Guten Tag
Der Vollzug der Sozialhilfe im Kanton Wallis wird über das Gesetz der Eingliederung und Sozialhilfe (GES) und dessen Verordnung (VES) (Ausgaben Juli 2021) geregelt. Kann-Formulierungen im Gesetz bewirken, dass ein entsprechender Ermessenspielraum vorhanden ist.
In der Praxis obliegt dem Sozialdienst die Rolle der Antragsstellenden Institution (Art. 8 Abs. 1 Bst. a u. ff GES). Den Gemeindebehörden obliegt die Aufgabe, über die Gewährung von materieller Hilfe zu entscheiden (Art. 7 Abs. 1 Bst. c GES) und der kantonalen Dienststelle für Sozialwesen (DSW) die abschliessende Kontrollaufgabe über das von der zuständigen Gemeinde verfügte Verfahren (Art. 12 Abs. 1 Bst. c GES).
Das kantonale Gesetz über die Harmonisierung der Finanzen regelt den Finanzausgleich der geleisteten Sozialhilfeausgaben nach einem Verteilschlüssel. 70% der anerkannten Ausgaben werden von Kanton finanziert und die restlichen 30% auf die Gemeinden, wobei noch ein zusätzlicher Verteilschlüssel zur Anwendung kommt, welcher vorsieht, dass von diesen 30% die zuständige Gemeinde 11% der Kosten übernehmen muss und die verbleibenden 19% werden von allen Gemeinden gemeinsam finanziert.
Wir stellen fest, dass es in der Praxis immer wieder zu Situationen kommt, bei welchen auf Antrag des Sozialdienstes eine Gemeinde einen positiven Beschluss verfasst und die Gutheissung eines Antrags mittels Verfügung an die bedürftige Person verfügt. Bedingt durch administrative Prozesse zwischen den involvierten Systemen (Sozialdienst – Gemeinde – Kanton) verzögert sich die abschliessende Kontrolle durch die DSW. Die erwähnte Verzögerung zwischen dem Beschluss der Gemeinde und der Ratifizierung durch die DSW führt dazu, dass es zu Auszahlungen von beantragten und durch die Gemeinde bewilligten Leistungen an bedürftige Personen kommt. Aberkennt die DSW einen durch die Gemeinde bewilligten Betrag, führt dies dazu, dass die Gemeinde den Kantonsanteil von 70% am Betrag aus der «eigenen» Kasse finanzieren muss. Wir beobachten in solchen Situationen, dass Gemeinden in solchen Situationen die verfügte Gutheissung revidieren und in Anlehnung an die Stellungnahme der DSW den Antrag erneut mittels Verfügung ablehnen.
Wir stellen uns die Frage, in wieweit mit diesem Vorgehen das Verfahrensrecht tangiert oder gar ausgehebelt wird.
Ein Beispiel: eine bedürftige Person stellt einen Antrag, welcher von der Gemeinde gutgeheissen wird. Es kommt zur Auszahlung. Der gutgeheissene Betrag wird an die Person ausbezahlt welche den Betrag zweckbestimmt verwendet (bspw. Möbelanschaffung). Wochen oder Monate später erhält die bedürftige Person erneut ein Schreiben der Gemeinde, in welchem die Gemeinde per Verfügung mitteilt, dass der Betrag zu Unrecht ausbezahlt wurde und dieser zurückerstattet werden muss.
Gerne erwarten wir eine Rückmeldung von Ihnen, wie sie aus juristischer Sicht die aktuelle Praxis beurteilen und welche Grundsätze allenfalls berücksichtigt werden müssen, damit aus Sicht des Verfahrensrechts die Bearbeitung ordentlich verläuft.
Frage beantwortet am
Ruth Schnyder
Expert*in Sozialhilferecht
Guten Tag
Gerne beantworte ich Ihre Anfrage. Bevor ich zur Frage komme, ob das Zurückkommen der Gemeinde auf ihre verfügte Leistungszusprache zulässig ist, möchte ich kurz auf die Rolle der DSW eingehen.
Nachdem die Gemeinde mittels Verfügung (Art. 9 VES) über die materielle Hilfe entschieden hat (Art. 7 Abs. 1 lit. c GES) übermittelt sie der DSW die für die Eröffnung des Dossiers notwendigen Unterlagen sowie die für die Kostenaufteilung erforderlichen Sozialhilfeabrechnungen gemäss Harmonisierungsgesetz (Art. 7 Abs. 1 lit. i GES) und benutzt dafür das vorgesehene Formular (Art. 12 VES). Die DSW bestimmt sodann die Beträge, welche von der Sozialhilfe anerkannt werden und der Kostenaufteilung zwischen Staat und Gemeinden unterstellt sind (Art. 12 Abs. 1 lit. c GES). Die DSW kontrolliert demnach die von den Gemeinden übermittelten Beträge darauf, dass diese die Vorgaben von Art. 77 GES erfüllten. Art. 77 GES definiert den Gegenstand der Aufteilung (Abs. 2) und hält fest, welche Kosten nicht in die Aufteilung aufgenommen werden dürfen somit von den Gemeinden zu tragen sind (Abs. 2). Zu Lasten der Gemeinden gehen in diesem Zusammenhang u.a. Kosten, die die Gemeinde oder das sozialmedizinische Zentrum zu Unrecht, unter Verletzung ihrer Sorgfaltspflicht gewährte, oder nicht anerkannte materielle Hilfe oder Vorschüsse (Art. 77 Abs. 3 lit. c GES). Demnach darf die DSW übermittelte Beträge von der Ausgleichung ausschliessen, wenn der Hilfeleistung eine Verletzung der Sorgfaltspflicht zugrunde liegt bzw. diese rechtlich nicht abgestützt werden kann somit zu Unrecht erfolgte.
