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Unterstützungsbeginn bei Personen mit medizinischen Problemen

Veröffentlicht:
28.12.2018
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Sozialhilferecht

Geschätzte Ruth
Am 18. September 2018 meldete sich der Bruder einer Person telefonisch bei der Sozialberatung, dass sein Bruder zwei Hirnschläge erlitten habe. Er könne nicht mehr sprechen und sei halbseitig gelähmt. Er müsse davon ausgehen, dass sein Bruder wirtschaftliche Sozialhilfe beantragen müsse. Am 19. September 2018 wurde die Person in eine Klinik überwiesen. Es wurde vereinbart, dass der Anrufende mit dem Sozialdienst des Spitals in Kontakt treten werde.
Nachdem die Kontaktaufnahme zwischen dem Bruder und des Sozialdienstes des Spitals aufgrund der Verweigerung von Auskünften nicht stattfinden konnte, nahm die Sozialberatung mit dem Sozialdienst des Spitals Kontakt auf (Offizialmaxime).
Am 2. Oktober 2018 teilte der Sozialdienst des Spitals mit, dass mit der Person Kontakt aufgenommen und bei Bedarf das Sozialhilfegesuch ausgefüllt werde. Am 30. Oktober 2018 meldete sich der Sozialdienst des Spitals, dass am 29. Oktober 2018 das Erstgespräch mit dem Klienten geführt wurde und dass die die KESB Innerschwyz durch eine Gefährdungsmeldung des Bruders involviert sei.
Am 6. November 2018 informierte der Sozialdienst des Spitals, dass sie mit der Person nicht habe weiterarbeiten können, da diese die Generalvollmacht nicht unterschrieben habe. Die KESB Innerschwyz werde sich nun um den Fall kümmern. Am selben Tag teilte die Mitarbeiterin der KESB mit, dass die Person dringend auf finanzielle Unterstützung angewiesen sei. Sie werde beim Ausfüllen des Sozialhilfegesuches unterstützt. Das Gesuch traf am 9. November 2018 in der Sozialberatung ein.
Nach dem Schwyzer Handbuch zur Sozialhilfe ist die Sozialhilfe rechtzeitig zu gewähren. Sie soll eine drohende Notlage abwenden und Rückfälle vermeiden helfen (§ 3 Abs. 1 ShG).
Der Beginn der Ausrichtung der Sozialhilfeleistungen fällt mit der Antragsstellung der hilfesuchenden Person an den Sozialdienst zusammen. Mit dem Gesuch bringt die gesuchstellende Person den Behörden gegenüber die ihrer Ansicht nach bestehende Bedürftigkeit zur Kenntnis.
Auch wenn Sozialhilfeleistungen grundsätzlich ab Gesuchseinreichung auszurichten sind, kann der Sozialdienst diesem Grundsatz erst nach Abschluss der notwendigen Abklärung nachkommen……
Die Person wird aufgrund der fehlenden Einnahmen - sie ist selbständig, hat nur geringfügige finanzielle Reserven und keine Taggeldversicherung - Anspruch auf wirtschaftliche Sozialhilfe haben. Provisorische Leistungen wurden an die Person ausbezahlt.
Die gesundheitliche Genesung der Person ist glücklicherweise gut. Es kann davon ausgegangen werden, dass er die Klinik in der nächsten Zeit verlassen kann und keine Beistandschaft angezeigt ist.
Es stellen sich folgende Fragen:

  • grundsätzlich: ab wann liegt der Unterstützungszeitpunkt für eine Person vor, wenn diese aufgrund von medizinischen Problemen sich nicht aktiv melden kann?
  • in vorliegenden Fall muss berücksichtigt werden, dass die Person die Generalvollmacht des Sozialdienstes im Spitales nicht unterzeichnet hat. Ist daher der Unterstützungszeitpunkt mit der Involvierung der KESB gleichzusetzten?
    Herzlichen Dank für deine Antwort.
    Philipp Schaller

Frage beantwortet am

Anja Loosli Brendebach

Expert*in Sozialhilferecht

Sehr geehrter Herr Schaller
Vielen Dank für Ihre sehr interessante Anfrage. Aufgrund der Ferienabwesenheit von Ruth Schnyder beantworte ich Ihre Frage, auch wenn sie explizit an Ruth Schnyder gerichtet ist.

