Guten Tag
Ich bin Vormundin eines unmündigen Kindes im Kanton Bern.
Mit einem KESB-Entscheid von 2015 wurde der Kindsmutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht entzogen und das Kind in einer Pflegefamilie in der Gemeinde A platziert (zuständig KESB Y). Zu diesem Zeitpunkt wohnte die Mutter in der Gemeinde B.
Sie zog 2017 in die Gemeinde C, neue Zuständigkeit der KESB Z. Die KESB Z entzog der Mutter 2019 die elterliche Sorge und stellte das unmündige Kind unter Vormundschaft. Die Kindseltern haben zwischenzeitlich die Schweiz verlassen.
Die KESB Y übernimmt die Vormundschaft. In ihrem Entscheid haben sie ausgeführt, dass da das Kind seit 2015 platziert ist, die Gemeinde A für die Finanzierung der Nebenkosten zuständig ist.
Ich ging davon aus, dass die Gemeinde C weiterhin zuständig bleibt für die Finanzierung der Nebenkosten, da der Mutter die elterliche Sorge erst nach ihrem Umzug in die Gemeinde C entzogen wurde. Dies bedeutet in meinen Augen, dass das Kind den letzten Unterstützungswohnsitz in der Gemeinde C hatte. Sehe ich das falsch? Gilt das Datum des Entzugs des Aufenthaltsbestimmungsrechts als Begründung des letzten Unterstützungswohnsitzes des Kindes?
Herzlichen Dank für Ihre Rückmeldung und mit freundlichen Grüssen.
Mara Berthold
Noch eine kurze Nachfrage:
Der zivilrechtliche Wohnsitz wechselt nun zur KESB Y, oder?
Frage beantwortet am
Urs Vogel
Expert*in Kindes- und Erwachsenenschutz
Erwägungen:
Im Kanton Bern stellt im innerkantonalen Verhältnis das Sozialhilfegesetz (SHG) auf den zivilrechtlichen Wohnsitz ab (Art. 46 Abs. 1 SHG BE). Dies im Unterschied zur Mehrheit der anderen Kantone in der Schweiz, die im innerkantonalen Verhältnis die Bestimmungen des Bundesgesetz über die Unterstützung Bedürftiger [ZUG] analog anwenden. Ein sozialhilferechtlicher Unterstützungswohnsitz hat demnach im innerkantonalen Verhältnis so lange Bestand, bis die bedürftige Person einen neuen zivilrechtlichen Wohnsitz begründet hat. Die Anmeldung bei den Einwohnerdiensten - für Ausländerinnen und Ausländer die Ausstellung einer Anwesenheitsbewilligung -, begründet im Sozialhilferecht die (widerlegbare) Vermutung, die betroffene Person habe an diesem Ort ihren Wohnsitz begründet (Art. 11d SHV BE).
Innerkantonal teilt das minderjährige Kind unter elterlicher Sorge somit zivil- und sozialhilferechtlich, unabhängig von seinem Aufenthaltsort, den Wohnsitz der Eltern oder, wenn die Eltern keinen gemeinsamen Wohnsitz haben, den Wohnsitz jenes Elternteils, unter dessen Obhut es steht (Art. 25 Abs. 1 ZGB). Vorliegend aber wurde der Mutter, wohl als alleinige Inhaberin der elterlichen Sorge, im Jahr 2019 von der KESB Z die elterliche Sorge entzogen und eine Vormundschaft errichtet (Art. 311 i.V.m. Art. 327a Abs. 1 ZGB). Gemäss Art. 25 Abs. 2 ZGB haben bevormundete Kinder ihren zivilrechtlichen Wohnsitz am Sitz der KESB.
Der Kanton Bern hat die Bestimmung von Art. 25 Abs. 2 ZGB in der Verordnung über den Kindes- und Erwachsenenschutz (KESV) präzisiert. Für bevormundete Minderjährige und für Erwachsene unter umfassender Beistandschaft gilt als Sitz der KESB diejenige Gemeinde, in der die betroffene Person bei der Errichtung der Vormundschaft oder der umfassenden Beistandschaft ihren Lebensmittelpunkt hatte oder in welche die betroffene Person mit Zustimmung der KESB ihren Lebensmittelpunkt verlegt hat (Art. 1 Abs. 4 lit. a und b KESV BE).
