Guten Tag
Im Herbst hat sich eine alleinerziehende Mutter mit ihrem Sohn für den Bezug von wirtschaftlicher Sozialhilfe angemeldet, wofür sie nach Prüfung der Verhältnisse auch berechtigt sind.
Erst jetzt hat sich gezeigt, dass noch ein Bankkonto besteht, welches auf den 14-jährigen Sohn lautet. Dieses sei gedacht für "Wünsche und Träume". Es soll einerseits gespart werden für die Zeit nach der Schule, für den Fahrausweis etc. Andererseits sollen auch länger gehegte Pläne erfüllt werden, wie z.B. eine Städtereise nach Barcelona mit der Gotte. Schliesslich würden auch esoterische Weiterbildungen ("Sehen ohne Augen") darüber bezahlt, welche der Junge besuchen wolle. Die Mutter sowie Gotten/Göttis zahlen je nach Bedarf darauf ein. Es handelt sich also nicht um ein klassisches Sparkonto.
Gemäss dem BKSE-Handbuch darf Kindesvermögen nicht zur Berechnung der WSH einbezogen werden. Wie sieht es aus, wenn nun neue Einzahlungen darauf gemacht werden, z.B. von einer Gotte? Wäre dies dann als Einnahmen mit ins SH-budget einzubeziehen oder eben wegen Kindesvermögen nicht? Und spielt es eine Rolle, für welchen Zweck das Geld einbezahlt und dann auch verwendet wird?
Herzlichen Dank für eine Rückmeldung auf diese Fragestellung.
Freundliche Grüsse
Silvio Pfäffli
Frage beantwortet am
Ruth Schnyder
Expert*in Sozialhilferecht
Sehr geehrter Herr Pfäffli
Gerne beantworte ich Ihre Frage. Die Frage der Verwendung von Kindesvermögen ist im Zivilrecht in Art. 318 ff. ZGB geregelt. Dasselbe lässt sich für die im Kanton Bern nach Art. 8 Abs. 1 SHV verbindlichen SKOS-Richtlinien (vorbehältlich Abweichungen im SHG oder in der SHV) entnehmen (Kap. E.2.1 SKOS-Richtlinien), ebenso dem von Ihnen zitierten BKSE-Handbuch unter dem Stichwort «Vermögen».
Generell ist das Kindesvermögen ein geschütztes Vermögen, das nicht für den Kindesunterhalt eingesetzt und deshalb auch nicht von der Sozialhilfe berücksichtigt werden darf. Ausgenommen sind Erträge des Kindesvermögens (Zinsen, Dividenden etc.), ausser in den Fällen von Art. 321 Abs. 1 ZGB (dazu weiter unten). Auch ausgenommen sind Abfindungen, Schadenersatz und ähnliche Leistungen, welche in Teilbeträgen für den Kindesunterhalt eingesetzt werden dürfen (Art. 320 Abs. 1 ZGB). Schliesslich ist die Kindesschutzbehörde befugt, die Anzehrung zu bewilligen, wenn es für die Bestreitung der Kosten des Unterhalts, der Erziehung oder der Ausbildung als notwendig erscheint sowie in weiteren Fällen (Art. 320 Abs. 2 ZGB).
Aufgrund der dargelegten Rechtslage ist im geschilderten Fall das Geld, das auf dem auf den Sohn lautenden Bankkonto liegt, dem Kindesvermögen zuzuordnen. Die Sie beschäftigende Frage ist aber, wie mit späteren Einzahlungen auf das Konto umzugehen ist. Klare Antworten finde ich in der Literatur nicht dazu. Von der Logik des ZGB her, bin ich der Meinung, dass als Sparbeitrag einbezahlte Beträge von Gotte und Götti sowie Mutter ebenfalls zu Kindesvermögen werden. Dies deckt sich auch mit dem oben erwähnten Art. 321 Abs. 1 ZGB, wonach sogar die Erträge von den Eltern nicht verwendet werden dürfen, wenn das Kind Zuwendungen als Spargeld erhält (oder einfach mit der ausdrücklichen Auflage, die Erträge nicht verwenden zu dürfen, oder unter Bestimmung zinstragender Anlage).
