Der Ehemann meiner Klientin wurde Ende 2018 wegen Kriminalität aus der Schweiz ausgewiesen. Er bezog bis dato eine AHV-Rente mit EL. Seine jüngere Ehefrau ist ausgesteuert und übers RAV auf Arbeitssuche. Der Ehemann organisierte, dass ihm die AHV-Rente bereits ab anfangs Januar ins Heimatland (Ex-Jugoslawien) überwiesen wird. Meine Klientin suchte anfangs Januar das Sozialamt auf mit dem Antrag auf WSH. Dort wurde sie (sicher zurecht) informiert, dass der Ehemann trotz Ausweisung aus der Schweiz gegenüber seiner Frau unterstützungspflichtig ist. Der Sozialdienst machte eine Berechnung des Bedarfs des Ehemannes welche auf (wie die ersten Abklärungen zeigen unrealistischen) Annahmen gründet und bot an sobald Papiere über die effektiven Kosten des Ehemannes im Heimatland vorliegen würden, soweit gegeben eine Neuberechnung zu machen. Meiner Klientin wurden für den Monat Januar aufgrund der vorläufigen Berechnung nur gerade Fr. 370.-- an SH zugesprochen (Sie lebt zusammen mit ihrem Sohn welcher IV-Leistungen in der Höhe von Fr. 2000.-- bezieht). Weil der Ehemann noch nicht alle Informationen liefern konnte, gab es im Verlauf des Monats Januar auch noch keine Anpassung des Budgets und meine Klientin musste sich Ende Januar Gelder für GBD und für die Miete von Freunden ausborgen -was ihr glücklicherweise gelang. Meine Frage: Wie verhält sich diese Handhabung des Sozialdienstes mit dem Bedarfprinzip bzw. dem Anspruch auf rechtzeitige Hilfe im Urner Sozialhilfegesetz? Ist das Vorgehen des Sozialdienstes angemessen? Kann wenn der SD später noch rückwirkend SH-Gelder auszahlt, trotz Subsidiaritätsprinzip erwartet werden, dass auch die durch unseren privaten SD geleistete Nothilfe aufgrund fehlender Unterstützung durch den SD rückerstattet wird?
Besten Dank für Ihre Rückmeldung und freundliche Grüsse
Frage beantwortet am
Anja Loosli Brendebach
Expert*in Sozialhilferecht
Sehr geehrte Frau Egli
Vielen Dank für Ihre Frage. Ich beantworte diese gerne wie folgt:
Nach Art. 3 des Sozialhilfegesetzes Uri (SHG Uri) besteht nur dann ein Anspruch auf Unterstützung durch die Sozialhilfe, wenn eine hilfesuchende Person sich nicht selbst helfen kann oder Hilfe von dritter Seite nicht oder nicht rechtzeitig erhältlich ist. Damit die Sozialhilfe berechnen und eruieren kann, ob eine Person bedürftig ist, benötigt sie entsprechende Auskünfte und Einsicht in sachbezogene Unterlagen (Art. 30 Abs. 1 SHG Uri). Wenn die hilfesuchende Person trotz vorgängiger Mahnung nicht in zumutbarer Weise mitwirkt, kann die Sozialhilfe die Unterstützung verweigern (Art. 31 SHG Uri). Dieser Grundsatz wird auch in Kapitel 8.3 der SKOS-Richtlinien (SKOS-RL) - die in Art. 28 SHG Uri als Orientierung für die Sozialhilfe im Kanton Uri erklärt werden - festgehalten, wenn dort steht, dass die Leistungen verweigert werden können, wenn die für die Bedarfsbemessung erforderlichen Unterlagen nicht eingereicht werden. Da Art. 163 Abs. 1 des Zivilgesetzbuches (ZGB) bestimmt, dass Ehegatten gemeinsam, ein jeder nach seinen Kräften für den gebührenden Unterhalt der Familie sorgen, folgt daraus, dass die finanziellen Verhältnisse des Ehegatten auch bei getrenntem Wohnen zu berücksichtigen sind.