Gemäss Ihrem Sachverhalt wohnt das Kind seit dem Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts im Jahr 2015 bei der Pflegefamilie in der Gemeinde A und begründet dort seither ihren Lebensmittelpunkt. Unter der Annahme, dass die Mutter das alleinige Sorgerecht hatte, befand sich der zivilrechtliche Wohnsitz und damit auch die sozialhilferechtliche Zuständigkeit in der Gemeinde B (Art. 25 Abs. 1 ZGB i.V.m. Art. 46 Abs. 1 SHG BE). Mit dem Wegzug der Mutter im Jahr 2017 in die Gemeinde C wechselte der zivilrechtliche Wohnsitz des minderjährigen Kindes ebenfalls in die Gemeinde C (BGE 133 III 305 E. 3.3.4; siehe dazu auch BK Affolter/Vogel, Art. 315 N 45). Folglich war daher auch die für die Gemeinde C zuständige KESB Z zuständig, weitere Kindesschutzmassnahmen zu treffen (Art. 315 Abs. 1 i.V.m. Art. 25 Abs. 1 ZGB), was sie mit dem Entzug der elterlichen Sorge auch tat. Bis zur Errichtung der Vormundschaft war daher auch der sozialhilferechtliche Wohnsitz des minderjährigen Kindes in der Gemeinde C., da es im Kanton BE (im Unterschied zu Art. 7 Abs. 3 lit. c ZUG) bei der Platzierung eines Minderjährigen kein Weiterbestehen des bisherigen Unterstützungswohnsitzes gibt.
Im Jahr 2019 entzog dann die KESB Z der Mutter die elterliche Sorge und errichtete gestützt auf Art. 327a ZGB eine Vormundschaft. Zu diesem Zeitpunkt hatte aber das minderjährige Kind seinen Lebensmittelpunkt in der Gemeinde A, so dass in Anwendung von Art. 25 Abs. 2 ZGB i.V.m. Art. 1 Abs. 4 lit. a KESV BE die Zuständigkeit für die Führung der Vormundschaft zur KESB Y wechselte und sich somit der zivilrechtliche und der sozialhilferechtliche Wohnsitz des Minderjährigen unter Vormundschaft nun in der Gemeinde A. befindet (siehe dazu auch Erläuterungen im Handbuch Sozialhilfe des Kantons Bern unter dem Stichwort «Wohnsitz»: http://handbuch.bernerkonferenz.ch/home/).
Die Schlussfolgerung der KESB Y, dass die Gemeinde A. für die Finanzierung der Nebenkosten zuständig ist, ist somit korrekt und entspricht der gesetzlichen Regelung des Kantons Bern.
Kulmerau, 29.8.2020
Urs Vogel
Guten Tag Herr Vogel
Ich habe es falsch geschrieben, entschuldigen Sie: Die KESB Y folgert, dass die Gemeinde B für die Finanzierung der Nebenkosten zuständig ist. Das ist somit falsch und ich (resp. der neue Vormund) muss dies mit der KESB Y klären?
Freundliche Grüsse
Mara Berthold
Frage beantwortet am
Urs Vogel
Expert*in Kindes- und Erwachsenenschutz
Erwägungen:
Wenn die KESB Y folgert, der Unterstützungswohnsitz sei in der Gemeinde B, ist diese Beurteilung nach den gesetzlichen Grundlagen des Kantons Bern zu korrigieren. Mit der Bevormundung eines Minderjährigen wechselt der zivilrechtliche und somit auch der unterstützungsrechtliche Wohnsitz gestützt auf Art. 25 Abs. 2 ZGB i.V.m. Art. 1 Abs. 4 lit. a KESV BE und i.V.m. Art 46 Abs. 1 SHG BE an denjenigen Ort, an welchem sich der Lebensmittelpunkt das minderjährigen Kindes befand, als die Bevormundung ausgesprochen wurde. Dieser liegt seit 2015 in der Gemeinde A.
Im Übrigen wäre es auch im interkantonalen Verhältnis nicht anders, wenn das ZUG angewendet würde. Wird bei einer Platzierung eines Kindes (ob in einer Institution oder bei einer Pflegefamilie ist nicht relevant) nachträglich eine Vormundschaft errichtet, so leitet sich der Unterstützungswohnsitz ebenfalls vom Sitz der Kindesschutzbehörde ab (Art. 7 Abs. 3 lit. a ZUG; Thommet, Kommentar ZUG, Bern 1994, Rz 133), der im Kanton Bern wie oben ausgeführt gestützt auf Art. 1 Abs. 4 lit. a KESV definiert wird.
Kulmerau, 2.9.2020
Urs Vogel