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Unterhaltsbeiträge während IV-Abklärung

Veröffentlicht:
14.07.2022
Kanton:
Aargau
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Kindes- und Erwachsenenschutz

Guten Tag

Meine Klientin ist 19 Jahre alt und macht eine IV-Abklärung mit Ziel, allenfalls nächstes Jahr eine EBA zu starten.

Im Scheidungsurteil heisst es: Die Unterhaltspflicht dauert bis zum Eintritt in die volle Erwerbstätigkeit, längstens bis zur Mündigkeit des Kindes. Vorbehalten bleibt eine längerdauernde Unterhaltspflicht, bis das Kind seine Erstausbildung ordentlicherweise abschliessen konnte.

Frage: Hat meine Klientin während der IV-Abklärung zuzüglich zum Taggeld Anspruch auf Unterhaltsbeiträge des Vaters?

Vielen herzlichen Dank

Anita Hubert 

Frage beantwortet am

Karin Anderer

Expert*in Kindes- und Erwachsenenschutz

Grüezi

Hat das Kind nach Erreichen der Volljährigkeit noch keine angemessene Ausbildung, so haben die Eltern, nach Art. 277 Abs. 2 ZGB, soweit es ihnen nach den gesamten Umständen zugemutet werden darf, für seinen Unterhalt aufzukommen, bis eine entsprechende Ausbildung ordentlicherweise abgeschlossen werden kann.

Die Eltern und das Kind haben hinsichtlich des Entscheids über die angemessene Ausbildung eine Zusammenwirkungs- und Einigungspflicht. Der berufliche Lebensplan ist vom Kind und den Eltern gemeinsam zu treffen (OFK/ZGB-Gmünder, Art. 277 N 3). Angemessen ist eine Ausbildung dann, wenn das geplante und realistische Ausbildungsziel (beruflicher Lebensplan) erreicht ist (OFK/ZGB-Gmünder, Art. 277 N 3).

Dem Sachverhalt lässt sich nicht entnehmen, ob ein Ausbildungsplan getroffen wurden, was die junge Person bisher getan hat, ob eine Ausbildung unverschuldet abgebrochen wurde, ob eine unverschuldete Neuorientierung stattgefunden hat oder ob eine begonnene Ausbildung aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr fortgeführt werden konnte. Unklar ist auch, ob der Vater nach Erreichen der Volljährigkeit noch eine Weile lang Zahlungen geleistet hat. Deshalb kann ich Ihnen nur eine allgemeine Auskunft geben.

Ich gehe davon aus, dass die junge Person sich in Abklärungsmassnahmen der IV befindet, die nicht der Erreichung des Ausbildungsziels dienen, sondern die Eingliederungsfähigkeit klären. Wurde ein Ausbildungsplan getroffen, den die junge Person aus gesundheitlichen Gründen noch nicht verfolgen konnte oder unterbrechen musste, so sistiert die Unterhaltspflicht einstweilen. Erst wenn die junge Person das Ausbildungsziel aufnimmt oder wieder aufnimmt, was auch der Beginn einer EBA im Sinne einer Umorientierung sein kann, lebt der Unterhalt (wieder) auf (BSK ZGB I-Fountoulakis/Breitschmid, Art. 277 N 13).

Nach Art. 276 Abs. 3 ZGB sind die Eltern von der Unterhaltspflicht in dem Mass befreit, als dem Kinde zugemutet werden kann, den Unterhalt aus seinem Arbeitserwerb oder andern Mitteln zu bestreiten. Die junge Person muss also das IV-Taggeld für den eigenen Unterhalt einsetzen, was zur Reduktion des Unterhaltsbetrags führen kann.

Hinweis: Nicht nur der Vater sondern auch die Mutter ist unterhaltspflichtig.

Das von Ihnen zitierte Scheidungsurteil stellt im Übrigen nur dann einen Rechtsöffnungstitel dar, wenn der Unterhalt über die Volljährigkeit hinaus konkret und ziffernmässig bestimmt fesgelegt wurde; der blosse Vorbehalt von Art. 277 Abs. 2 ZGB genügt nicht (OFK/ZGB-Gmünder, Art. 277 N 9).

Ich hoffe, die Angaben sind nützlich und ich grüsse Sie freundlich.

Luzern, 20.7.2022

Karin Anderer