Guten Tag
Ein Herr lebt seit Februar 2020 in einem Alterswohnheim im Kanton NW. Zuvor hatte er seinen Wohnsitz ebenfalls im Kanton NW. In den Jahren 2007+2014-2020 wurden diverse Schenkungen an die leiblichen Söhne sowie unklare Vermögensabnahmen registriert (vgl. Auflistung unten).
2007: CHF 166'621.00 - unklare Vermögensabnahme
2014: CHF 416'000.00 - Schenkung an Söhne
2015: CHF 124'869.00 - unklare Vermögensabnahme
2016: CHF 97'261.00 - unklare Vermögensabnahme
2017: CHF 152'050.00 - unklare Vermögensabnahme
2018: CHF 20'000.00 - Schenkung an einen der Söhne
2019: CHF 15'587.00 - unklare Vermögensabnahme
02/2020: CHF 40'000.00 - Schenkung an beide Söhne
Die obengenannten Informationen stützen sich auf die EL-Berechnung der Ausgleichskasse.
Handelt es sich bei den Schenkungen/ unklaren Vermögensabnahmen um ein rechtsmissbräuchliches Verhalten? Wie sind die Schenkungen und die unklaren Vermögensabnahmen im Rahmen der Antragstellung zu berücksichtigen? Kann/ muss ein Teil der Schenkungen/ unklaren Vermögensabnahmen als Vermögen eingerechnet werden, obwohl dieses nicht mehr vorhanden ist? Wie ist das weitere Vorgehen?
Besten Dank im Voraus und freundliche Grüsse
Frage beantwortet am
Anja Loosli
Expert*in Sozialhilferecht
Sehr geehrte Frau Käslin
Vielen Dank für Ihre Frage. Ich beantworte diese gerne wie folgt:
In Art. 3 des Sozialhilfegesetzes des Kantons Nidwalden (SHG NW) ist das Subsidiaritätsprinzip festgehalten, das besagt, dass sämtliche erhältliche finanzielle Mittel den Leistungen der Sozialhilfe vorgehen. Reichen die eigenen vorhanden Mittel nicht aus, um den Lebensunterhalt zu bestreiten, besteht Anspruch auf finanzielle Unterstützung durch die Sozialhilfe (Art. 17 Abs. 1 SHG NW). In § 8 der Sozialhilfeverordnung (SHV NW) ist festgehalten, dass zur Bemessung der finanziellen Leistungen der Sozialhilfe die SKOS-Richtlinien gelten. Dort ist unter Kapitel E.2 festgehalten, dass sämtliches Vermögen zu berücksichtigen ist. Dabei darf aber nur das tatsächlich vorhandene Vermögen (und Einkommen) berücksichtigt werden. Dies gebietet das Finalprinzip, gemäss dem die wirtschaftliche Hilfe nicht von den Gründen der Bedürftigkeit respektive einer Einschätzung des persönlichen Verschuldens abhängig gemacht werden darf. Entscheidend ist einzig das Vorliegen einer Notlage (Guido Wizent, Sozialhilferecht, Zürich/St. Gallen, 2020, N 408f.). Das Finalprinzip kann durch Rechtsmissbrauch durchbrochen werden. Von Rechtsmissbrauch wird dann gesprochen, wenn das Verhalten der unterstützten Person offensichtlich einzig darauf ausgerichtet ist, wirtschaftliche Hilfe zu erlangen. Dieser Wille muss nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung klar und unbestreitbar festgestellt werden, blosse Verdachtsmomente und Indizien genügen nicht (Gudio Wizent, a.a.O., N. 411ff.).
So wie ich den Sachverhalt verstehe, hat der von Ihnen genannte Herr vor über 10 Jahren begonnen, sein Geld an die Söhne zu verschenken und anderweitig nicht nachvollziehbar auszugeben. In Sinne des Finalprinzips scheint er - wenn die übrigen Voraussetzungen gegeben sind - damit bedürftig. Alle Schenkungen und Ausgaben, die er schon vor Jahren getätigt hat und er trotz dieser noch über Vermögen verfügte, können meiner Meinung nach nicht als ausschliesslich zur Erlangung der wirtschaftlichen Hilfe und damit als rechtsmissbräuchlich eingeschätzt werden. Diese Frage erscheint mir einzig bei der Schenkung über Fr. 40'000.-- im Februar 2020, als danach offenbar nicht mehr viel Geld vorhanden war, berechtigt. Hat der Klient rechtsmissbräuchlich gehandelt, dürfte die Unterstützung abgelehnt bzw. dieses Vermögen berücksichtigt werden. Allerdings darf nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass der Klient das Geld einzig zum Zweck der Erlangung der Bedürftigkeit verschenkt hat. Es sind die gesamten Umstände abzuklären und der Klient (und allenfalls seine Söhne) zu befragen, weshalb eine Schenkung erfolgt ist, obwohl kaum mehr Geld vorhanden war. Wollte der Klient damit erreichen, dass früher der Staat bezahlen muss und das Geld für seine Söhne "gerettet" wird? Dies gilt es zu klären (gerne können Sie nach Ihren Abklärungen nochmals nachfragen, wenn Sie unsicher sind).
