Zum Inhalt oder zum Footer

Unterstützungswohnsitz bei sonderpädagogischer Massnahme

Veröffentlicht:
12.06.2017
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Sozialhilferecht

Sehr geehrte Damen und Herren
Auf dem Sozialdienst Urner Oberland haben wir folgenden Fall vorliegend und folgende Rechtsfragen dazu:
Im vergangenen Jahr wurde ein Kind mit einer körperlichen Beeinträchtigung durch die KESB Uri in ein Schulheim fremdplatziert. Finanziert wird die Massnahme als sonderpädagogische Massnahme und die Abrechnung erfolgt über die Schule X.
Die Eltern haben sich nach der Platzierung des Kindes getrennt. Beide Elternteile wohnen je in einer neuen Gemeinde. Die Mutter und das Kind sind neu in der Gemeinde X angemeldet. Die sonderpädagogische Massnahme wird über die neue Gemeinde X bezahlt. Die Eltern haben ein Besuchsrecht im Heim. Das Kind darf nicht nach Hause gehen.
Die Erziehungsbeiständin des Kindes ist nun an den Sozialdienst gelangt, da sich das Heim bei ihr gemeldet hat, weil die Elternbeiträge und die Nebenkosten durch die Eltern nicht beglichen wurden.
Gemäss Art. 7 ZUG hat das Kind einen eigenen Unterstützungswohnsitz am Ort, an welchem es zuletzt mit den Eltern gewohnt hat, wenn es dauernd nicht bei den Eltern wohnt. Im vorliegenden Fall ist dies gegeben. Dennoch stellt sich uns die Frage nach der Zuständigkeit, da die sonderpädagogische Massnahme durch die neue Gemeinde finanziert wird.

  1. Welche Gemeinde ist zuständig für die Finanzierung der nicht beglichenen Elternbeiträge und Nebenkosten?
    Das Heim ist erst nach einigen Monaten mit den nicht beglichenen Rechnungen an die Erziehungsbeiständin gelangt. Das Heim hat nun angefragt, wer die noch offenen Rechnung begleichen muss. Gemäss Aussage von der BKD Uri wurde eine KÜG für die Elternbeiträge unterzeichnet. Die Nebenkosten sind jedoch nicht garantiert worden.
  2. Aufgrund welcher gesetzlicher Grundlage, kann der zuständige Sozialdienst die rückwirkenden Rechnungen, also die Elternbeiträge und die Nebenkosten, begleichen?
    Besten Dank für Ihre Rückmeldung.
    Freundliche Grüsse
    Sozialdienst Urner Oberland
    Linda Bissig

Frage beantwortet am

Ruth Schnyder

Expert*in Sozialhilferecht

Sehr geehrte Frau Bissig
Vielen Dank für Ihre Anfrage. Zur Klärung der Ausgangslage möchte ich zwei Rückfragen stellen:
Handelt es sich beim Heim um eine IVSE-anerkannte Institution?
Welche Kostenarten wurden den Eltern als Elternbeitrag verrechnet? Um welche Kostenarten geht es bei den Nebenkosten?
Besten Dank und freundliche Grüsse, Ruth Schnyder

Frage beantwortet am

Ruth Schnyder

Expert*in Sozialhilferecht

Sehr geehrte Frau Bissig
Vielen Dank für Ihre Anfrage. Ich habe zum Sachverhalt noch folgende Informationen bei Ihnen erfragt und erhalten.

