Mein Klient hat seit Dezember 2019 Anspruch auf WSH in der Gemeinde X. Im Februar 2020 trat er stationär in die LUPS ein, danach wechselte er in ein begleietetes Wohnen in der Gemeinde Y. Anfangs 2021 wurde er erneut stationär in die LUPS eingewiesen und verliess diese daraufhin im Mai 2021. Während dieser Zeit leistete die Gemeinde X regelmässig WSH-Zahlungen, da gemäss Art. 9 Abs. 3 ZUG der Unterstützungswohnsitz bestehen blieb.
Seit dem Klinikaustritt Ende Mai 2021 hält er sich bei Kollegen auf, da eine Rückkehr ins begleitete Wohnen nicht mehr möglich war. Die erste Woche verbrachte er in einer anderen Wohngemeinde (A) im Kanton NW bei einem Kollegen, danach lebte er für mehr als einen Monat bei der Familie eines Kollegen in nochmals einer anderen Wohngemeinde (B) im Kanton NW. Seit Ende Juli 2021 hält er sich ausserkantonal bei einem Kollegen auf (voraussichtlich für einen Monat). Auf die Frage, wo er eine WG oder eine Wohnung sucht, erwidert er, dass er im Kanton Nidwalden bleiben möchte und hier nach einer neuen Unterkunft Ausschau hält. Da es dem Klienten etwas schwierig fällt, administrative Aufgaben zu erledigen, haben wir bislang auf den Nachweis von Wohnungsbemühungen verzichtet, möchten dies künftig allerdings von ihm verlangen. Auf diese Weise ist dann auch klar ersichtlich, ob und wo er sich für Wohnungen bewirbt / respektive umschaut.
Per Ende April 2021 wurde die WSH in der Gemeinde X beendet, da der Klient für keine Wohnkosten aufkommen musste und den GBL mittels KTG selbst decken konnte. Da das KTG allerdings per 31.05.2021 eingestellt wurde, stellten wir der Gemeinde X per anfangs Juli 2021 einen Antrag zur Wiederaufnahme der WSH ab 01.07.2021 zu. Wir begründeten die Wiederaufnahme der WSH in der Gemeinde X mit dem SKOS-Merkblatt "Örtliche Zuständigkeit in der Sozialhilfe" (Punkt 5.4, S. 8). Aus unserer Sicht bleibt der bisherige Unterstützungswohnsitz in der Gemeinde X weiterhin bestehen.
Mit dem Beschluss vom 16.08.2021 teilt uns die Gemeinde X nun mit, dass der Antrag infolge fehlender Zuständigkeit nicht gewährt wird und keine WSH geleistet wird.
Ist das Vorgehen der Gemeinde X korrekt oder sollen wir binnen 20 Tagen eine Einsprache erheben? Falls der Entscheid der Gemeinde X korrekt ist, wo muss sich der Klient dann für WSH melden? Am aktuellen Aufenthaltsort?
Ich danke Ihnen bereits im Voraus für Ihre Rückmeldung.
Freundliche Grüsse
Frage beantwortet am
Ruth Schnyder
Expert*in Sozialhilferecht
Sehr geehrt Frau Haas
Gerne beantworte ich Ihre Frage.
Im geschilderten Fall stellt sich die Frage, ob Ihr Klient nach Klinikaustritt Ende Mai 2021 zu Sonderzwecken in den verschiedenen Gemeinden inner- und ausserhalb des Kantons Nidwalden gelebt hat. Dies setzt voraus, dass er den bisherigen Unterstützungswohnsitz in der Gemeinde X nicht aufgegeben hat. Sobald davon ausgegangen werden muss, dass er den Unterstützungswohnsitz in der Gemeinde X aufgegeben hat, geht die Unterstützungszuständigkeit der Gemeinde X unter. Im Kanton Nidwalden ist für die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit das ZUG massgeben (Art. 7 Abs. 2 SHG NW).
Für die Frage, ob Ihr Klient nach wie vor Unterstützungswohnsitz (Art. 4 ZUG) in der Gemeinde X hat, sind seine Wille und die gesamten Umstände ausschlaggebend. Denn massgebend ist nach der Rechtsprechung auf welche Absicht die erkennbaren äusseren Umstände schliessen lassen (vgl. Werner Thomet, Kommentar zum Bundesgesetz über die Zuständigkeit (ZUG), 1994, Art. 4 Rz. 97, kurz ZUG-Kommentar). D.h. es wäre abzuklären, inwieweit Anfang Juni 2021 der Klient die Absicht hatte, in der Gemeinde X. zu leben und welche Umstände für diese Absicht sprechen (etwa Aufenthalt tagsüber, Pflege persönlicher Beziehungen in X., sein Hausrat in X). Lässt sich aus diesen Abklärungen keinen Bezug zur Gemeinde X. mehr erstellen, z.B. der Klient wollte nicht mehr in der Gemeinde X leben und die äusseren Umstände lassen auch keinen anderen Schluss zu, dann hat er per Ende Mai 2021 den Unterstützungswohnsitz in der Gemeinde X beendet. Auch wäre möglich, dass es ihm einerlei war, in welcher Gemeinde er lebt, dann wäre meiner Meinung nach ebenfalls der Unterstützungswohnsitz in der Gemeinde X untergegangen, ausser die äusseren Umstände weisen darauf hin, dass sein Lebensmittelpunkt dennoch in der Gemeinde X war, weil er dort sich mehrheitlich aufhielt, seine persönlichen Beziehungen pflegte. Bei alledem kann auch die polizeiliche Anmeldung ein Indiz sein. Beweispflicht für den Wegzug ist jedenfalls die Gemeinde X [ZUG-Kommentar, Art. 9 Rz. 151]. Das Zürcher Verwaltungsgerichts hat sich im Urteil VB.2012.00645 (Erw. 3) zum Thema Sonderzweck bei Ausweisung aus einer Notwohnung widmet. In diesem Urteil hat das Gericht den Sonderzweck verneint und damit den Wegzug aus der bisherigen Gemeinde bestätigt.