Daraus könnte geschlossen werden, dass die hier involvierte Sozialhilfe richtigerweise Ihrer Klientin nur einen beschränkten Unterstützungsbetrag ausbezahlt hat, weil die Unterlagen betr. die finanziellen Verhältnisse des Ehemannes, der nach Art. 163 ZGB grundsätzlich unterhaltspflichtig ist, wenn es seine finanziellen Verhältnisse zulassen, nicht vollständig vorliegen und deshalb nicht klar ist bzw. nicht berechnet werden kann, wie gross die Bedürftigkeit Ihrer Klientin ist.
Nun ist es aber so, dass in Kapitel F.3.2 bzw. F.3.3 SKOS-RL steht, dass zu berücksichtigen sei, wenn das Getrenntleben von Ehegatten gerichtlich geregelt oder sonst wichtige Gründe für das Getrenntleben vorhanden sind. Als wichtige Gründe gelten etwa berufliche Umstände oder die Unzumutbarkeit des Zusammenlebens. In diesem Fall ist die unterstützte Person zu verpflichten, innert 30 Tagen eine gerichtliche Festsetzung der Unterhaltsbeiträge zu verlangen (Kapitel 3.3 SKOS-RL) oder mit anderen Worten: die hilfesuchende Person ist in einem ersten Schritt ohne Berücksichtigung der finanziellen Verhältnisse des Ehegatten in die Unterstützung aufzunehmen (ausser wenn dieser zugegebenermassen regelmässig einen Unterhaltsbeitrag bezahlt). Erst in einem zweiten Schritt ist sie zu verpflichten, Unterhalt geltend zu machen (Eheschutzverfahren).
Vorliegend wurde der Ehemann aus der Schweiz ausgewiesen. Das Ehepaar kann deshalb legal nicht zusammenwohnen. Es besteht deshalb ein wichtiger Grund für das Getrenntleben. Oder mit anderen Worten: meiner Ansicht nach hätte die Sozialhilfe Ihre Klientin vollumfänglich nach deren Bedarf ohne Einbezug der finanziellen Verhältnisse des Ehemannes unterstützen müssen, von ihr aber verlangen dürfen, dass sie von ihrem Ehemann mittels Gerichtsverfahren einen Unterhalt erhältlich macht. Nun hat die Sozialhilfe dies aber eben nicht getan, sondern eingeschränkt unterstützt. Dies kann nur so geändert werden, dass Ihre Klientin - oder Sie in ihrem Namen - die Budgetverfügung anficht oder eine anfechtbare Verfügung verlangt und eben geltend macht, dass es rechtlich nicht korrekt sei, die Unterstützung nicht vollumgänglich aufzunehmen, weil die finanziellen Verhältnisse des Ehegatten noch nicht ausreichend bekannt sind. Dies bedeutet, dass die Rechtsmittelinstanz rückwirkend ab angefochtener Verfügung entscheiden könnte, dass die Verfügung nicht korrekt ergangen ist und rückwirkend (vorerst) vollumfänglich auszubezahlen ist. Dies hätte zur Folge, dass Ihre Klientin Ihnen den von Ihnen ausgelegte Betrag (teilweise) zurückbezahlen könnte.
Aber Achtung! Damit ist das Problem Ihrer Klientin nicht restlos geklärt. Einerseits steht nicht mit Bestimmtheit fest, wie die Rechtsmittelinstanz entscheidet. Andererseits kann die Sozialhilfe von Ihrer Klientin - wie oben ausgeführt - verlangen, dass sie von ihrem Ehemann Unterhalt geltend macht. Weigert sich ihre Klientin, kann die Sozialhilfe aufgrund des Subsidiaritätsprinzips, das ich eingangs geschildert habe (Art. 3 SHG Uri) nach Ermahnung hypothetische Unterhaltsbeiträge anrechnen (Art. 31 SHG Uri, Kapitel 8.3 bzw. 8.6 SKOS-RL) und damit die Leistungen (teilweise) einstellen.
Ich hoffe, Ihnen mit meiner Antwort weiterhelfen zu können.