Es gibt zwei weitere Möglichkeiten, damit die Sozialhilfe die erfolgten Schenkungen finanziell nicht alleine tragen muss. Wenn es der Sozialhilfe zusammen mit dem Klienten gelingt zu belegen, dass der Klient bei den unklaren Vermögensabnahmen jeweils eine Gegenleistung erhalten hat (z.B. Reisen, teuere Anschaffungen), dann kann bei der EL ein Antrag auf Wiedererwägung der EL-Verfügung gestellt werden unter Einreichung sämtlicher Unterlagen, die erhältlich gemacht werden können und belegen, für was der Klient sein Geld ausgegeben hat. Im belegten Umfang würde sich dann das Verzichtsvermögen bei der EL verringern und der Anspruch auf EL-Leistungen entstünde früher. Der Klient bzw. allenfalls sein Beistand/seine Beiständin ist verpflichtet, bei der Beschaffung allfälliger Unterlagen mitzuhelfen.
Schliesslich gibt es das Institut der Verwandtenunterstützung (Art. 35 SHG NW). Falls die Söhne sich in guten wirtschaftlichen Verhältnissen befinden, kann von Ihnen Verwandtenunterstützung verlangt werden. Diese kann aufgrund der erfolgten Schenkungen allenfalls auch dann verlangt werden, wenn die Söhne sonst nicht über ausreichend finanzielle Mittel verfügen, um Verwandtenunterstützung zu leisten. Insbesondere wenn des geschenkte Geld noch vorhanden ist (z.B. in eine Liegenschaft investiert), bestehen vor Gericht Erfolgsaussichten, von den Söhnen im Umfang der Schenkung Verwandtenunterstützungsbeiträge zu verlangen. Ich empfehle deshalb, die Söhne zu kontaktieren und zu klären, was sie mit dem geschenkten Geld gemacht haben.
Ich hoffe, Ihnen mit dieser Antwort weiterhelfen zu können.
Freundliche Grüsse
Anja Loosli Brendebach
Frage beantwortet am
Anja Loosli
Expert*in Sozialhilferecht
Sehr geehrte Frau Dell'Amore, Sehr geehrte Frau Käslin
Ich nehme Bezug auf Ihre Nachfrage vom 21.08.2020. Sie fragen mich, ob der Antrag auf Sozialhilfe wegen Rechtsmissbräuchlichkeit abzulehnen und allenfalls neben der Ablehnung Nothilfe oder ordentliche Sozialhilfe mit anschliessenden Abklärungen zu bezahlen ist.
Falls für Sie im heutigen Zeitpunkt absolut klar ist, dass der Klient die Fr. 40'000.-- an seine Söhne überwiesen hat, um Sozialhilfe beziehen zu können bzw. damit das Geld den Söhnen erhalten bleibt und der Staat für den Unterhalt aufkommen muss, ist das Gesuch wegen rechtsmissbräuchlicher Geltendmachung abzulehnen. Es könnte aber Nothilfe gestützt auf Art. 12 der Bundesverfassung (BV) bezahlt werden, da der Antragsteller sich nachweislich in einer Notlage befindet. Ich habe den Eindruck, dass aktuell nicht mit Sicherheit feststeht, dass der Klient rechtsmissbräuchlich gehandelt hat (obwohl ich zugeben muss, dass es für mich durchaus eigenartig erscheint, sein letztes Geld zu verschenken). Dann macht es Sinn, die Unterstützung vorsorglich aufzunehmen und dem Klienten Frist zu setzen, nachvollziehbar zu erklären und zu belegen, weshalb er sein letztes Geld an die Söhne verschenkt hat. In diesem Zeitpunkt ist ihm zudem anzudrohen, dass die vorsorglich aufgenommene Unterstützung eingestellt würde, wenn er der Aufforderung nicht nachkommt oder Rechtsmissbräuchlichkeit ermittelt wird.