  1. Auf welchen Zeitpunkt ist im konkreten Fall der Unterstützungsbeginn festzulegen?
    Im Kanton Schwyz wird weder im Sozialhilfegesetz noch in der entsprechenden Verordnung der Unterstützungsbeginn konkret festgelegt. Insbesondere steht nicht, dass das Unterstützungsgesuch massgebend für den Zeitpunkt der Unterstützungsaufnahme ist. In § 2 Abs. 2 SHG des Kantons Schwyz steht lediglich, dass Sozialhilfe dann zu gewähren sei, wenn die hilfesuchende Person sich nicht selbst helfen könne und Hilfe von dritter Seite nicht oder nicht rechtzeitig erhältlich ist. Im Handbuch finden sich dagegen - wie Sie schreiben - Ausführungen zum Unterstützungsbeginn. Dort steht, dass der Beginn der Ausrichtung mit der Antragsstellung der hilfesuchenden Person an den Sozialdienst zusammenfällt. Mit dem Gesuch bringt die gesuchstellende Person den Behörden die ihrer Ansicht nach bestehende Bedürftigkeit zur Kenntnis. Allerdings gilt es nach dem Handbucheintrag auch dann in einem vereinfachten Verfahren abzuklären, ob im Sinne einer vorläufigen Massnahme wirtschaftliche Hilfe auszurichten ist, wenn auch ohne Gesuch Anzeichen für eine Gefährdung bestehen. Guido Wizent schreibt, dass massgebend für den Leistungsanspruch die tatsächliche positive Kenntnis der Leistungsvoraussetzung ist (Guido Wizent, Die sozialhilferechtliche Bedürftigkeit, Zürich/St. Gallen 2014, S. 485). Die Hilfe setzte, vorbehältlich der provisorischen Hilfe bei dringlichen Bedarfslagen, dann ein, wenn die Leistungsvorausssetzungen der Sozialhhilfebehörde hinreichend bekannt sind (a.a.o. S. 487). Felix Wolffers kommt zum Schluss, dass in allen Kantonen das Sozialhilfeverfahren durch Gesuch der hilfsbedürftigen Person eingeleitet werde. Ein mündlich vorgebrachter Antrag reiche. Allerdings sei die Sozialbehörde auch dann zur Einleitung eines Verfahrens verpflichtet, wenn sie auf andere Weise (z.B. durch Mitteilung anderer Behörden oder von Privatpersonen) von einer bestehenden oder drohenden Notlage erfahre. Massgebend für die Eröffnung eines Verfahrens sei somit nicht das Vorliegen eines Unterstützungsantrags, sondern einzig die Kenntnis der Behörde von einer Notlage (Felix Wolffers, Grundriss des Sozialhilferechts, Bern 1993, S. 196).
    Vorliegend ist das Unterstützungsgesuch am 06.11.2018 bei der Sozialberatung eingetroffen. Spätestens ab diesem Zeitpunkt bestand somit Anspruch auf Unterstützungsleistungen, da die hilfesuchende Person bedürftig zu sein scheint. Die Sozialberatung hat aber bereits früher von einer möglichen Notlage erfahren. Erstmals war dies am 18.September 2018 durch den Bruder der betroffenen Person. Die Sozialberatung hat richtigerweise und dem Untersuchungsgrundsatz folgend dann auch Abklärungen vorgenommen und den Sozialdienst des Spitals kontaktiert. Dieser konnte aufgrund der fehlenden Vollmacht aber keine Anmeldung machen, was erst der KESB möglich war. Schliesst man sich der Meinung von Felix Wolffers an, so kann die Unterstützung - bei vorliegender Bedürftigkeit in diesem Zeitpunkt - bereits rückwirkend auf Mitte September 2018 aufgenommen werden, da die Sozialberatung in diesem Zeitpunkt über die Notlage informiert wurde, wenn auch nicht im Detail. So kann auch das Handbuch verstanden werden, wenn dort steht, dass vorläufige Leistungen auszurichten sind, wenn ohne Gesuch Anzeichen für eine Notlage bestehen würden. Daraus kann abgeleitet werden, dass die definitiven Leistungen rückwirkend ab Kenntnisnahme der Notlage - also im September 2018 - bei Vorliegen der erforderlichen Unterlagen zu berechnen sind. Für diese Lösung spricht auch, dass der Bruder die KESB involviert hat und diese so bald als möglich ein Unterstützungsgesuch eingereicht hat. Will die Sozialberatung bevorzugt erst ab November 2018 bezahlen, so ist dies dann möglich, wenn aufgrund der nun eingegangenen Unterlagen feststeht, dass die Bedürftigkeit im September 2018 noch nicht bestand oder allenfalls, wobei ich mit dieser Argumentation etwas Mühe habe, mit der Begründung, die hilfesuchende Person habe mit Verweigerung der Unterzeichnung der Vollmacht für den Sozialdienst des Spitals zum Ausdruck gebracht, dass sie noch keinen Antrag auf Unterstützung stellen wolle.
  2. Ab wann beginnt die Unterstützung bei Personen, die sich aufgrund medizinischer Probleme nicht aktiv selbst melden können?
    Grundsätzlich ist auf die obigen Ausführungen zu verweisen. Es reicht insbesondere nach der Lehre aus, wenn die Sozialhilfebehörde Kenntnis einer Notlage erhält, auch wenn die Information durch Dritte erfolgt, die nicht bevollmächtigt sind.
    Weiter kann auf die Geschäftsführung ohne Auftrag nach Art. 419 des Obligationenrechts (OR) verweisen werden. In diesem Fall fehlt es an einer Vollmacht. Die Geschäftsführung ist aber dennoch zulässig, wenn sie geboten ist d.h. gemäss Treu und Glauben muss der Geschäftsführer subjektiv auf ein vernünftig verstandenes Interesse des Geschäftsherrn zu schliessen berechtigt gewesen sein (Basler Kommentar, 5. Auflage, Art. 419 N. 10). Die Geschäftsführung ist konkret dann geboten, wenn der Geschäftsherr dass Geschäft nicht selbst besorgen kann. Es ist damit eine gewisse Hilfsbedürftigkeit und die Dringlichkeit der Besorgung vorausgesetzt (a.a.o. N 13).
    Daraus folgt, dass eben gerade auch Dritte, nicht bevollmächtigte Personen die Bedürftigkeit anzeigen und allenfalls gar das Unterstützungsgesuch ausfüllen können, wenn die hilfsbedürftige Person dazu aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage ist. Damit wird auch dem Grundsatz genüge getan, dass alle hilfsbedürftige Personen Anspruch auf Unterstützungsleistungen haben und die Geltendmachung des Anspruchs z.B. nicht durch ihre - allenfalls vorübergehende - Handlungsunfähigkeit verunmöglicht bzw. verzögert wird.
    Ich hoffe, Ihnen mit dieser Antwort weiterhelfen zu können.
    Freundliche Grüsse
    Anja Loosli Brendebach