Freundliche Grüsse
Anja Loosli Brendebach
Guten Tag Frau Loosli
Ich danke IHnen für Ihre Erläuterungen und bin froh wenn sie mir im Rahmen der Entwicklungen der letzten Tage noch weitere Auskünfte geben können. Es ist in Wirklichkeit so dass anfangs Januar die Rente für den Ehemann noch auf das Schweizer Konto kam, meine Kl. davon Fr 300.-- behieht und den Rest ihrem Mann der schon Ende Dezember abgereist war ins Heimatland schickte. Nun moniert das Sozialamt einen Verdacht auf SH-Missbrauch, was ich nicht verstehen kann zumal sie ja die Fr. 370.-- auch mit dem Rückbehalt von Fr. 300.-- hätte bekommen können. (Sie hätte ja gemäss der Berechnung des SA Fr. 900.-- von der Rente bekommen sollen?
Weiter ist es anscheinend so dass der Ehemann, der früher auch schon in der CH im Gefängnis war das Land verlassen hat ohne vorgängig noch ein Rechtsmittel zu ergreifen,zu dem er die Möglichkeit gehabt hätte.Ist das relevant für Einschätzung, ob ein wichtiger Grund für das Getrenntleben vorliegt?
Mittlerweile hat der Ehemann einzelne Papiere über seine Ausgaben, die er schon zur Verfügung hatte geschickt und das Sozialamt hat die Unterstützung für meine Klientin aufgrund einer nun belegten Miete von Fr. 195.-- entsprechend aufgestockt (PS. Es ist noch ein anscheinend baufälliges bzw. nicht bewohnbares Haus das der Ehemann von seinen Eltern geerbt hat im Spiel wo Abklärungen über den Wert erfolgen müssen). Weitere Papiere sollte der Ehemann so oder so noch zustellen. Es ist aber zu befürchten, dass der Ehemann den gemäss dem Sozialamt der Frau zustehenden Anteil dieser nicht überweisen wird. (Gemäss Auskunft der Ausgleichskasse kann ja auch nur er alleine bestimmen, wohin die AHV-Rente überwiesen wird und gesplittet werden kann sie auch (noch) nicht.)
Das Sozialamt stellt sich auf den Standpunkt, dass wenn dem so ist, meine Kl. im Rahmen des Subsidiarätsprinzips selber dafür verantwortlich wäre, zuzusehen, dass sie zu ihrem Anteil der Rente kommt und sie würde diesbezüglich auf keine zusätzliche Unterstützung des Sozialamtes zählen können. Würde sie jedoch eine gerichtliche Trennung veranlassen, würde ihr die volle SH erhalten können (obwohl ja dann dennoch die Möglichkeit/Wahrscheinlichkeit besteht, dass der Ehegatte der Ehefrau in der Schweiz den verfügten Unterhaltsbeitrag nicht überweist??). Wie ist das zu verstehen und was soll die Klientin konkret tun, wenn der Ehemann seine Überweisung gemäss Berechnung des Sozialamtes nicht oder nur beschränkt vornimmt???
Ich danke Ihnen für IHre nochmalige Rückmeldung und grüsse Sie freundlich
Maria Egli
Frage beantwortet am
Anja Loosli Brendebach
Expert*in Sozialhilferecht
Sehr geehrte Frau Egli
Ich beantworte die von Ihnen gestellten weiteren Fragen gerne, soweit dies für mich möglich ist:
- Rentenzahlung anfangs Januar 2019
Generell kann ich hierzu ausführen, dass ich es aufgrund meiner Ausführungen in meiner ersten Antwort rechtlich falsch finde, dass die Sozialhilfe bereits von Beginn der Unterstützung weg Einnahmen des Ehemannes bzw. Unterhalt anrechnen will. Davon ausgenommen sind natürlich tatsächliche Einnahmen. Hat Ihre Klientin tatsächlich CHF 300.-- der Rente für sich behalten, ist dieser Betrag aufgrund des Subsidiaritätsprinzips an die Unterstützung anzurechnen. Ohne vorgängiges Zivilverfahren kann aber meiner Meinung nicht einfach von der Sozialhilfe berechnet werden, welchen Anteil der AHV-Rente der Ehefrau zusteht und dieser als Einnahmen angerechnet werden, da es sich vorliegend eben um ein Getrenntleben aus wichtigen Gründen handelt (siehe Ziff. 2 hienach) . Ebenfalls kann meiner Ansicht nach nicht von missbräuchlichem Sozialhilfebezug gesprochen werden, da nicht die Ehefrau sondern der Ehemann einen Anspruch auf eine AHV-Rente hat (Art. 21 AHV-Gesetz) und sie deshalb nicht frei darüber verfügen darf, zumal behördlich – zumindest vorerst - keine Drittauszahlung angeordnet ist (Art. 20 ATSG). - Getrenntleben aus wichtigen Gründen