  • „… Sie zitieren das ZUG, dabei führen Sie nicht aus, ob Sie dessen Anwendung im interkantonalen oder innerkantonalen Kontext (Art. 5 SHG) meinen. Sprich: Handelt es sich bei der Gemeinde X auch um eine Urner Gemeinde? Oder ist diese einem anderen Kanton zugehörig?
    Ihre Antwort: Es handelt sich bei allen betroffenen Gemeinden um Urner Gemeinden. Die Eltern wohnten zum Zeitpunkt der Platzierung in einer Gemeinde unserer Zuständigkeit. Der Vater zog in die Gemeinde in Uri X1 und die Mutter in die Gemeinde Uri X2, d.h. nicht mehr im Zuständigkeitsgebiet Urner Oberland.
  • Wissen Sie, ob die IVSE, welche nur interkantonale Unterbringungen regelt, im Kanton Uri auch innerkantonal als anwendbar erklärt wurde?“
    Ihre Antwort: Wie es mir bekannt ist, gibt es für eine kantonsinterne IVSE-Kostenübernahmegarantie innerhalb des Kantons Uri keine gesetzliche Grundlage. In der Praxis scheint aber dennoch eine Kostenübernahmegarantie eingeholt zu werden, v.a. in der Sozialhilfe (gleiche Handhabung wie interkantonal).
  • Handelt es sich beim Heim um eine IVSE-anerkannte Institution?
    Ihre Antwort: Ja, es handelt sich um eine anerkannte IVSE Institution.
  • Welche Kostenarten wurden den Eltern als Elternbeitrag verrechnet? Um welche Kostenarten geht es bei den Nebenkosten?
    Ihre Antwort: Gemäss Rückmeldung des Heims handelt es sich um folgende Kosten: monatlicher Pauschaltbetrag Internat, Elternbeitrag pro Tag Fr. 11.00 (7 Tage die Woche), Kleidungsstücke, nicht krankenkassenanerkannte Medikamente
    Gestützt darauf kann ich Ihnen Ihre Anfrage wie folgt beantworten:
    Aus Ihren Sachverhaltsangaben ergibt sich, dass die sozialhilferechtliche Zuständigkeit nicht streitig ist. Wie Sie richtig festhalten, ist das ZUG im Kanton Uri auch für die innerkantonale Zuständigkeitsausscheidung in der Sozialhilfe massgebend (Art. 5 des Gesetzes vom 28. September 1997 über die öffentliche Sozialhilfe [SHG UR]). Offenbar hat das Kind nach Art. 7 ZUG einen eigenen Unterstützungswohnsitz begründet, da es dauerhaft fremdplatziert wurde (Art. 7 Abs. 3 lit. c ZUG) . Dieser liegt in der Gemeinde, für welche Ihr Sozialdienst zuständig ist. Diese Gemeinde ist für Sozialhilfekosten zuständig. Es stellt sich nun die Frage, ob die erwähnten Kosten Sozialhilfekosten darstellen und daher von der Gemeinde, wo der Unterstützungswohnsitz des Kindes liegt, übernommen werden müssen.
    Aus dem geschilderten Sachverhalt ergibt sich einerseits, dass es sich um eine innerkantonale Heimplatzierung und andererseits sonderpädagogische Massnahme handelt. Damit kommen in erstere Linie die kantonalrechtlichen Grundlagen zu sonderpädagogischen Massnahmen zum Zuge.
    Die Verordnung vom 24. September 2007 über das sonderpädagogische Angebot im Kanton Uri (Verordnung sonderpädagogisches Angebot) regelt unter anderem die Finanzierung sonderpädagogischer Massnahmen. Zur Kostenbeteiligung der Eltern besagt die Verordnung Folgendes:
    Artikel 11 Kostenbeitrag der Eltern
    Die Eltern haben einen angemessenen Beitrag an die Kosten der Verpflegung und der Betreuung zu entrichten. Der Regierungsrat regelt die Höhe dieses Beitrags.
    Zum Beitrag der Erziehungsberechtigten hat der Urner Regierungsrat festgelegt, dass diese bei stationären Massnahmen Fr. 11 pro Tag beträgt (Reglement vom 11. Dezember 2007 über die Kostenbeteiligung der Erziehungsberechtigten im Bereich des sonderpädagogischen Angebots). In diesem Umfang liegt also keine Subventionierung im Sinne von Art. 3 Abs. 2 lit. a ZUG durch das Gemeinwesen mehr vor.
    Zu individuellen Kosten des Kindes wie etwa Kleider, Schuhe, Taschengeld, welche unter Nebenkosten zusammengefasst werden können, kann den erwähnten rechtlichen Grundlagen nichts entnommen werden, ebensowenig den Richtlinien des Erziehungsrates des Kantons Uri zur Sonderpädagogik von Kindern und Jugendlichen von 0 bis 20 Jahren (https://secure.i-web.ch/dweb/uri/de/verwaltung/publikationen/?action=info&pubid=6125). Auch das Konzept Sonderpädagogik Uri des Erziehungsrates des Kantons Uri (https://secure.i-web.ch/dweb/uri/de/verwaltung/publikationen/?action=info&pubid=6126) äussert sich nicht explizit dazu, obschon es detaillierte Bestimmungen zur Finanzierung enthält. Zu guter Letzt kann zu dieser Frage auch nichts dem sonderpädagogischen Konkordat entnommen werden, dem der Kanton Uri beigetreten ist (vgl. die interkantonale Vereinbarung vom 25. Oktober 2007 über die Zusammenarbeit im Bereich der Sonderpädagogik im Urner Rechtsbuch).
