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Vergurtung/Fixierung im privaten Bereich

Veröffentlicht:
29.05.2017
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Kindes- und Erwachsenenschutz

Guten Tag
Ich habe eine rechtliche Anfrage betreffend Vergurtung/Fixierung einer Person im privaten Bereich:
Frau X. ist 89-jährig und demenziell erkrankt. Ihre Tochter (65-jährig) pflegt sie seit Jahren zu Hause – die Mutter ist noch aktiv und mobil, jedoch geistig teils mehr, teils weniger verwirrt. Aufgrund eines Sturzes aus dem Bett, beschloss die Tochter, die Mutter ans Bett zu fixieren, mittels drei locker sitzenden (Hosen-) Gurten.
Die rechtlichen Nachforschungen zu diesem Sachverhalt stellten sich als schwierig heraus. Im privaten Bereich ist vergleichsweise wenig geregelt wie z. B. in Kliniken und Heimen. Bewegungs-einschränkende Massnahmen sind lediglich im Zusammenhang eines Aufenthalts von urteilsunfähigen Personen in Wohn- und Pflegeeinrichtungen unter Art. 438 ZGB und Art. 383 ZGB (FU) geregelt. Diese Normen sind also für die „private Pflege“ nicht anwendbar. Hierbei kommen vielmehr die allgemeinen Vorschriften zum Persönlichkeitsschutz zum Tragen, namentlich die strafrechtlichen (Freiheitsentzug und Körperverletzung/Tätlichkeit, etc.) und die privatrechtlichen (etwa Art. 27 ff. ZGB). Sofern kein ausdrückliches Einverständnis von urteilsfähigen betroffenen Personen vorliegt, bewegen sich die „privaten Pfleger“ in einem Graubereich.
Meine Fragen:
Was müsste vorliegen, damit diese Massnahme rechtlich abgestützt ist? Muss der Hausarzt regelmässig vor Ort die Situation überprüfen?
Ist diese Massnahme Teil des FU-Gesetzes, oder nicht, da sich die Person grundsätzlich selber abschnallen kann (da normaler Hosengurt) UND sich diese Massnahme ohne Widerstand gefallen lässt? (z.K: Frau X zeigt bei anderen Themen deutlichen Widerstand)
Sind andere Massnahmen zur Vermeidung von Stürzen (Bett, Fixleintuch) nicht möglich und/oder erlaubt?
Besten Dank für die Hilfe.
Mit freundlichen Grüssen
K. Junker

Frage beantwortet am

Karin Anderer

Expert*in Kindes- und Erwachsenenschutz

Sehr geehrte Frau Junker
Sie haben das richtig recherchiert, der Persönlichkeitsschutz kommt hier zum Tragen. Die Tochter bewegt sich aber nicht im Graubereich, wenn die Fixierung gegen oder ohne den Willen der Mutter vorgenommen wird; sie begeht eine Persönlichkeitsverletzung, die zivilrechtliche und strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen kann.
Für die Anordnung von bewegungseinschränkenden Massnahmen im ambulanten oder privaten Bereich fehlen gesetzliche Grundlagen und auch die FU-Regeln sind nicht anwendbar (Anderer/Mösch, in: FHB Kindes- und Erwachsenenschutz, N. 7.11).
Thematisch lässt sich die vorliegende Situation der „Häuslichen Gewalt im Alter“ zuordnen. Das Festbinden zur Sturzprävention ohne Einwilligung ist eine Form von Gewalt. Wie das Verhalten der Mutter „sie leistet keinen Widerstand“ einzuordnen ist, kann ich nicht beurteilen; sie dürfte zu ihrer Tochter in einer Abhängigkeitsbeziehung stehen.
Das lose Festschnallen mit 3 Hosengürtel ist gefährlich und kann bei einer Person mit Verwirrtheitszuständen fatale Folgen haben. Die Tochter benötigt fachliche Unterstützung, wie vorliegend der Sturzprävention zuhause begegnet werden kann. Dazu muss eine Beratung und Abklärung vor Ort stattfinden. Der ambulante und private Bereich stellt zumeist kein geeignetes Umfeld für bewegungseinschränkenden Massnahmen dar, da ihre Durchführung überwacht werden muss.
Vorliegend ist es notwendig, die Situation der Mutter (die möglicherweise Gewalt erfährt) und der Tochter (die möglicherweise überlastet und überfordert ist) zu analysieren. Dazu empfehle ich Ihnen, mit einer Fachperson die Fallsituation zu besprechen und eine Handlungsstrategie zu entwickeln. Sie können sich z.B. an die Unabhängige Beschwerdestelle für das Alter (UBA), die lokale Spitex oder die Alzheimervereinigung wenden. Auf der Website der UBA finden Sie zur Thematik weitere Angaben, z.B. das Merkblatt für Fachpersonen, „Haben sie den Verdacht, dass einer ihrer Patienten/Klienten von Gewalt betroffen ist?“
Ich hoffe, die Angaben helfen Ihnen weiter und ich grüsse Sie freundlich.
Karin Anderer
1.6.2017