Liebe Karin
Immer häufiger haben wir PatientInnen mit einem Vorsorgeauftrag, bei denen (aufgrund von fortgeschrittener Demenz) von einer andauernden Urteilsunfähigkeit (in den meisten Bereichen) auszugehen ist, sodass wir während der Hospitalisation meist im Rahmen des Gesuchs um FU-Verlängerung, auch um Validierung des Vorsorgeauftrages ersuchen. D.h. wir informieren die KESBs, dass ein Vorsorgeauftrag vorliegt und u.E. der Vorsorgefall eingetreten ist und bitten diese um entsprechende Klärung. Die Anregung der Validierung während der Hospitalisation ist sodann auch meist zentral mit der Anschlusslösung verbunden (Vertretungsmassnahmen insb. zur Heimfinanzierung).
Nun ist es mir mehrmals begegnet, dass die (unterschiedlichen) KESBs bei der Feststellung der Urteilsunfähigkeit nur auf unseren Bemerk, d.h. auf unser Gesuch mit Bitte um Überprüfung, ob der Vorsorgeauftrag gültig ist, abgestellt haben. D.h. es wurde weder ein externes Gutachten eingeholt noch die betroffene Person angehört. Teilweise ist es mir auch schon begegnet, dass die KESBs bei meiner Nachfrage zum Stand des Validierungsverfahrens eine explizite Bestätigung der Urteilsunfähigkeit verlangt haben, um überhaupt die Validierung einzuleiten. D.h. hier wurde vermittelt, wir seien in einer Bringschuld und es bestünde keine Sachverhaltsermittlung von Amtes wegen. (Insofern zeitgleich die (Verlängerung der) FU überprüft wird, findet zwar meist eine Anhörung der Patientin/ des Patienten statt, jedoch werden diese hier nicht immer mit der gleichzeitigen Validation des Vorsorgeauftrags konfrontiert, sodass man schlussfolgern könnte, man hätte beides in einem Verfahren überprüft.)
Bin ich richtig in der Annahme, dass auch im Rahmen eines Vorsorgeauftrages die Verfahrensgrundsätze nach ZGB 446ff. gelten, mit der Folge, dass die Patientin bzw. der Patient bei Verhältnismässigkeit (die m.E. nicht leichthin zu verneinen ist) angehört werden muss und vor allem die Feststellung der Urteilsunfähigkeit unabhängig erfolgen muss bzw. explizit überprüft werden muss und diese Unabhängigkeit können wir als "Behandler" nun mal nicht erbringen?
Erachtest du das geschilderte Vorgehen der KESBs als rechtmässig?
Liebe Grüsse
Frage beantwortet am
Karin Anderer
Expert*in Kindes- und Erwachsenenschutz
Liebe Anna
Zuerst: Bitte entschuldige, deine Anfrage ist bei mir untergegangen.
Ja, du liegst mit deiner Annahme richtig.
Art. 363 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 ZGB regelt Folgendes: Erfährt die Erwachsenenschutzbehörde, dass eine Person urteilsunfähig geworden ist, und liegt ein Vorsorgeauftrag vor, so prüft die Erwachsenenschutzbehörde u.a., ob die Voraussetzungen für seine Wirksamkeit eingetreten sind. Eine der Voraussetzungen ist der Eintritt der Urteilsunfähigkeit.
Die KESB hat gestützt auf Art. 446 Abs. 1 ZGB die Urteilsunfähigkeit von Amtes wegen zu prüfen. Nach Art. 446 Abs. 2 ZGB zieht sie die erforderlichen Erkundigungen ein und erhebt die notwendigen Beweise. Sie kann eine geeignete Person oder Stelle mit Abklärungen beauftragen. Nötigenfalls ordnet sie das Gutachten einer sachverständigen Person an (ZK-Boente, Art. 363, 97 ff. und 101 ff.).
Die Anordnung eines Gutachtens ist nach Art. 446 Abs. 2 ZGB nicht zwingend erforderlich (ZK-Boente, Art. 363, 102). Aber auch wenn die Klinik mit der Meldung ein Arztzeugnis mitschicken würde, muss die KESB daraus die rechtlichen Schlüsse ziehen. Ein Arztzeugnis beschränkt sich auf Tatfragen, die Untersuchung und Beschreibung des „Geisteszustandes“ und die KESB hat die Rechtsfrage zu behandeln, ob auf Urteilsunfähigkeit zu schliessen ist (ZK-Boente, Art. 363, 102).
Art. 363 ZGB enthält eine besondere Regelung zum Verfahren der Erwachsenenschutzbehörde für den Fall, dass eine Person urteilsunfähig wird. Sie ist im Zusammenhang mit den allgemeinen verfahrensrechtlichen Vorschriften der Art. 443 ff. ZGB zu lesen (ZK-Boente, Art. 363 232). So hat auch eine persönliche Anhörung nach Art. 447 Abs. 1 zu erfolgen (ZK-Boente, Art. 363, 237).
Das rechtliche Gehör ist von der persönlichen Anhörung nach Art. 447 ZGB zu unterscheiden (vgl. dazu den Leitfaden“ Rechtliches Gehör in Kindes-und Erwachsenenschutzverfahren“ vom 12. Dezember 2016 der Direktion der Justiz und des Innern (als Aufsichtsbehörde im Kindes-und Erwachsenenschutz) des Kantons Zürich, abrufbar auf: https://kesb-aufsicht.zh.ch/internet/microsites/kesb/de/aufsichtstaetigkeit/empfehlungen_zusammenarbeitspapiere/_jcr_content/contentPar/downloadlist_4/downloaditems/1104_1481551577168.spooler.download.1521563106261.pdf/leitfaden_rechtliches_geh%C3%B6r_.pdf). Die persönliche Anhörung ist ein Teil der Sachverhaltsabklärung und verschafft der KESB einen persönlichen Eindruck der betroffenen Person (Leitfaden, 5 und 18). Nach Art. 447 Abs. 1 ZGB kann auf die persönliche Anhörung verzichtet werden, wenn diese als unverhältnismässig erscheint. Eine (vermutete) Urteilsunfähigkeit oder eine psychische Erkrankung sind noch keine Rechtfertigungsgründe, auf eine persönliche Anhörung zu verzichten; auch in diesen Fällen ist oft ein persönlicher Kontakt möglich. Urteilsunfähige Personen sollen weitmöglichst im Verfahren partizipieren, da die persönliche Anhörung der Wahrung der Persönlichkeitsrechte und der Selbstbestimmung dient (ESR-Komm Steck, Art. 447, 7). So fragen KESB oftmals in Einrichtungen nach, ob auf eine persönliche Anhörung, z.B. aus gesundheitlichen Gründen, ausnahmsweise zu verzichten sei.
Ich hoffe, die Ausführungen helfen dir weiter.
Luzern, 16.7.2019
Liebe Grüsse
Karin