    Generell ist davon auszugehen, dass die erwähnten individuellen Nebenkosten des Kindes nicht in der Heimpauschale (Art. 10a Verordnung sonderpädagogisches Angebot) enthalten sind, eine endgültige Klärung würde jedoch nur eine Rücksprache mit der Erziehungs- und Bildungsdirektion des Kantons Uri ergeben.
    Sind Nebenkosten des Kindes nicht gedeckt, sind diese wie die Verpflegungs- und Betreuungspauschalen von den Eltern im Rahmen ihrer Unterhaltspflicht zu übernehmen. Sind die Eltern dazu nicht in der Lage, kommt die Sozialhilfe nach den Grundsätzen der Bedürftigkeit (Art. 27 SHG UR) für den Verpflegungs- und Betreuungsbeitrag als auch für die Nebenkosten auf. Der Unterhaltsanspruch des Kindes gegenüber seinen Eltern geht damit auf die unterstützende Gemeinde über (Art. 289 Abs. 2 ZGB).
    Inwieweit die Sozialhilfe für Nebenkosten bei stationären Aufenthalten aufkommen muss, kann den SKOS-RL entnommen werden, welche für den Kanton Uri in Bezug auf die Bemessung der wirtschaftlichen Hilfe mit gewissen Anpassungen verbindlich sind (Art. 28 SHG UR, Sozialhilfehandbuch Kanton URI mit Verweis auf den nicht öffentlichen Regierungsratsbeschluss Nr. 490, wonach dieser die SKOS-RL vom April 2005 mit einzelnen Anpassungen als verbindlich erklärt hat). Die SKOS-RL sehen im Kapitel B.2.5 eine Pauschale zur Deckung der nicht im Pensionsarrangement enthaltenen Ausgabepositionen, die den Grundbedarf betreffen, vor. Weitere Kosten wären zu übernehmen, soweit diese im Rahmen situationsbedingter Leistungen nach den Grundsätzen der Sozialhilfe übernommen werden, oder im Rahmen der medizinischen Grundversorgung (Kapitel B.5). Im vorliegenden Fall handelt es sich um Kleidungsstücke und nicht versicherte Medikamente sowie einen monatlichen Pauschalbetrag Internat. Erstere sind Teil des Grundbedarfs, und sind somit von der Sozialhilfe im Rahmen einer Einzelabgeltung zu übernehmen, soweit diese nicht durch den monatlichen Pauschalbetrag Internat gedeckt sind. Ohnehin wäre beim monatlichen Pauschalbetrag zu untersuchen, welche Kosten dieser abdeckt. Jedenfalls kann er weder Verpflegung und Betreuung enthalten, da diese auf den Elternbeitrag entfallen. Nicht versicherte Medikamente sind als situationsbedingte Leistungen zu übernehmen, soweit die Voraussetzungen dafür erfüllt sind (vgl. Kapitel C SKOS-RL, Sozialhilfehandbuch Uri S 05).
    Nach dem Gesagten sind durch die Sozialhilfe bzw. die diesbezüglich zuständige Gemeinde (siehe eingangs) der Elternbeitrag von Fr. 11 für Verpflegung und Betreuung und die Kleider sowie nicht versicherten Medikamente wie auch der monatliche Pauschalbetrag Internat als Nebenkosten zu übernehmen, soweit diese Kosten nicht in der Heimpauschale enthalten sind und von den Eltern nicht finanziert werden können, und die betreffenden Kosten nach den für die Sozialhilfe massgebenden Grundsätzen zu übernehmen sind. Wie erwähnt, wäre vorgängig zu untersuchen, welche Kostenarten vom Pauschalbetrag gedeckt sind. Je nach Ergebnis fällt die Kostenübernahme wiederum differenzierter aus.
    Für die sozialhilferechtlich massgebenden Grundsätze kommen neben den oben erwähnten Regeln auch das Bedarfsdeckungsprinzip (vgl. A.4 SKOS-RL) zum Tragen, wonach die Sozialhilfe für die Vergangenheit keine Kosten übernimmt. Dieses Prinzip würde in ihrem Fall bedeuten, dass vor Gesuchstellung bei der Sozialhilfe angefallene Kosten nicht übernommen werden. Liegt lediglich das Kostengutsprachegesuch des Heimes als Unterstützungsgesuch vor, wäre dennoch angemessen, neben dem Elternbeitrag auch die Nebenkosten zu übernehmen, wurde damit doch die Bedürftigkeit des Kindes angemeldet.
    In Bezug auf das Bedarfsdeckungsprinzip ist gerade bei Heimaufenthalten zu bedenken, dass in diesem Kontext die Finanzierungsfrage etwas Zeit in Anspruch nimmt, weswegen die Sozialhilfe im Rahmen des gesetzlichen Ermessens auch Ausnahmen zu diesem Prinzip prüfen sollte.
    Ich hoffe, Ihnen mit meiner Antwort gedient zu haben.
    Freundliche Grüsse, Ruth Schnyder