Eine ergänzende Möglichkeit sehe ich darin, dass Sie als Sozialhilfe nach der vorsorglichen Aufnahme der Unterstützung Kontakt mit den Söhnen aufnehmen (der Klient ist diesbezüglich aus datenschutzrechtlichen Gründen vorgängig zu informieren) und Ihnen die Problematik schildern und beliebt machen, dass sie die Fr. 40'000.-- an den Vater zurückbezahlen, damit dieser nicht allenfalls in eine schwierige Situation kommt. Sind die Söhne nicht einverstanden, können Sie auch - wie ich in meiner ersten Antwort geschrieben habe - den Rechtsweg beschreiten und Verwandtenunterstützung von den Söhnen verlangen (dies macht aber nur Sinn, wenn Sie zum Schluss kommen, dass das Verhalten des Antragsstellers nicht rechtsmissbräuchlich war).
Ich hoffe, Ihnen mit dieser Antwort weiterhelfen zu können.
Freundliche Grüsse
Anja Loosli Brendebach
Sehr geehrte Frau Loosli
Der Antrag für WSH (Nothilfe) im obengenannten Fall wurde gestellt und die Gemeinde bezahlt aktuell die Heimkosten.
Es stellen sich mir nun zwei Fragen: eine bezüglich einer allfälligen Rechtsmissbräuchlickeit und eine bezüglich der Verwandtenunterstützungspflicht.
Rechtsmissbräuchlichkeit
Mit dem Beschluss der Sozialkommission wurde der Berufsbeistand (BB) des Klienten aufgefordert, schriftlich Stellung zu beziehen, weshalb das letzte Geld an die Söhne verschenkt wurde. Diese Schenkungen wurden vor der Errichtung der Beistandschaft getätigt. Mit Stellungnahme des Berufsbeistandes hat sich herausgestellt, dass der Klient zum Zeitpunkt der Schenkung urteilsunfähig gewesen sei. Dem Berufsbeistand läge ein Schreiben vor, welches dies bestätigt. Der Klient habe ein vom Sohn vorbereitetes Schreiben (welches die Schenkung über CHF 40'000.00 bescheinigt) in scheinbar urteilsunfähigem Zustand unterzeichnet. Der Sohn war gemäss einem (nicht validierten) Vorsorgeauftrag für die finanziellen und adminsitrativen Belangen des Klienten zuständig. Da der Klient dement ist, kann er aktuell keine Stellung mehr beziehen zu den Vorkommnissen.
Welche Auswirkung hat die Tatsache der Demenz/ Urteilsunfähigkeit auf die allfällige Rechtsmissbräuchlichkeit? Kann der Klient selber in diesem urteilsunfähigen Zustand überhaupt eine Rechtsmissbräuchlichkeit begangen haben? Oder wäre dann das Verhalten des Sohnes Rechtsmissbräuchlich? Da der Sohn ja nicht der Antragsteller ist, ist mir unklar, wie er für eine allfällig rechtsmissbräuchliche Handlung zur Verantwortung gezogen werden könnte?
Verwandtenunterstützungspflicht
Des weiteren wurde mit dem Beschluss der Sozialkommission beschlossen, dass die Verwandtenunterstützungspflicht der Söhne geprüft wird. Im November wird ein gemeinsames Gespräch stattfinden. Gemäss den Steuerveranlagungen wird ein Sohn in der Lage sein, im Rahmen der Verwandtenunterstützungspflicht Leistungen zu erbringen. Dabei handelt es sich um denjenigen Sohn, welcher nicht von der Schenkung profitierte. Ist es richtig, dass er dennoch als einziger Unterstützungspflichtig ist? Aus meiner Sicht sind die Schenkung und die Verwandtenunterstützungspflicht zwei "unterschiedliche" Angelegenheiten, die getrennt voneinander betrachtet werden müssen. Ist dem so?
Ich danke Ihnen vielmals für Ihre Rückmeldung und freundliche Grüsse
Frage beantwortet am
Anja Loosli
Expert*in Sozialhilferecht
Sehr geehrte Frau Käslin
Vielen Dank für Ihre berechtigte Nachfrage. Ich habe mich deshalb nochmals eingehend mit der Thematik befasst und komme zu folgendem Schluss:
1. Rechtsmissbräuchlichkeit
In § 8 Abs. 3 SHV NW steht - in Abweichung von den SKOS-Richtlinien - ausdrücklich, dass Vermögen, auf das verzichtet worden ist, anzurechnen ist. Dies habe ich leider bei der Verfassung meiner ersten Antwort übersehen. Ich entschuldige mich in aller Form dafür.
