vom 13.02.2017 abgelehnt werden aufgrund der fehlenden Anspruchsvoraussetzungen, weil Vermögen (inkl. Motorrad) insgesamt über VFB von CHF 8‘000 vorhanden ist (SKOS A.8.3)?
  • Kann mit der Verschenkung des Töffs von einem „Vermögenverzicht“ gesprochen werden?
    Besten Dank für die Rückmeldung

Frage beantwortet am

Ruth Schnyder

Expert*in Sozialhilferecht

Sehr geehrte Dell'Amore
Zunächst stellt sich in Ihrem Fall die Frage, ob das Eigentum am Motorrad auf den Kollegen übergegangen ist. Falls nicht, wäre zu prüfen, wie damit zu verfahren ist. Falls das Eigentum jedoch übergegangen ist, wäre zu prüfen, ob dieser Eigentumsübergang ein Vermögensverzicht darstellt. Und schliesslich ist zu fragen, wie mit einem Vermögensverzicht sozialhilferechtlich zu verfahren ist. Um Ihre Fragen beantworten zu können, benötige ich die Angabe, welchen Kanton Ihre Anfrage betrifft.
Generell drängt sich im konkreten Fall ein Anspruch auf Ergänzungsleistung (EL) zur IV-Rente der Ehefrau auf. Da Sie den Sozialhilfeanspruch im Grundsatz prüfen, kann es sein, dass der EL-Anspruch für die Sozialhilfe kein Thema ist, da rechtlich nicht realisierbar, oder es sich lediglich um eine Überbrückung handelt. Gerade bei Überbrückungssituationen kann die Verwertung von Vermögensgegenständen unter anderen Vorzeichen stehen. Ich wäre Ihnen auch um diese ergänzenden Angaben dankbar.
Ich danke Ihnen für die erwähnten Angaben zur Weiterbearbeitung Ihrer Anfrage.
Freundliche Grüsse, Ruth Schnyder

Sehr geehrte Frau Schnyder
Besten Dank für Ihre erste Einschätzung.
Nachfolgend die ergänzenden Angaben zur Weiterbearbeitung der Anfrage:

  • die Anfrage betrifft den Kanton Nidwalden
  • der Kollege ist seit Kurzem (9.3.17) der Halter des Motorrades. Was ist allenfalls als Nachweis für Übergang des Eigentums zu verlangen?
  • wie kann geprüft werden, ob der Eigentumsübergang einen Vermögensverzicht darstellt?
  • ein EL-Anspruch besteht meines Wissens nicht (mehr), aufgrund des Vermögensverzichtes (Auszahlung der Freizügigkeitsleistungen von CHF 232‘588.00 im Febr. 15)
  • die Überbrückungssituation dauert voraussichtlich bis Februar 18 (AHV-Vorbezug des Ehemanns mit Alter 63)
    Ich danke Ihnen für Ihre weiterführenden und bestimmt aufschlussreichen Einschätzungen.
    Freundliche Grüsse, Annamaria Dell'Amore