Meines Erachtens ist die DSW aber nicht legitimiert, Beträge von der Ausgleichung auszuschliessen, deren Gewährung im Ermessen der Gemeinde lag. Vielmehr muss der Gemeinde eine Rechtsverletzung vorgeworfen werden können. Bei Ihrem Beispiel wäre dies allenfalls denkbar, wenn das SMZ etwa Mobiliar finanzierte, das eindeutig nicht zur Grundausstattung gehört, z.B. ein Gästebett, und insoweit die Weisung des Departements zur Anwendung des GES (nachfolgend: Weisung) verletzt. Keine Rechtsverletzung liegt aber etwa vor, wenn die Gemeinde einen Betrag gutspricht, der der Anschaffung eines neuen Bettes dient anstelle eines karitativen. Denn die Weisung räumt in dieser Frage Ermessen ein, indem in Ziffer 18.2.3 festgehalten ist, dass das SMZ verlangen kann, dass die Person sich vorrangig an karitative Einrichtungen (Gebrauchtmöbel) wendet. Liegt eine Rechtsverletzung vor, bedeutet dies lediglich, dass die betroffenen Beträge nicht der Ausgleichung zugeführt werden und die Gemeinde diese alleine tragen muss. Der Ausschluss von der Ausgleichung stellt weder eine Aufforderung an die Gemeinde noch eine Legitimation der Gemeinde dar, diese abgelehnten Beträge vom betreffenden Klienten bzw. von der betreffenden Klientin zurückzufordern.
Nach Art. 54 GES kann die Gemeinde aber unberechtigterweise ausgerichtete Leistungen zurückfordern. Die Rückforderung ist selbstredend zulässig, wenn der unberechtigte Leistungsbezug von der Klientin bzw. dem Klienten zu vertreten ist (Abs. 2). Sie ist aber auch zulässig, wenn kein Verschulden seitens Klientin bzw. Klient vorlag, die Leistung namentlich infolge eines Irrtums der Sozialhilfebehörden oder in Erwartung eines nicht eingetretenen Ereignisses unberechtigterweise ausgerichtet wurde (Abs. 3). Insbesondere die Rückforderung gestützt auf Art. 54 Abs. 3 GES bzw. wegen eines Fehlers der Gemeinde bzw. des SMZ ist heikel und kann zu stossenden Ergebnissen gegenüber dem Klienten bzw. der Klientin führen.
Wenn die Leistung wie in Ihrem Beispiel verfügt wurde, müssen auch die Vorschriften nach VVRG zu Widerruf und Abänderung eingehalten werden. Nach Art. 32 VVRG kann die Behörde von Amtes wegen oder auf Gesuch hin eine mangelhafte Verfügung zurücknehmen, wenn wichtige öffentliche Interessen es gebieten, die nicht anders wahrgenommen werden können, soweit nicht besondere Vorschriften, die Natur der Sache, der Grundsatz von Treu und Glaube oder andere allgemein anerkannte Rechtsgrundsätze (dem Widerruf bzw. der Abänderung) entgegenstehen. Weitere Gründe stellen wesentliche Sach- und Rechtsänderungen dar.
Wie bereits oben dargelegt, stellt die Ablehnung des DSW, einen Betrag der Ausgleichung zuzuführen, für sich alleine keinen Grund dar, von einer unberechtigterweise ausgerichteten Leistung auszugehen. Vielmehr muss die Gemeinde unter Anwendung von GES, VES, Weisung und SKOS-RL darlegen, weswegen die konkrete Leistung zu Unrecht erfolgt ist und ein Widerruf der Verfügung nach Art. 32 VVRG angezeigt ist. Auch in dieser Frage kann eine Leistung nicht als zu Unrecht bezeichnet werden, wenn die Leistungszusprache im Rahmen des Ermessens lag (z.B. das neue Bett anstelle es karitativen).
Hinzukommt, dass in diesen Fällen der Erlass geprüft werden muss, wenn die Person durch die Rückerstattung in eine schwierige finanzielle Situation gerät (Art. 61 Abs. 4 VES, Weisung Ziff. 23.2.2 und Ziff. 23.11). Nach SKOS-RL E.5 (die SKOS-RL gelten im Kanton Wallis subsidiär zur Weisung, Art. 43 VES) kann in Härtefällen auf Gesuch hin die Rückforderung gestundet oder ganz/teilweise verzichtet werden. Ein Härtefall liegt nach SKOS-RL E.5 Abs. 2 vor, wenn die Rückerstattung aufgrund der gesamten Umstände unbillig oder unter Berücksichtigung der finanziellen und persönlichen Situation unverhältnismässig erscheint. Der Erlass bei der Rückerstattung ohne Verschulden ist meines Erachtens von Amtes wegen zu prüfen, ohne ein Gesuch abzuwarten, da der Fehler für die fehlerhafte Leistungszusprache nicht bei der unterstützten Person lag, sondern bei der Gemeinde (die Prüfung von Amtes wegen wird ebenfalls in Ziff. 23.11 der Weisung vorgesehen). Wenn die Gemeinde zudem die DSW in die Prüfung des Erlasses einbezieht, können die alsdann erlassenen Beträge gleichwohl in die Ausgleichung einfliessen. So kann jedenfalls Ziff. 23.11 der Weisung verstanden werden, der folgende Regelung enthält: «Vor der Gewährung eines Erlasses muss die Sozialhilfebehörde eine Vormeinung der DSW einholen. Anderenfalls können die Kosten nicht in die Verteilung aufgenommen werden.»
Ich hoffe, Ihnen mit diesen Ausführungen Ihre Frage beantwortet zu haben.
Ich wünsche Ihnen frohe Festtage.
Freundliche Grüsse
Ruth Schnyder