Eine Mutter meldet sich bei der KESB und schildert folgenden Sachverhalt: Der 16jährige Sohn hat Wohnsitz bei der Mutter, welche IV und EL bezieht. Für ihren Sohn erhält sie eine Rente aus IV und Pensionskasse. Der Vater bezahlt Unterhalt. Nun hält sich der Sohn mehrheitlich beim Vater (nahes Ausland) auf und die Eltern wollen einen neuen Unterhaltsvertrag, in dem festgehalten wird, dass der Vater für sämtliche Kosten des Sohnes aufkommt und der Mutter keinen Unterhalt mehr für den Sohn bezahlt. Der Wohnsitz des Sohnes soll aber bei der Mutter verbleiben.
Gemäss unserer Beurteilung muss der Bedarf des Sohnes (Grundbetrag, Krankenkasse, Miete) bei der Mutter angerechnet werden, solange er seinen Wohnsitz bei der Mutter hat. Ergo würde somit eine Unterhaltspflicht des Vaters bestehen, selbst wenn sich der Sohn mehrheitlich bei ihm aufhält. Wie beurteilen Sie dies?
Eine Berechnung einer alternierenden Obhut gestaltet sich schwierig, weil es keine fixen Zeiten/Tage gibt, in denen der Sohn bei der Mutter/beim Vater verbringt. Er ist je nach Bedürfnis mal länger bei der Mutter und mal länger beim Vater.
Was müssen wir für die Unterhaltsberechung berücksichtigen, insbesondere in Bezug auf die Leistungen der IV und EL, welche die Mutter für ihren Sohn bezieht?
Besten Dank für Ihre Bemühungen.
Frage beantwortet am
Karin Anderer
Expert*in Kindes- und Erwachsenenschutz
Guten Tag
Ich kann Ihnen in der komplexen Angelegenheit nur ein paar allgemeine Hinweise geben, zumal auch detaillierte Sachverhaltsangaben fehlen.
Die Bestimmung des zivilrechtlichen Wohnsitzes nach Art. 25 ZGB ist bei der alternierenden Obhut komplex, es wird an den Aufenthaltsort des Kindes angeknüpft. Wohnen die Kinder abwechselnd beim Vater und bei der Mutter (sogenanntes Pendelmodell), ist abweichend vom Aufenthalt, der Wohnsitz dort anzuknüpfen, wo die engsten Bindungen bestehen. Besteht nun ein paritätisches Pendelmodell, wo sich das Kind je hälftig beim Vater und bei der Mutter aufhält, haben die Eltern zu entscheiden, wo der Wohnsitz des Kindes liegen soll. In Streitfällen hat das Gericht oder die KESB den Wohnsitz festzulegen. (vgl. zum Ganzen Anderer, Der zivilrechtliche Wohnsitz Minderjähriger – de lege lata und de lege ferenda, in: Liber amicorum für Regina E. Aebi-Müller, Aspekte rechtlicher Nähebeziehungen, Zürich, Basel, Genf 2021, S. 7).
Wenn sich der Sohn, so wie sie schreiben, mehrheitlich beim Vater im nahen Ausland aufhält, so lässt sich kein zivilrechtlicher Wohnsitz mehr von der Mutter ableiten. Die Eltern können den zivilrechtlichen Wohnsitz nicht nach ihrem Gutdünken festlegen, er ist dort, wo die engsten Bindungen bestehen.
Wenn der Sohn die engsten Bindungen bei seinem Vater im Ausland hat, und somit keinen Wohnsitz mehr in der Schweiz, stellt sich die Frage nach der Zuständigkeit für die Änderung des Unterhaltstitels. Hier liegt ein internationaler Fall vor und das IPRG ist zu konsultieren.
Zur konkreten Berechnung kann ich keine Aussage machen, da mir notwendige Angaben fehlen. Wenn die Eltern die alternierende Obhut vereinbaren wollen und der Sohn sich mehrheitlich beim Vater aufhält, kann auf den bisherigen, an die Mutter zu leistenden Unterhaltsbeitrag verzichtet werden, sofern der Vater für den Unterhalt des Sohnes vollumfänglich aufkommen kann.
Die Kinderzusatzrenten der IV und der Pensionskasse stehen der Mutter, als akzessorische Leistungen zu ihren Hauptrenten, zu, und ermöglichen es ihr, für den Unterhalt des Sohnes aufzukommen. Bestreitet nun der Vater den vollen Unterhalt des Kindes, können diese Renten dem Vater weitergeleitet werden. Die Eltern können aber vereinbaren, die Renten oder einen gewissen Anteil bei der Mutter zu belassen, da sie bei der geteilten Obhut weiterhin Ausgaben für den Sohn haben dürfte.
In komplexen Unterhaltsfragen, wie den vorliegenden, müssen sich die KESB oder eine Beratungsstelle Rechenschaft ablegen, ob sie über das nötige Fachwissen verfügen oder ob sie die Beteiligten, welche eine Abänderung von Unterhalt einreichen wollen, an das zuständige Gerichte oder an die Anwaltschaft verweisen (vgl. dazu im Anhang den Entscheid des Berner Kindes- und Erwachsenenschutzgerichts, KES 20 546 vom 16. Juli 2020).
Hinweis: Die Belassung des Wohnsitzes bei der Mutter könnte allenfalls betrügerisch motiviert sein, die EL wird zusammen mit der Mutter festgelegt, solange der Sohn mit ihr zusammenlebt (Art. 7 Abs. 1 lit. a ELV). Eine Beratungsstelle oder die KESB darf sich hier nicht einspannen lassen. Nach Art. 24 ELV hat die Mutter der EL-Durchführungsstelle Änderungen der wirtschaftlichen Verhältnisse (Abänderung Unterhaltstitel) und Veränderungen, welche bei an der Ergänzungsleistung beteiligten Familiengliedern des Bezugsberechtigten eintreten (Obhut) unaufgefordert und sofort mitzuteilen.
Ich hoffe, die Angaben sind nützlich und ich grüsse Sie freundlich.
Luzern, 13.1.2022
Karin Anderer