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Unterstützungswohnsitz nach Wegzug ohne neues Wohnverhältnis

Veröffentlicht:
12.09.2017
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Sozialhilferecht

Sehr geehrte Damen und Herren
Auf dem Sozialdienst Uri Ost ist uns folgende Situation vorliegend und wir haben folgende Rechtsfragen dazu:
Ein Klient hat wirtschaftliche Sozialhilfe durch die Gemeinde X. bezogen. Die wirtschaftliche wurde per 31.06.2017 eingestellt, da er ein existenzsicherndes Einkommen erzielt hat und in eine andere Gemeinde Y. im Kanton Uri gezogen ist (befristetes Wohnverhältnis, Dauer 1 Monat). Bei der Gemeinde Y. konnte sich der Klient nicht anmelden. Am 06.09.2017 hat sich der Klient wieder telefonisch beim Sozialdienst gemeldet, da er die Arbeitsstelle verloren hat. Einen Antrag auf Sozialhilfe hat er jedoch (noch) nicht eingereicht. Zwischen der Einstellung der WSH und der erneuten Kontaktaufnahme hat der Klient befristet für einen Monat in einer Wohnung im Kanton Uri in der Gemeinde Y. zur Untermiete, bei seiner Schwester, in Hotels (aufgrund der Arbeit) und bei Freunden übernachtet. Aktuell ist er in einer psychiatrischen Klinik hospitalisiert.
Der Klient hat sich vor einem Jahr bei einem betreuten Wohnen in Luzern angemeldet. Er war dort auf der Warteliste. Jetzt ist ein Platz frei geworden und der Klient wäre zu diesem Zeitpunkt an der Reihe, ein Zimmer zu beziehen. Nun hat sich das betreute Wohnen beim Sozialdienst gemeldet und verlangt eine Kostengutsprache. Aktuell wird der Klient nicht mit wirtschaftlicher Sozialhilfe unterstützt. Ein Antrag auf WSH könnte jedoch aufgrund der aktuellen Hospitalisierung bald folgen.
Uns stellt sich nun die Frage der Zuständigkeit. Gemäss Art. 9 Abs. 1 ZUG verliert, wer aus dem Wohnkanton wegzieht, den bisherigen Unterstützungswohnsitz. Der Klient hat aktuell in der Gemeinde X. keine Möbel mehr und hält sich dort nicht mehr auf. Bei der Gemeinde ist er grundsätzlich jedoch noch nicht abgemeldet. Dies ist noch in Prüfung.
Ist die Gemeinde X. sozialhilferechtlich in diesem Fall für den Klienten noch zuständig und warum? Wenn nein, welche Gemeinde bzw. welcher Kanton wäre für den Klienten zuständig?
Besten Dank für Ihre Rückmeldung.
Freundliche Grüsse
Sozialdienst Uri Ost