Im vorliegenden Fall könnte aus retrospektiver Sicht für einen Wegzug sprechen, falls sich der Klient in keiner Weise bemüht hat, in die Gemeinde X. zurückkehren zu können, wo er doch immer wieder woanders eine Unterkunft fand.
Hat der Klient seinen Lebensmittelpunkt in der Gemeinde X aufgegeben, ist er per Ende Mai 2021 dort weggezogen (Art. 9 Abs. 1 ZUG). Dabei stellt sich bei den drei folgenden Gemeinden jeweils die Frage, ob Unterstützungswohnsitz und Sonderzweck oder Aufenthalt gegeben war bzw. ist. Dabei gibt es verschiedene Varianten, die es abzuklären gilt:
Var 1: Wollte er von Beginn weg in A. bleiben, welche Umstände sprechen dafür? Blieb er A von B aus verbunden (Aufenthalt, persönliche Beziehung usw), wollte bzw. will er und bemüht(e) er sich auch von B und von der ausserkantonalen Gemeinde nach A zurückkehren zu können? Falls ja, dann spricht diese überwiegend dafür, dass er in A Unterstützungswohnsitz begründet hat, aus A demnach nicht weggezogen ist und Gemeinde B sowie ausserkantonal nur Sonderzweck darstellen. Gemeinde A. wäre seit Gesuchstellung seit Anfang Juli für die wirtschaftliche Hilfe zuständig.
Var 2: Wollte er von Beginn weg in B. bleiben, welche Umstände sprechen dafür? Blieb er B von der ausserkantonalen Gemeinde aus verbunden (Aufenthalt, persönliche Beziehung usw), bemühte er sich von der ausserkantonalen Gemeinde wieder nach B. zurückkehren zu können? Falls ja, dann ist er von A. weggezogen und hat in B. Unterstützungswohnsitz begründet. Der ausserkantonale Aufenthalt stellt lediglich ein Sonderzweck dar. Gemeinde B. wäre seit Anfang Juli für die wirtschaftliche Hilfe zuständig.
Bei beiden Varianten ist zu erwähnen, dass der kurze Aufenthalt für sich alleine nicht ausschlaggebend ist, den Unterstützungswohnsitz zu verneinen. Für Aufenthalt würde sprechen, wenn der Klient von Beginn weg die Absicht hatte, nur vorübergehend in A oder B zu bleiben. Falls er in A oder B Unterstützungswohnsitz begründet hätte, dann müssten in Bezug auf den Wechsel in die nächste Gemeinde erneut Wegzug und Sonderzweck zueinander abgewogen werden wie oben bei der Gemeinde X, um festzustellen, ob die bisherige Gemeinde oder neu die Aufenthaltsgemeinde zuständig ist.
Var 3: Er hat weder in A noch B Unterstützungswohnsitz begründet, sondern nur Aufenthalt im Sinne von Art. 11 ZUG, dann ist der jeweilige Aufenthaltsort für die Unterstützung mit wirtschaftlicher Hilfe zuständig, d.h. aktuell die ausserkantonale Gemeinde. Dass er die Absicht kundtut, im Kanton Nidwalden leben zu wollen, spricht meiner Meinung nach nicht dagegen, zumal der Unterstützungswohnsitz sich an einem Wohnort festmachen muss und Absichtserklärungen (soweit Var 1 oder 2 ausgeschlossen werden können) keine Eigenständigkeit zukommen.
Ich hoffe, Ihnen damit den Weg aufgezeigt zu haben, wie im vorliegenden Fall die Zuständigkeit festgestellt werden kann.
Falls es sich nicht um klare Verhältnisse handelt bzw. alle Gemeinden die Unterstützung ablehnen, sollte den Empfehlungen der SKOS zum negativen Kompetenzkonflikt Folge geleistet werden. Rechtlich ist es unzulässig (ein verpönter Zustand), wenn sich keine Gemeinde auch nur für eine vorsorgliche Unterstützung bereit erklärt. Allfällige negative Verfügungen der Gemeinden rate ich Ihnen anzufechten und vorsorgliche Unterstützung zu beantragen.
Freundliche Grüsse
Ruth Schnyder