Meiner Meinung nach ist es aus rechtlicher Sicht nicht ausschlaggebend, dass der Ehemann kein Rechtsmittel gegen die Ausweisung ergriffen hat. Ausschlaggebend ist ausschliesslich, dass ein rechtskräftiger Ausweisungsentscheid vorliegt und somit das legale Zusammenleben nicht mehr möglich ist. - Überweisung Anteil Ehemann
Wie in meiner ersten Antwort ausgeführt, ist es meiner Ansicht nach rechtlich falsch, aufgrund der wichtigen Gründe für das Getrenntleben das Einkommen des Ehemannes ohne weiteres in die Bedarfsberechnung der Ehefrau einzubeziehen. Es ist die Ehefrau auf den Zivilweg zur Geltendmachung eines Unterhalts zu verweisen und der vom Zivilgericht zu berechnende Unterhalt in die Bedarfsberechnung einzubeziehen.
Nach Kapitel F.3 der SKOS-RL hat die unterstützte Person sich einen Unterhaltsbetrag anrechnen zu lassen, wenn sie darauf verzichtet, obwohl der Ehegatte leisten könnte, da sie im Umfang dieses Betrags im Sinne des Subsidiaritätsprinzips nicht bedürftig ist. Allerdings muss der unterstützten Person – wie ich bereits mehrfach ausgeführt habe – Zeit gegeben werden, den Anspruch geltend zu machen. Bezahlt der Ehegatte den Unterhalt faktisch nicht, so besteht für Ihre Klientin die Möglichkeit nach Art. 20 Abs. 1 lit. b des Bundesgesetzes über den allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) die teilweise Drittauszahlung der Rente an sie bei der AHV zu beantragen. Nur wenn sie dies nicht tut und die Sozialhilfe darauf (inkl. Folgen) hingewiesen hat, darf die Sozialhilfe meiner Ansicht nach Unterhalt anrechnen, auch wenn er nicht fliesst.
Kurz: Ich empfehle Ihnen und Ihrer Klientin, sich auf dem Rechtsweg dagegen zu wehren, dass die Sozialhilfe bereits im heutigen Zeitpunkt das Einkommen des Ehemannes in die Bedarfsberechnung Ihrer Klientin einbezieht, ohne dieser die Gelegenheit zu geben, Unterhalt vor Zivilgericht geltend und (allenfalls mittels Drittauszahlungsgesuch) faktisch erhältlich zu machen.
Ich hoffe, Ihnen mit dieser Auskunft weiterhelfen zu können.
Freundliche Grüsse
Anja Loosli Brendebach
Guten Tag Frau Loosli
Ich danke Ihnen für Ihre nochmaligen Ausführungen. Ich habe heute mit Einwilligung der Klientin - es war der letzte Tag der Frist für eine Beschwerde auf die am 23.1. erhaltene Verfügung - im Sinne Ihrer Erläuterungen Beschwerde eingereicht mit dem Antrag um vollumfängliche SH ab 1.Februar und der Information, dass meine Klientin dem Gericht nun Antrag auf eine gerichtliche Festsetzung eines Unterhaltsbeitrags durch ihren Ehemann stellt. Sie ist bereit, dies zu tun. Meine Klientin kommt somit offensichtlich auch der von ihr erwarteten Mitwirkungspflicht nach.
Gerne hoffe ich, dass so eine Lösung für ihre unmittelbare Existenzsicherung gefunden werden kann.
Mit bestem Dank und freundlichen Grüssen
Maria Egli
Frage beantwortet am
Anja Loosli Brendebach
Expert*in Sozialhilferecht
Sehr geehrte Frau Egli
Ich erachte dieses Vorgehen als sehr gut und bin auf den Ausgang gespannt.
Freundliche Grüsse
Anja Loosli Brendebach