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Urteilsunfähigkeit/ Vetretungsbeistandschaft/ Besuchskontrolle

Veröffentlicht:
16.11.2020
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Kindes- und Erwachsenenschutz

Guten Tag

Eine an Demenz erkrankte jüngere Person hat den Wunsch nach sexuellen Kontakten.  Er sagt, dass er ein Mann sei und ein Bedürfnis nach Sexualität habe. Er hat in der Vergangenheit, bevor er auf die geschlossene Demenzstation kam, verschiedene Kontakte mit Frauen gepflegt. Er ist ein sehr körperorientierter Mensch. Zwischen dem Ehepaar selber gebe es keine sexuelle Nähe mehr. Der Ehemann sei gemäss Ehefrau schon oft untreu gewesen.  Die Ehefrau (zeitgleich auch ernannte Vertretungsbeiständin)  kontrolliert jetzt die Besuche auf der geschlossenen Demenzstation und will nicht, dass diese "Freundinnen" ihren Mann besuchen. Sie hat eine Liste erstellt, wer den Ehemann auf der geschlossenen Demenzabteilung besuchen darf. 

Wie genau sieht das rechtlich aus? Kann und darf die Ehefrau/Vertretungsbeiständin die Kontakte des Ehemannes kontrollieren/bestimmen? 

Herzlichen Dank für Ihre Rückmeldung

Frage beantwortet am

Karin Anderer

Expert*in Kindes- und Erwachsenenschutz

Sehr geehrter Herr Aebersold

Es geht hier um die Privatsphäre und persönliche Freiheit, die auch Personen in Einrichtungen zukommt. Die sexuelle Selbstbestimmung wird u.a. von Grundrecht der persönlichen Freiheit nach Art. 10 Abs. 2 der Bundesverfassung geschützt. Art. 382 ZGB auferlegt Wohn- oder Pflegeeinrichtung die Pflicht, die Persönlichkeit von urteilsunfähigen Person zu schützen und, so weit wie möglich, Kontakte zu Personen ausserhalb der Einrichtung zu fördern.

Die Verordnung über die Rechte und Pflichten der Patientinnen und Patienten und der Gesundheitsfachpersonen des Kantons Bern (Patientenrechtsverordnung, PatV), vom 23.10.2002, BSG 811.011 regelt Folgendes:

Art. 15 Privatsphäre

1 Die Privatsphäre der Patientinnen und Patienten ist zu wahren.

2 Die Patientinnen und Patienten haben das Recht, während der dafür festgelegten Zeiten Besuche zu empfangen. Soweit es die Organisation der Institution zulässt, ist den Patientinnen und Patienten auch zu gestatten, ausserhalb der festgelegten Besuchszeiten Besuche zu empfangen.

3 Auf die Wünsche der Patientinnen und Patienten, ihrer gesetzlichen Vertreterinnen und Vertreter, ihrer Angehörigen und ihnen nahe stehenden Personen ist angemessen Rücksicht zu nehmen, soweit dies in ärztlicher, pflegerischer und betrieblicher Hinsicht erforderlich und möglich ist.

Die Sexualität gehört zu den höchstpersönlichen Rechten nach Art. 19c ZGB. Eine urteilsfähige (und handlungsunfähige) Person übt diese Rechte selbstständig aus. Und nach Art. 407 ZGB muss eine Beistandsperson höchstpersönliche Rechte achten, die verbeiständete Person kann diese selbst ausüben.

Der Herr leidet an zwar an einer Demenz, was nicht bedeutet, dass er in Bezug auf seine Kontakte und seine sexuellen Bedürfnisse als urteilsunfähig einzustufen ist. Er kann sich Ihnen gegenüber, wie es scheint, klar ausdrücken und mitteilen. Idealerweise beurteilen Sie die Urteilsfähigkeit gemeinsam im Team und mit dem Arzt oder der Ärztin. Halten Sie die Einschätzung in der Dokumentation fest. Der urteilsfähige Herr entscheidet somit selbst über seine Besuche, wie auch über seine Sexualität. Dass die Hausordnung eingehalten werden muss, der Heimbetrieb und Bewohner- und Bewohnerinnen nicht gestört bzw. belästigt werden dürfen, das versteht sich von selbst. Institutionen müssen sich damit beschäftigen, wie Bewohner und Bewohnerinnen Liebe, Erotik und Sexualität leben können, wie damit umzugehen ist, was vorzukehren ist, oftmals sind auch Haltungsfragen zu diskutieren.

Hinweis: Die Fachzeitschrift von Curaviva, Verband Heime & Institutionen Schweiz, Ausgabe 5 | 2013 hat das Schwerpunktthema „Sex und Liebe im Alter“, abrufbar auf <https://www.curaviva.ch/files/ODEX1LU/sex_und_liebe_im_alter__fachzeitschrift_curaviva__mai_2013.pdf>.

Auch wenn die Urteilsfähigkeit des Herrn infrage gestellt werden könnte, ist es nach Art. 406 ZGB Aufgabe einer Beistandsperson, die Aufgaben im Interesse der betroffenen Person wahrzunehmen: „Der Beistand oder die Beiständin erfüllt die Aufgaben im Interesse der betroffenen Person, nimmt, soweit tunlich, auf deren Meinung Rücksicht und achtet deren Willen, das Leben entsprechend ihren Fähigkeiten nach eigenen Wünschen und Vorstellungen zu gestalten“.

Bekannt ist, dass der Herr bisher Kontakte zu Frauen pflegte und er seine sexuellen Bedürfnisse mitteilen kann. Es ist somit Aufgabe einer Beiständin, dem Herrn solche Kontakte zu ermöglichen, wenn es seinem mutmasslichem Willen entspricht und es vertretbar ist; es geht im Kern um die Frage, wie der durch den Heimeintritt verursachte unfreiwillige Verzicht auf Kontakte und Sexualität behoben werden kann. Das bedingt, nebst dem Gespräch mit dem Herrn, natürlich auch einen Dialog mit der Einrichtung.

Für die Ehefrau und Beiständin ist ist das nun wahrlich nicht einfach. Sie befindet sich in einem Interessenskonflikt, da ihre Interessen in der „Causa Frauenkontakte und Sexualität des Ehemannes“ denjenigen ihres verbeiständeten Mannes widersprechen. Sie kann ihren Ehemann, jetzt weil er dement ist und in einer Einrichtung lebt, nicht für seine früheren „Verfehlungen“ abstrafen und sozusagen „kaltstellen“.

Nach Art. 403 ZGB entfallen von Gesetzes wegen die Befugnisse des Beistands oder der Beiständin in der entsprechenden Angelegenheit, wenn eine Interessenkollision vorliegt. Die Erwachsenenschutzbehörde ernennt einen Ersatzbeistand oder eine Ersatzbeiständin oder regelt diese Angelegenheit selber.

Hilfreich kann hier eine ethische Fallbesprechung sein, an der die Frau und Beiständin, allenfalls unter Beizug eine Gerontologin, Sexualpädagogin o.Ä., teilnimmt.

Auch wäre eine Kontaktaufnahme mit der KESB zu prüfen, die Ehefrau steht als Beiständin unter Aufsicht der KESB.

Die Einrichtung hat die Privatsphäre und persönliche Freiheit des Herrn zu wahren. Deshalb kann sie einem solchen Ansinnen, gerade zu seinem Schutz nicht ohne Weiteres nachkommen.

Ich hoffe, die Ausführungen helfen Ihnen weiter.

Luzern, 18.11.2020

Freundliche Grüsse

Karin Anderer