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Unklare Trennungssituation

Veröffentlicht:
07.08.2018
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Sozialhilferecht

Guten Tag liebes Expertenteam
ich gelange mit folgender Anfrage an Sie:
Wir betreuen eine Familie, die bereits mehrmals ein Scheidungsbegehren eingereicht hat und dies innert kurzer Zeit wieder zurückgezogen hat. Der Ehemann wohnt dann auch "offiziell* wieder mit seiner Frau und dem Kind zusammen. Die Situation ist insgesamt diffus. So hat er auch in Zeiten der Trennung keine neue Bleibe und ist noch mit der familiären Adresse gemeldet. Die Frau gibt an er würde auch etwas an den Unterhalt bezahlen, bzw. Lebensmittel einkaufen und sich letztendlich doch oftmals in der gemeinsamen Wohnung aufhalten. Der Ehemann ist berufstätig und mit seinem Einkommen hätten sie eigentlich keinen Anspruch auf Sozialhilfe.
Der Bedarf ist so schwierig zu eruieren. Es stellt sich hier auch die Frage des Sozialhilfemissbrauchs. Welche Auflagen kann der Sozialdienst hier verfügen? Wäre es möglich das Dossier aufgrund der unklaren Ausgangslage einzustellen?
Besten Dank für Ihre Bemühungen.
Mit freundlichen Grüssen
Sabine Bauer
B

Frage beantwortet am

Cathrin Habersaat-Hüsser

Expert*in Sozialhilferecht

Sehr geehrte Frau Bauer
Ehegatten sorgen gemeinsam, jeder nach seinen Kräften, für den gebührenden Unterhalt der Familie so der Grundsatz in Art. 163 ZGB. Aufgrund des in der Sozialhilfe geltenden Subsidiaritätsprinzips (Art. 9 und 30 Abs. 3 Gesetz über die öffentliche Sozialhilfe (SHG BE) geht die Unterhaltspflicht der Ehegatten der öffentlichen Sozialhilfe vor. Reicht das Geld nicht aus, so stellt das Ehepaar eine Unterstützungseinheit dar und es wird somit ein Budget für die gesamte Familie erstellt, obwohl die Ehegatten je über einen eigenen Unterstützungswohnsitz verfügen (vgl. Art. 6 und 32 Abs. 3 Bundesgesetz über die Zuständigkeit für die Unterstützung Bedürftiger (ZUG)).
Nun stellt sich die Frage, wie es sich verhält, wenn zwar ein Trennungswille vorhanden ist, der gemeinsame Haushalt jedoch weiterhin mehrheitlich fortgeführt wird. Das Gesetz wie auch die Verordnung besagen dazu nichts, im Stichwortverzeichnis der Berner Konferenz für Sozialhilfe, Kindes- und Erwachsenenschutz (BKSE) findet sich unter dem Stichwort Trennung/Scheidung auch nichts zu dieser Frage.
Zivilrechtlich ist in Art. 175 ZGB festgehalten, dass ein Ehegatte berechtigt ist, „den gemeinsamen Haushalt für solange aufzuheben, als seine Persönlichkeit, seine wirtschaftliche Sicherheit oder das Wohl der Familie durch das Zusammenleben ernstlich gefährdet ist.“ Andererseits geht Art. 32 Abs. 3 ZUG davon aus, dass in Hausgemeinschaft lebende Ehegatten als ein Unterstützungsfall gelten. Massgebendes Kriterium ist demnach die Hausgemeinschaft bzw. der gemeinsame Haushalt. Daraus lässt sich für den vorliegenden Fall schliessen, dass das Ehepaar zivilrechtlich als nicht getrennt gilt, solange sie im gemeinsamen Haushalt überwiegend zusammenleben. Eine Ausnahme davon ist möglich, wenn die Ehegatten vorübergehend einen Wiedervereinigungsversuch unternehmen, nachdem ein Ehegatte ausgezogen war. Dabei müssen die Verhältnisse klar sein. Ein andauernder Wiedervereinigungsversuch führt dazu, dass die Aufhebung des gemeinsamen Haushalts beendet wurde. Vorliegend ist bereits unklar, ob der Ehegatte überhaupt ausgezogen war. Nach den von Ihnen dargelegten Umständen wäre somit weiterhin von einer Unterstützungseinheit auszugehen. Sofern ein Ehegatte die gemeinsame Wohnung verlässt und ein Begehren bei Gericht zur Bewilligung des Gentrennlebens und Regelung der Unterhaltsbeiträge eingereicht wird, wäre aber von keiner Unterstützungseinheit mehr auszugehen. Ausreichend wäre wohl auch, wenn der auszugswillige Ehegatte nachweislich auf Wohnungssuche ist und beim Gericht ein Eheschutzverfahren mit Antrag auf Bewilligung des Getrenntlebens eingereicht wurde. Bei der Feststellung ist dabei auf die Angaben der bedürftigen Person und die äusseren Umstände abzustellen (Art. 28 SHG BE) und gegebenenfalls das Sozialinspektorat beizuziehen (Art. 19a SHG BE).
Nach dem Gesagten sind die Ehegatten vorliegend überwiegend wahrscheinlich als Unterstützungseinheit zu betrachten. Sind sich die Ehegatten nicht im Klaren, was sie wollen, der Ehemann seinen nach sozialhilferechtlichen Grundsätzen erforderlichen finanziellen Anteil aber nicht leistet, wäre der Ehefrau generell zu raten, ein Eheschutzverfahren beim Gericht einzuleiten. Dies kann nämlich auch erfolgen, wenn Ziel nicht das Getrenntleben ist (vgl. Art. 172 ZGB). Leitet sie diesen Schritt ein, wäre für die Dauer des Verfahren in Bezug auf sie und die Kinder auf die finanziellen Verhältnisse abzustellen, wie sie sie angibt und nachweist z.B. mit Kontoauszügen über die geleisteten Unterhaltsbeiträge, womit Ehefrau und Kinder aus Praktikabilitätsgründen eine eigene Unterstützungseinheit bilden würden, da der Ehemann nicht bedürftig wäre. Leitet sie kein solches Verfahren ein, wäre die gesamte Familie als Unterstützungseinheit zu betrachten.
Falls Sie noch Fragen haben, ungeniert einfach melden.
Freundlich grüsst
Cathrin Habersaat

Guten Tag Frau Habersaat
besten Dank für diese ausführliche und nützliche Antwort.
Mit freundlichen Grüssen
Sabine Bauer