Liebes Expertenteam
Frau M. wurde im Oktober 2020 in die Sozialhilfe aufgenommen. Es wurde ergänzend zum Lohn ein Aufenthalt in einer Gastfamilie finanziert. Sie lag mit CHF 1700.00 über dem Vermögensfreibetrag von CHF 4000.00 und zahlte dies unserem Dienst ein. Frau M. hat nun eine Veranlagungsverfügung bekommen und die Rechnung für die Steuern 2020. Frau M kommt aus einem anderen Kanton, wo keine Akontorechnungen geleistet werden. Daher war sie der Annahme, dass sie mit ihrem Vermögen die Steuern nach der Veranlagung zahlt.
War das Vorgehen von unserem Dienst korrekt? Wie verhält es sich mit Vermögen, welches explizit angespart wurde um die Steuerrechnungen zu begleichen?
Besten Dank für Ihre Bemühungen.
Freundliche Grüsse
Frage beantwortet am
Anja Loosli
Expert*in Sozialhilferecht
Guten Tag
Vielen Dank für Ihre Frage. Ich beantworte diese gerne wie folgt:
Bevor eine Unterstützung mit Sozialhilfe erfolgen kann, hat die Klientel ihr Vermögen bis auf den entsprechenden Freibetrag zu verbrauchen, soweit das möglich und zumutbar ist (Art. 8 Sozialhilfeverordnung BE, SHV, SG 860.111 i.V.m. Kapitel D.3 SKOS-Richtlinien). Flüssiges Vermögen wie Bargeld, Bank- und Postkontoguthaben, Forderungen, Wertgegenstände etc. ist zu verwerten und durch die Klientel für den eigenen Lebensunterhalt zu verwenden (Kapitel D.3 SKOS-Richtlinien). Der unterstützten Person wird ein Vermögensfreibetrag zugestanden. Dieser beträgt nach Kapitel D.3 Abs. 4 SKOS-Richtlinien bei Unterstützungsbeginn Fr. 4'000.-- für Einzelpersonen. Grundsätzlich nicht vom Vermögen abzuziehen sind vorhandene Schulden. Dies ist deshalb so, weil die Sozialhilfe nur den aktuellen Bedarf deckt und deshalb grundsätzlich keine Schulden übernimmt (Art. 30 Abs. 4 SHG) und diese deshalb auch nicht im Zeitpunkt der Antragstellung berücksichtigt werden können. Eine Ausnahme ist nur dann zu machen, wenn dadurch eine bestehende oder drohende Notlage behoben oder vermieden werden kann. Dies ist der Fall, wenn eine Verschlechterung der Lebenssituation im Sinne einer Verarmung, Obdachlosigkeit oder der Verlust medizinischer Versorgung droht. So kann beispielsweise die Übernahme von ausstehenden Mietzinsen sinnvoll sein, wenn dadurch günstiger Wohnraum gesichert werden kann. Zwar übernimmt die Sozialhilfe abgesehen von den obigen Situationen keine Schulden, der Sozialdienst steht der Klientel bei der Schuldenregelung aber beratend zur Seite. Insbesondere wird der Erlass von Steuerschulden angestrebt. Eine Schuldenrückzahlung während der Unterstützung ist in der Regel deshalb nicht möglich (Handbuch Sozialhilfe BKSE).
Vorliegend ist keine Ausnahmesituation gegeben, zumal die Übernahme der Steuerschulden bzw. die Berücksichtigung der Steuerschulden die Bedürftigkeit nicht verhindert hätte. Die Steuerschulden können deshalb nicht berücksichtigt bzw. vom Vermögen abgezogen werden. Daran ändert auch nicht, dass die Klientin im Herkunftskanton keine Akontozahlungen leisten musste und das Geld mit dem Zweck der Begleichung der Steuerschulden angespart hat. Andernfalls dürfte jegliches Vermögen, das zur zukünftigen Schuldentilgung angespart wurde, nicht berücksichtigt werden. Dies entspricht nicht dem Grundsatz der Behebung einer aktuellen Notlage in der Sozialhilfe.
Fazit: Es ist richtig, das für die Steuerschuldentilgung angesparte Vermögen bei der Berechnung der Bedürftigkeit zu berücksichtigen.
Ich hoffe, Ihnen mit dieser Antwort weiterhelfen zu können.
Freundliche Grüsse
Anja Loosli Brendebach