Es gibt zu diesem Thema ein Urteil der Verwaltungsabteilung des Verwaltungsgerichts vom 22.11.2004. In Erw. 5 setzt sich das Gericht mit dem Vermögensverzicht auseinander (damals noch § 12 SHV NW). Danach solle die Anrechnung von Vermögenswerten, auf die verzichtet worden ist, im Umfang von Art. 17a ELV (Verordnung über die Ergänzungsleistungen zur Alters- und Hinterlassenen- und Invalidenversicherung) erfolgen. Danach werde der anzurechnende Betrag von Vermögenswerten, auf die verzichtet worden ist, jährlich um Fr. 10'000.-- (Abs. 1) vermindert. Der Wert des Vermögens im Zeitpunkt des Verzichts sei unvermindert auf den 01.01. des folgenden Jahres zu übertragen und danach nach einem Jahr zu vermindern.
Die ELV ist in der Zwischenzeit dahingehend geändert worden, dass in Art. 17b ELV definiert wird, dass ein Vermögensverzicht vorliegt, wenn Vermögenswerte veräussert werden, ohne dass eine rechtliche Pflicht dazu besteht. Dies ist z.B. bei Schenkungen der Fall. In Art. 17c ELV wird weiter festgehalten, dass das zu berücksichtigende Vermögen jährlich um Fr. 10'000.-- vermindert werde. Neu wird in Art. 17d ELV bestimmt, dass auch Verzichtsvermögen vorliegt, wenn das Vermögen übermässig verbraucht wird. Der zulässige Vermögensverbrauch wird ermittelt, indem die Obergrenze für den Vermögensverbrauch nach ELG auf jedes Jahr des zu betrachtenden Zeitraums angewendet wird und die auf diese Weise ermittelten Jahresbeträge zusammengerechnet werden. In Abs. 3 wird die genaue Berechnung festgehalten.
In Ihrem Fall muss die Sozialhilfe deshalb - entgegen der Regelung in den SKOS-RL und meiner ersten Antwort - nicht prüfen, ob der Klient rechtsmissbräuchlich auf sein Vermögen verzichtet hat. Ausschlaggebend ist bezüglich der Schenkungen an seine Söhne einzig, dass er keine Rechtspflicht hatte, sein Vermögen an seine Söhne zu verschenken (eine solche erkenne ich zumindest nicht). Die Schenkungen an die Söhne sind deshalb von 2007 an zu berücksichtigen. Es ist jeweils im Folgejahr ein Abzug von Fr. 10'000.-- zu machen. Betreffend der übrigen unklaren Vermögensabnahme ist allenfalls zu prüfen, ob diese nach Art. 17d ELV zu berücksichtigen ist und wenn ja in welcher Höhe.
Zwischenfazit: Sicher ist, dass der letzte Vermögensverzicht aus dem Jahre 2020 von Fr. 40'000.-- deshalb voll und ganz als Vermögen anzurechnen ist. Damit muss der Klient wohl als nicht bedürftig betrachtet werden und die Unterstützungsleistungen können eingestellt werden, bis die jährlich abzuziehenden Fr. 10'000.-- den Betrag soweit mindern, dass der Klient als bedürftig gelten kann.
Das Problem der Unzurechnungsfähigkeit im Zeitpunkt der Schenkung muss meiner Ansicht nach der Beistand lösen. Er muss vom Sohn bzw. den Söhnen das Geld zurückverlangen wegen Unzurechnungsfähigkeit und somit rechtlich nicht erfolgter Schenkung und allenfalls ein Gerichtsverfahren anstrengen, um das Geld wieder zu erhalten und für den Unterhalt des Verbeiständeten einsetzen zu können. Ist es dann tatsächlich aufgebraucht, kann und darf es nicht mehr als Verzichtsvermögen berücksichtigt werden.
Allenfalls - ich fände dies verhältnismässig - kann die Sozialhilfe entgegenkommend dem Beistand eine Frist setzen, um von den Söhnen die geschenkten Fr. 40'000.-- zurückzuverlangen und das Verzichtsvermögen erst nach Ablauf dieser Frist anrechnen.
2. Verwandtenunterstützungspflicht
Diese Frage erübrigt sich allenfalls, wenn die Unterstützungsleistungen für den Klienten wegen Anrechnung von Verzichtsvermögen eingestellt werden müssen. Ich finde aber ein Gespräch mit den Söhnen so oder so sinnvoll, denn erstens finde ich es nicht nur rechtlich sondern auch moralisch richtig, wenn sie dem Vater zumindest die im Jahre 2020 erhaltenenen Fr. 40'000.-- zurückbezahlen und zweitens kann sich die Frage nach der Verwandtenunterstützung im Zeitpunkt der Wiederaufnahme der Unterstützung erneut stellen. Materiell verweise ich auf meine erste Antwort.
Ich entschuldige mich nochmals in aller Form für das Übersehen von Art. 8 Abs. 3 SHV NW und hoffe, Ihnen mit meiner erneuten Antwort weiterhelfen zu können.
Freundliche Grüsse
Anja Loosli Brendebach