Frage beantwortet am

Ruth Schnyder

Expert*in Sozialhilferecht

Sehr geehrte Frau Dell’Amore
Ich kann Ihre Anfrage wie folgt beantworten:
Zunächst stellt sich in Ihrem Fall die Frage, ob das Eigentum am Motorrad auf den Kollegen übergegangen ist. Ihren Ausführungen zufolge ist der Kollege seit 9.3.17 Halter des Motorfahrzeuges. Die Haltereigenschaft begründet nicht automatisch die Eigentümerschaft. D.h. Halter und Eigentümer eines Fahrzeuges können durchaus auseinander fallen. Halter ist nach konstanter Rechtsprechung, wer auf eigene Rechnung und Gefahr das Fahrzeug betreibt und zugleich über dieses […] die tatsächliche, unmittelbare Verfügung besitzt (BGE 129 III 102 Erw. 2.1). Bei dieser Definition ist nicht erforderlich, dass der Halter Eigentümer ist. Die Haltereigenschaft ist natürlich ein Indiz dafür, dass jemand Eigentümer eines Fahrzeuges ist. Im vorliegenden Fall darf aber mit Fug und Recht diese Eigentümereigenschaft des Kollegen in Frage gestellt werden. Der Klient hat einerseits die Halterübertragung nämlich erst dann eingeleitet, als die Sozialhilfe ihn zur Deklaration des Motorrades bewegte und gleichzeitig die Unterlagen für die Vermögensfeststellung und allfällige Versilberung einforderte. Andererseits erscheint die Eigentumsübertragung als fraglich, da er beim erstmaligen Bezug ein vergleichbares Vorgehen gewählt hat und sich das gleiche Motorrad zwischenzeitlich wieder in seinem Eigentum einfand. Der damalige Eigentumsübergang an die Schwägerin erscheint unter diesem Aspekt mitunter als fragwürdig.
Demnach darf die Sozialhilfe zu Recht Unterlagen zum Beweis der Eigentumsübertragung einverlangen (Kaufvertrag einschliesslich Verrechnung Kaufpreis mit Nutzungskosten im Zusammenhang mit Bastellraum, Mietvertrag betr. Bastellraum oder Bestätigung der allenfalls auf mündlichem Wege erfolgten Geschäftsabwicklung durch den Kollegen und den Klienten mit genauen Angaben zum Bastellraum). Auch wäre möglich, den Klienten aufzufordern, den Kollegen als Auskunftsperson zur Verfügung zu stellen. Schliesslich könnte der Klient auch aufgefordert werden, von der Versicherung die Bestätigung über die Kündigung der Motorradversicherung einzureichen, sicher ein weiterer Hinweis zu den Eigentumsverhältnissen.
Werden diese Unterlagen nicht eingereicht, oder reichen sie nicht aus, kommt die Sozialhilfe nicht umhin, die Eigentumsübertragung in Zweifel zu ziehen. D.h. sie geht dann nach wie vor davon aus, dass der Klient Eigentümer geblieben ist. Würde der Klient bei diesem Ausgang argumentieren, dass doch zumindest Leihe oder Miete vorliegt, wären solche Argumente als nachgeschoben zu beurteilen. Das nach wie vor im Eigentum des Klienten verbliebene Motorrad ist mit seinem Wert zum liquiden Vermögen zu rechnen und auf dieser Basis wäre die Bedürftigkeit nach Art. 17 SHG NW sowie Art. 19 SHG NW in Verbindung mit § 8 SHV NW festzustellen. § 8 SHV NW verweist im Grundsatz auf die aktuell gültigen SKOS-Richtlinien (4. Auflage bis und mit Änderungen 12/16). Diese sind demnach für die geltenden Vermögensfreigrenzen heranzuziehen.
Die Frage des Vermögensverzichts stellt sich dann erst, wenn der Eigentumsübergang an den Kollegen als erwiesen bzw. als überwiegend wahrscheinlich betrachtet werden kann. Diesbezüglich spielt § 8 SHV NW eine zentrale Rolle. § 8 SHV NW hält für den Fall des Vermögensverzichts Folgendes fest: Einkünfte und Vermögenswerte auf die verzichtet wird, sind vollumfänglich als eigene Mittel anrechenbar. Ob der Vermögensverzicht nach wie vor im Sinne der EL auszulegen ist, wie das Verwaltungsgericht Nidwalden im Urteil VA 04 06 vom 22.11.04 feststellte, kann nicht abschliessend beurteilt werden. Seit Januar 2015 ist die damals beurteilte Bestimmung nicht mehr in Kraft. Es gilt nun die erwähnte Bestimmung.
Nach Klärung dieses Aspekts werde ich die weiteren, offenen Fragen beantworten können.
Bei dem oben dargelegten Ergebnis ist Folgendes zu bedenken: Das Ehepaar hat dank der Invalidenrente der Ehefrau einen grundsätzlichen Anspruch auf Ergänzungsleistungen (EL). Wurde damals der effektive Anspruch wegen oder zu einem Teil wegen der hohen Freizügigkeitsleistung verneint, lohnt es sich nun, den Anspruch neu prüfen zu lassen. Denn zwischenzeitlich hat sich die Vermögenssituation verändert. Gestützt auf Art. 25 Abs. 1 lit. c ELV sind die EL aufgrund Veränderungen im Vermögen neu zu berechnen. Laut Abs. 3 derselben Bestimmung erfolgt bei Veränderung des Vermögensverzehrs die Neuberechnung nur einmal jährlich. Es könnte also durchaus sein, dass ein EL-Anspruch aufgrund der veränderten Vermögenssituation entstehen könnte. Die EL würde natürlich die Vermögensabnahme auf Vermögensverzichtsakte untersuchen, d.h. sie würde prüfen, ob Teile des Freizügigkeitsvermögens ohne Gegenleistung z.B. verschenkt wurden. Diesbezüglich lohnt es sich für die Sozialhilfe, eigene Recherchen anzustellen.
Zeichnet sich die Chance auf einen EL-Anspruch ab, könnte es gerechtfertigt sein, im Sinne der Überbrückung auf die Versilberung des Motorrades zu verzichten (vgl. Kapitel A.6 der SKOS-RL die eine Überbrückungssituation bei 3 Monaten betrachtet).
Ich hoffe, Ihnen mit diesen Angaben für’s Erste gedient zu haben.
Freundliche Grüsse, Ruth Schnyder