Werden die einbezahlten Beträge zu Kindesvermögen, ist es dann aber der Mutter rechtlich untersagt, auf das Geld zuzugreifen, da gemäss Ihren Schilderungen keine der gesetzlichen Anzehrungsbefugnisse (Schadenersatz usw. gemäss Art. 320 Abs. 1 ZGB) zum Tragen kommen. Vielmehr müsste die Mutter die KESB um Bewilligung ersuchen. Auf der anderen Seite ist es nicht von der Hand zu weisen, das Vorgehen der Mutter (ohne Bewilligung der KESB) als Rechtfertigung für die sozialhilferechtliche Anrechnung der getätigten Bezüge zu betrachten. Vorgängig sollte der Mutter die rechtliche Situation aber aufgezeigt werden. Ihr wäre zu empfehlen, für das Vermögen ein Sperrkonto für den Sohn einzurichten, auf das sie nicht mehr zugreifen kann, oder einfach keine Bezüge mehr vom Konto zu machen. Möchte sie an den Bezügen weiterhin festhalten, muss sie an die KESB gelangen.
Hält sie weiterhin an den Bezügen fest, ohne dafür die Bewilligung der KESB zu haben, könnte es gerechtfertigt sein, diese im Sinne freiwilliger Zuwendungen (siehe dazu nächster Abschnitt) anzurechnen, vorausgesetzt dieser Schritt wurde ihr vorgängig angedroht.
Würde die Mutter KIndesvermögen antasten, das zu Beginn der Unterstützung bereits vorhanden war, wäre zu prüfen, ob die Beträge noch in den Vermögensfreibetrag fallen würden (unter Einbezug von ihrem eigenen Vermögen). Beim Vorgehen der Mutter ohne Bewilligung der KESB könnte die Sozialhilfe auch in Erwägung ziehen, die KESB von ihrer Seite her einzuschalten, insbesondere dann, wenn das Geld nicht im Interesse des Kindes verwendet wird.
Kein Kindesvermögen wären aus meiner Sicht jedenfalls Zuwendungen von Gotte und Götti für den Sohn, die direkt für Ausgaben von ihm, d.h. für seinen Unterhalt gedacht sind (Reisen, Kurse, Kauf eines Fahrrades etc.). Sie sind vielmehr als freiwillige Zuwendungen für seinen aktuellen Bedarf einzustufen und deshalb nicht als Kindesvermögen zu qualifizieren. Dies auch dann, wenn die für den aktuellen Bedarf bestimmten Geldbeträge zunächst auf sein Konto fliessen, dann aber direkt für die betreffende Ausgabe abgehoben bzw. verwendet werden.
Dazu ist festzuhalten, dass bei der Anrechnung freiwilliger Zuwendungen nach der Lehre differenziert vorzugehen (Guido Wizent, Sozialhilferecht, Dike Zürich/St. Gallen, 2019, S. 241 ff., Felix Wolffers, Grundriss des Sozialhilferechts, 2. A., Bern 1999, S. 154). Zuwendungen im bescheidenen Umfang, die zur Ergänzung der Sozialhilfe bestimmt sind und bei einer Anrechnung wegfallen würden, sollen nicht angerechnet werden. Darüber hinaus sind solche Zuwendungen nicht anzurechnen, die der Zielsetzung der Sozialhilfe entsprechen (Wolffers und Wizent, a.a.O.). Nicht zulässig sind aber Zuwendungen, wenn sie zu einer deutlichen Besserstellung führen, gar Luxuszuwendungen darstellen. In diese Richtung gehen auch die Empfehlungen im Handbuch für die Sozialhilfe im Kanton Bern (BKSE) zur Handhabung von Zuwendungen (Stichwörter freiwillige Leistungen Dritter), wobei es bei den Zuwendungen, die der Zielsetzung der Sozialhilfe entsprechen, im Regelfall einen Richtwert empfiehlt.
Bei dieser Einschätzung der Rechtslage möchte ich abschliessend darauf hinweisen, dass diese Frage meines Wissens bis jetzt nicht von einem Gericht entschieden wurde und durchaus wohl auch andere Ansichten in Bezug auf die Anrechnung von Kindesvermögen (ohne Bewilligung der KESB) und der zweckbestimmten Zuwendungen für den aktuellen Bedarf vertreten werden können.
Ich hoffe aber, insoweit Ihre Frage beantwortet zu haben. Falls Sie noch Fragen haben, stehe ich gerne zur Verfügung.
Freundliche Grüsse
Ruth Schnyder