Frage beantwortet am

Ruth Schnyder

Expert*in Sozialhilferecht

Sehr geehrte Damen und Herren von Uri Ost
Gerne beantworte ich Ihre Anfrage. Ich entnehme Folgendes Ihrem geschilderten Sachverhalt:
Der Klient hat bis 31. Juni 2017 (richtigerweise wohl 31. Juli) in der Gemeinde X. gewohnt und ist dann weggezogen, jedoch ohne sich beim Einwohnerregister abzumelden.
In der Gemeinde Y. hatte er lediglich ein befristetes, einen Monat dauerndes Untermietverhältnis.
Am 6. September 2017 trat der Klient mit der Gemeinde X in telefonischen Kontakt und aktuell ist er in einer psychiatrischen Klinik hospitalisiert. Als nächstes ist ein Übertritt in ein Luzerner Heim geplant.
Generell stellt sich für Sie die Frage, ob der Klient den Wohnsitz in der Gemeinde X am 31. Juli aufgegeben hat.
Es handelt sich nach Ihren Darstellungen um eine innerkantonale Zuständigkeitsfrage. Dazu hält das Urner Sozialhilfegesetz vom 28.9.97 (SHG) in Art. 5 Folgendes fest:
Örtliche Zuständigkeit
a) Unterstützungsgemeinde
1 Zuständig, öffentliche Sozialhilfe zu leisten, ist jene Einwohnergemeinde, in der die hilfesuchende Person ihren Unterstützungswohnsitz hat. Dieser und die Kostenersatzpflicht bestimmen sich sinngemäss nach den Regeln des Bundesgesetzes über die Zuständigkeit für die Unterstützung Bedürftiger, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt.
2 Der Unterstützungswohnsitz ändert sich unmittelbar mit dem Wohnsitzwechsel. Eine Kostenersatzpflicht besteht nur im Rahmen des Absatzes 3 und gegenüber der Aufenthaltsgemeinde.
3 Die bisherige Unterstützungsgemeinde wird der neuen gegenüber kostenersatzpflichtig, wenn eine hilfesuchende Person ihren Wohnsitz nach dem 60. Altersjahr wechselt. In diesem Fall hat sie der neuen Unterstützungsgemeinde die Kosten für die wirtschaftliche Sozialhilfe zurückzuerstatten.
Zur Aufenthaltsgemeinde Art. 6 SHG:
Ist eine hilfesuchende Person ausserhalb ihres Unterstützungswohnsitzes auf sofortige Hilfe angewiesen oder hat sie keinen sofort feststellbaren Wohnsitz, so muss ihr die Aufenthaltsgemeinde Hilfe leisten. Die unterstützungspflichtige Gemeinde hat ihr die entsprechenden Kosten zu ersetzen.
Das bedeutet, dass sich die Frage des Unterstützungswohnsitzes sowohl innerkantonal als auch ausserkantonal nach dem ZUG richtet. Eine besondere Kostenersatzpflicht ist in Abs. 2, Satz 2, in Verbindung mit Abs. 3 für Personen, welche den Wohnsitz nach dem 60. Altersjahr wechseln, vorgesehen. Die Kostenersatzpflicht bei Aufenthalt (Art. 5 Abs. 2, Satz 2 SHG) entspricht der Notfallhilfe gemäss ZUG (Art. 13 und 20 des Zuständigkeitsgesetzes vom 24.6.77 [ZUG]), enthält jedoch auch eine Kostenersatzpflicht, wenn ein Wohnsitz nicht sofort feststellbar ist.
Es stellt sich nun in dem von Ihnen geschilderten Fall die Frage, ob der Klient durch Wegzug den Unterstützungswohnsitz in der Gemeinde X. verloren hat.
Dazu kann ich Ihnen generelle Ausführung machen, die sich auf Art. 9 ZUG stützen. Ob jemand im Sinne dieser Bestimmung weggezogen ist, bestimmt sich nach den tatsächlichen Gegebenheiten im Sinne der Willensäusserung der betreffenden Person und äusseren Umstände. Ein Wegzug ist demnach anzunehmen, wenn die betreffende Person wegziehen wollte, dabei ihre Unterkunft (Zimmer, Wohnung etc.) aufgab sowie mit Gepäck oder Hausrat die Gemeinde verliess. Trifft dies zu, hat sie ihren bisherigen Unterstützungswohnsitz aufgegeben, selbst wenn sie die Absicht hat, wieder zurückzukehren (Ausnahmefälle können sein, wenn jemand nur zwecks Vermeidung der Obdachlosigkeit in eine andere Gemeinde umsiedelt mit der klaren Absicht, wieder zurückzukehren). Kein Wegzug stellt aber der blosse, vorübergehende Aufenthalt in einer anderen Gemeinde dar, ohne die „Zelte“ bei der bisherigen Gemeinde abzubrechen (Ferien, Besuch, Kuraufenthalt etc.). Zur Bedeutung des Eintrags im Einwohnerregister hält das ZUG in Art. 9 Abs. 2 Folgendes fest: Ist der Zeitpunkt des Wegzugs zweifelhaft, so gilt derjenige der polizeilichen Abmeldung. Dieser Regelung gehen jedoch die vorerwähnten tatsächlichen Gegebenheiten vor. D.h. wenn die Tatsachen (Wohnungsaufgabe etc.) einen Wegzug beweisen, dann spielt es keine Rolle, ob und wann die polizeiliche Abmeldung erfolgte. Diese erlangt nur Bedeutung, wenn anhand der ermittelten Tatsachen der Wegzug zweifelhaft ist. Diese Regel entlastet also die Gemeinde nicht, den Wegzug aufgrund der tatsächlichen Gegebenheiten zu beweisen bzw. gründlich zu untersuchen. Es ist jedenfalls Sache der Gemeinde X zu beweisen, dass der Klient weggezogen ist (vgl. zum Ganzen ZUG-Kommentar, Werner Thomet, 1994, zu Art. 9).
Dies bedeutet, dass die Gemeinde X. den damaligen Willen des Klienten und die damaligen äusseren Umstände analysieren muss, um die Frage des Wegzugs abschliessend zu beurteilen. Vielleicht sind noch weitere Sachverhaltsabklärungen zu treffen. Steht danach fest, dass ein Wegzug im Sinne von Art. 9 ZUG vorliegt, wäre noch zu prüfen, ob eine Kostenersatzpflicht im Sinne von Art. 5 Abs. 2 in Verbindung mit Abs. 3 SHG (Wegzug nach dem 60. Altersjahr) vorliegt.
Etwas unklar ist die Kostenersatzpflicht bei den Fällen von Art. 6 SHG (sofortige Hilfe ausserhalb der Wohnsitzgemeinde oder nicht sofort feststellbarer Wohnsitz). Bei dem Wortlaut dieses Artikels, sind aber wohl jene Fälle gemeint, die noch über einen Unterstützungswohnsitz in der kostenersatzpflichtigen Gemeinde verfügen. In Bezug auf das Kriterium des nicht sofort feststellbaren Wohnsitzes ist das aber nicht ganz klar. Bei diesem Verständnis von Art. 6 SHG käme eine Kostenersatzpflicht der Gemeinde X nicht in Frage, da der Klient infolge Wegzug ja den Unterstützungswohnsitz aufgegeben hat.
Ist rechtlich von einem Wegzug auszugehen und besteht auch keine Kostenersatzpflicht, trifft die Gemeinde X. keine Unterstützungspflicht auf Basis des bis 31. Juli 2017 bestandenen Unterstützungswohnsitzes.
Ich hoffe, Ihnen hilft meine Antwort weiter, ihre Frage abschliessend beantworten zu können.
Freundliche Grüsse, Ruth Schnyder