Frage beantwortet am

Ruth Schnyder

Expert*in Sozialhilferecht

Nachtrag zum Vermögensverzicht:
Sehr geehrte Frau Dell’Amore
Dem mir zwischenzeitlich zugestellten Bericht des Regierungsrates vom 9. Dezember 2014 zur Vollzugsverordnung zum Gesetz über die Sozialhilfe (Sozialhilfeverordnung, SHV, NG 761.11) lässt sich Folgendes zu § 8 SHV NW entnehmen:
„Umgang mit Vermögenswerten und Einkommen, auf die verzichtet wird
Bei der Anrechnung von Einkommen und Vermögen kennen die Ergänzungsleistungen und die Sozialhilfe unterschiedliche Vorgehensweisen. Die Ausgleichskasse prüft bei Antragstellung auf Ergänzungsleistung, ob in der Vergangenheit auf Einkünfte oder Vermögenswerte verzichtet worden ist. Sollte dies der Fall sein, werden diese bei der Bemessung der Leistungen als Einnahmen angerechnet und dies auch dann, wenn der Verzicht Jahre zurückliegt. Damit soll unter anderem verhindert werden, dass Rentnerinnen oder Rentner auf Kosten der Ergänzungsleistungen ihre Erben frühzeitig beschenken. Diese Berechnungsmethode ist gerechtfertigt, da die Ergänzungsleistungen auf lange Sicht angelegt sind und nur Personen leistungsberechtigt sind, welche eine Rente der AHV oder IV beziehen.
Als letztes Netz der sozialen Sicherheit kennt die Sozialhilfe hingegen keine retrospektive Sicht bezüglich Einkommen und Vermögen. Das Ziel ist die unmittelbare Verhinderung einer Notlage. Die Höhe und Verwendung von früherem Einkommen und Vermögen ist bei der Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen unerheblich. Im Rahmen der Subsidiarität wird jedoch jede Art von Einkommen angerechnet, welche zum Zeitpunkt der Antragstellung zur Verfügung steht. So ist das Vermögen bis zu einem Freibetrag aufzubrauchen, bevor Sozialhilfe geltend gemacht werden kann. Bei Einzelpersonen beträgt der Freibetrag 4000 Franken. In Einzelfällen kommt es vor, dass z.B. Unterhaltsleistungen nicht beansprucht werden oder Lebensversicherungen nicht aufgelöst werden. Gemäss Abs. 3 können solche Einkünfte oder Vermögen vollumfänglich als eigene Mittel angerechnet werden - auch wenn die Betroffenen darauf verzichten. Im Gegensatz zu den Regelungen der Ergänzungsleistungen müssen diese Einkünfte jedoch in der Gegenwart oder der Zukunft real zur Verfügung stehen.“
Aus den Erläuterungen des Regierungsrates folgt, dass ein Vermögensverzicht im Sinne der Bestimmung lediglich angerechnet werden darf, wenn Einkünfte bzw. Vermögenswerte, auf die verzichtet wird bzw. wurde, real noch zur Verfügung stehen, jedoch nicht beansprucht werden. Für den vorliegenden Fall ist demnach entscheidend, ob das Motorrad nach wie vor dem Klienten gehört, oder neu nun dem Kollegen. Im ersten Fall könnte § 8 Abs. 3 SHV NW zur Anwendung kommen, wenn der Klient das Auto dem Kollegen weiterhin belässt. Im zweiten Fall, bei dem das Eigentum an den Kollegen übergegangen ist, kann keine hypothetische Vermögensanrechnung erfolgen, da das Motorrad real nicht mehr zur Verfügung steht. Es handelt sich in dem Fall nicht um einen Vermögensverzicht im Sinne von § 8 Abs. 3 SHV NW. In diesem Fall wäre zu prüfen, ob eine Kürzung nach Art. 22 SHG NW angezeigt wäre wegen Nichtbefolgen einer Auflage (Art. 21 SHG NW, siehe dazu auch das o.e. Urteil des Nidwaldner Verwaltungsgerichts).
Ich hoffe, Ihnen mit diesem Nachtrag Ihre Fragen beantwortet zu haben.
Freundliche Grüsse, Ruth Schnyder