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Unterhalt: Invalidität und Betreuungsunterhalt

Veröffentlicht:
07.01.2021
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Kindes- und Erwachsenenschutz

Guten Tag

In einer laufenden Unterhaltsberechnung liegt folgende Konstellation vor:

Zu berechnen gilt es den vom Vater geschuldeten Unterhalt für sein 2-jähriges Kind B..
B. und dessen 4-jähriges Halbgeschwister A. wohnen gemeinsam bei ihrer Mutter. Die Mutter bezieht eine Invalidenrente, der Invaliditätsgrad beträgt 50%. Die Ausgleichskasse hat eine provisorische EL-Berechnung gemacht, eine definitive Berechnung erfolgt erst, nachdem der Kindsunterhalt für B. via genehmigter Vereinbarung festgelegt wurde (der Unterhalt für A. wurde gerichtlich festgelegt). Wir wurden informiert, dass die Ergänzungsleistungen dem Kindsunterhalt nachgelagert sind und daher nicht als Einnahmen in der Unterhaltsberechnung berücksichtigt werden dürfen.

Nun stellt sich die Frage, wie der Betreuungsunterhalt und die Schulstufenregel zu handhaben sind, wenn bei der Mutter aufgrund ihrer Invalidität höchstens ein hypothetisches Einkommen von 50% zumutbar ist und eingerechnet werden darf. Bedeutet dies, dass ab Einschulung des jüngeren Kindes in sämtlichen weiteren Phasen das Manko der Mutter via Betreuungsunterhalt durch die Kindsväter gedeckt werden muss, dass sich die Väter bis Abschluss der Erstausbildung von A. je hälftig an diesem "Betreuungsunterhalt" beteiligen, obwohl gar kein entsprechender Betreuungsbedarf mehr vorliegt? (Und nach Abschluss von A.s Erstausbildung müsste der Vater von B. ja dann im Rahmen des "Betreuungsunterhalts" gar das gesamte Manko der Kindsmutter decken?)

Vielen Dank für Ihre Antwort.

A. Lehmann

Frage beantwortet am

Karin Anderer

Expert*in Kindes- und Erwachsenenschutz

Sehr geehrte Frau Lehmann

Die Mutter erhält eine IV-Rente und eine IV-Kinderrente, womit die Risiken „Invalidität“ und „Familienlasten“ abgedeckt werden. Diese Leistungen werden ihr bei der Unterhaltsberechnung als Einkommen angerechnet. Die familienrechtlichen Unterhaltspflichten gehen den Ergänzungsleistungen vor. Bei einem möglichen EL-Anspruch werden der Betreuungsunterhalt und der Barunterhalt als Einnahme berücksichtigt.

Im vorliegenden Fall ist eine Einzelfallbeurteilung vorzunehmen. Eine 50%ige IV-Rente bedeutet nicht, dass die Mutter, z.B. bei einem IV-Grad von 50%, nur noch 50% arbeiten kann. Möglich ist, dass die Mutter weiterhin Vollzeit arbeiten könnte (z.B. an einem angepassten Arbeitsplatz, nur noch leichte manuelle Tätigkeiten).

Einem IV-Entscheid liegt regelmässig ein Zumutbarkeitsprofil zugrunde, aus dem die Einschränkung der Arbeitsfähigkeit und die Leistungsfähigkeit hervorgehen. Ermittelt werden muss, wo genau die Mutter eingeschränkt ist und wie sich diese Einschränkung auf die Kinderbetreuung auswirkt. Für die Ermittlung des Betreuungsunterhaltes ist der IV-Entscheid beizuziehen. Nur so lässt sich ermitteln, ob und in welchem Umfang und in welchem Bereich die Mutter ab dem Kindergarteneintritt arbeiten könnte und welches Einkommen erzielbar wäre. Sie können nicht einfach ein hypothetisches Einkommen von 50% annehmen, der mögliche zumutbare Teilerwerb ist zu ermitteln. Zusammenfassend: Die Einzelheiten des Falles sind zu berücksichtigen.

Um die Höhe des Einkommens festlegen zu können, stellt man in der Regel auf die Schweizerische Lohnstrukturerhebung (LSE) ab.

Folgende Literatur kann ich empfehlen: Philipp Maier, Die konkrete Berechnung von Kinderunterhaltsbeiträgen, in: FamPra.ch 2020, S. 314 ff. In Ziffer 5 finden Sie eine Abhandlung zum Spezialfall „Patchworksituation (mehrere Kinder von verschiedenen Elternteilen)“.

Das Unterhaltsrecht ist seit der Revision sehr komplex geworden. Interessant kann für Sie hier der Entscheid des Kindes- und Erwachsenenschutzgerichts des Kantons Bern vom 16. Juli 2020, KES 20 546, sein (im Anhang). In E. 8.3. tönt das Gericht sinngemäss an, dass sich Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter einer KESB oder eines Sozialdienstes in komplexen Unterhaltssituation möglichst bald Rechenschaft darüber ablegen sollen, ob Beratungen noch im Rahmen ihrer Möglichkeiten liegen oder ob die Beteiligten an Fachpersonen verwiesen werden sollten. Die Beantwortung von schwierigen juristischen Wertungsfragen verlangt nach einer entsprechenden Ausbildung und einem Überblick über das Rechtssystem, und selbst das schützt nicht vor Überlegungs- und Berechnungsfehlern, so das Gericht.

Ich hoffe, die Angaben sind nützlich und ich grüsse Sie freundlich.

Luzern, 14.1.2021

Karin Anderer

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