Zum Inhalt oder zum Footer

Unterhaltspflicht

Veröffentlicht:
12.05.2020
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Kindes- und Erwachsenenschutz

Sehr geehrte Frau Anderer

Ich habe eine Frage in Bezug auf die Art. 276 und 277 ZGB.

Eine 18-jährige junge Frau hat am 5. März ihre Ausbildung im Detailhandel (Lebensmittel) nach wenigen Monaten abgebrochen. Sie möchte im Sommer eine neue Ausbildung , ebenfalls im Detailhandel, jedoch in einem anderen Bereich beginnen.

Aufgrund des Lockdown war es ihr bislang nur eingeschränkt möglich (30 Bewerbungen, jedoch keine Vorstellungsgespräche), sich um eine neue Lehrstelle zu bemühen und auch eine Temporäranstellung hat sich nicht finden lassen.

Die Eltern sind geschieden. Laut einem Gerichtsentscheid muss der Vater Fr. 650.-- mtl. Unterhalt bezahlen. Aufgrund des Abbruchs der Ausbildung hat er die Unterhaltszahlungen eingestellt.

Frage: Ist er im Recht, wenn er die Zahlungen zwischen dem Abbruch der Ausbildung am 5. März 2020 und dem allfälligen Beginn der neuen Ausbildung im August 2020 unterbricht?

Hat die Tochter eine Chance, wenn sie gegen den Vater klagt?

Erwähnen möchte ich, dass die Mutter in Bezug auf diese Frage bislang unterschiedliche Antworten von Juristen erhielt.

Vielen Dank für Ihre Auskunft.

Freundliche Grüsse

B. Moritz

Frage beantwortet am

Karin Anderer

Expert*in Kindes- und Erwachsenenschutz

Sehr geehrte Frau Moritz

Ja, das ist so, zwei JuristInnen drei Meinungen…..

Ich gehe davon aus, dass ein Unterhaltstitel vorliegt und der Volljährigenunterhalt für die Dauer der Ausbildung geregelt ist.

Hier liegt ein Fall eines Ausbildungsabbruchs vor und die junge Frau gedenkt, im Sommer eine Ausbildung an einem anderen Ort neu aufzunehmen. Ich gehe davon aus, dass sie den Ausbildungsplan nicht mit dem unterhaltspflichtigen Vater besprochen und ihn nicht über die Gründe für den Abbruch der ersten Lehre informiert hat. Das hätte sie tun müssen, auch nach Volljährigkeit besteht eine Pflicht zum Zusammenwirken nach Art. 272 ZGB (vgl. BSK ZGB I-Breitschmid, Art. 277 N 13).

Es kommt nun sehr auf die konkreten Umstände an. Ob die Unterhaltspflicht andauert oder stillsteht, oder ob die Unterhaltspflicht sogar endet, kann nur in Kenntnis der konkreten Umstände beantwortet werden, eine Einzelfallbeurteilung ist vorzunehmen.

Die Frage der Fortdauer der Unterhaltspflicht gestaltet sich schwierig, wenn die junge Frau ihre Ausbildung abbricht, weil sie feststellt, dass sie nicht ihren Bedürfnissen und Fähigkeiten entspricht. In diesem Falle dürfte im Wesentlichen im Zentrum stehen, wie gut der ursprüngliche Ausbildungsplan gewählt und wie lange die abgebrochene Ausbildung bereits verfolgt wurden (vgl. Tobias Brändli, Unterhalt bei Abbruch und Wiederaufnahme einer Ausbildung, in: plä 2017, S. 40 ff, S. 43, abrufbar auf http://www.braendli-rechtsanwalt.ch/pdf/volljaehrigenunterhalt.pdf und Heinz Hausheer / Michel Verde, Mündigenunterhalt, in: Jusletter 15. Februar 2010, 8, im Anhang.).

Wurde die Ausbildung nicht schuldhaft abgebrochen (was hier unklar ist bzw. noch abgeklärt werden müsste) oder erfolgt eine Neuorientierung, lässt das in der Regel die Unterhaltspflicht nicht erlöschen, sondern lediglich ruhen (BSK ZGB I-Breitschmid, Art. 277 N 13; vgl. auch BGer 5A_563/2008 vom 4. Dezember 2008, E. 4). Es ist also gut möglich, dass bis zum Beginn der neuen Ausbildung die Unterhaltspflicht ruht. Ob sie diesen Sommer eine neue Lehre beginnen kann, ist ungewiss.

Die Tochter müsste den ausstehenden Unterhalt in Betreibung setzen. Ob sie hier eine Chance hat, kann ich nicht beurteilen, ich sehe aber Anhaltspunkte dafür, dass die Unterhaltspflicht ruhen könnte.

Ich empfehle der Tochter, wenn immer möglich, den Vater in den Ausbildungsplan miteinzubeziehen. Vielleicht lässt sich in einem Gespräch zwischen Tochter und Vater, allenfalls unter Ihrer Leitung, eine Lösung erzielen.

Die Tochter kann sich ans RAV wenden und dort ggf. Arbeitslosentaggelder beziehen (begrenzt und 120 Wartetage) und ggf. an einem Beschäftigungsprogramm/Motivationssemster teilnehmen.

Ich hoffe, die Angaben sind nützlich und ich grüsse Sie freundlich.

Luzern, 13.5.2020

Karin Anderer

Dokument anschauen