Sehr geehrte Damen und Herren
Ein Junge ist seit August 2016 im Insitut A fremdplaziert. Da er die diensthabende Mitarbeiterin angriff, wurde er polizeilich abgeholt und in die PUK eingewiesen. Am 4.06.2019 wollte ihn die Gruppenleiterin zurückbringen und erklärte ihm das weitere Vorgehen. Daraufhin weigerte er sich mitzugehen und sie entschied zusammen mit der Klinik, dass er noch in der Klinik bleiben werde. Am 5.06.2019 tratt er in die Stitung B ein. Dass er so überstürzt in die Stiftung B eintritt war weder durch das Institut A abgesprochen, noch war das die Empfehlung des Institut A gewesen. Das Institut teilte mit, dass in Ausnahmefällen ein Austritt an einer Krisensitzung beschlossen werde, wenn dies sinnvoll erscheint. Dies sei in diesem Fall nicht geschehen. Das Institut A wurde vor vollendete Tatsachen gestellt und nicht miteinbezogen. Aus pädagogischer Sicht sei dies höchst ungünstig, da gravierende Vorfälle nicht aufgearbeitet werden konnten.
Die ordentliche Kündigungsfrist beträgt drei Monate. Da die Kostenübernahmegarantie per 01.08.2019 nicht weiter verfügt wurde, hat die Beiständin dem Institunt mitgeteilt, dass bis Ende Schuljahr (31.07.19) verrechne werden könne, weshalb die entsprechende Rechnungen an die Fürsorgebehörde gestellt wurde.
Die Beiständin teilte an die Fürsorgebehörde mit, dass das Institut sie per Email über den Fall informiert habe. Die Klinik habe ihrerseits von der Beiständin verlangt, den Jungen so schnell als möglich, jedoch spätestens am nächsten Morgen, abzuholen. Da der Junge die Bedingungen nicht erfüllen konnte, sei umgehend ein anderes Institut gesucht und gefunden worden. Zeitnah sei das Institut A über die Umplatzierung informiert bzw. die Kündigung des Platzes ausgesporchen worden.
Die Fürsorgebehörde ist mit der doppelten Verrechnung der Platzierungskosten nicht einverstanden. Insbesondere, da das Institut A sich dazumal bereit erklärt hat, den Jungen nach wie vor wieder aufzunehmen. Es wurde deshalb die Leiterin der KESB kontaktiert.
Nachdem die Leiterin die Akten gesichtet hatte, antwortete sie, dass der Klient nur unter bestimmten Bedingungen zurückgenommen worden wäre. Der KL konnte aber diese Bedingungen nicht erfüllen, weshalb die Beistandsperson gezwungen war, innert kürzester Frist eine Nachfolgelösung zu suchen. Was sich in diesem komplexen Fall als sehr schwierig erwies. In der Praxis kommt eine solch schnelle Umplatzierung im Kindesschutz jedoch nicht selten vor. Während dieser Umplatzierungsphase war die Beistandsperson im Kontakt mit mehreren Personen des Internates. (was jedoch vom Internat bestritten wird).
Grundsätzlich kann gesagt werden, dass die Beistandspersonen gegenüber der KESB rechenschaftspflichtig sind. Sollte sich von Seiten der KESB, als Aufsichtsorgan herausstellen, dass eine Beistandsperson die Mandatsführung nicht korrekt ausübt, würde von Seiten der Behörde interveniert.
Abklärungen des Fürsorgesekretariat beim verfahrensleitende Behördenmitglied ergab, dass es über den Wechsel vom Institut "A" zum Institut "B" nicht involviert gewesen war.
Aus Sicht der Fürsorgebehörde ist das Vorgehen der Beiständin in diesem Fall sehr fraglich. Insbesondere, da der Klient überstürzt in ein anderes Institut platziert wurde. Ist hier der Beistand allenfalls zu wenig umsichtig vorgegangen und es entsteht eine Haftung?
Vielen Dank für Ihre Antwort
Freundliche Grüsse
Philipp Schaller
Frage beantwortet am
Karin Anderer
Expert*in Kindes- und Erwachsenenschutz
Sehr geehrter Herr Schaller
Es ist eine äusserst komplexe Materie. Im Rahmen der Kurzberatung kann ich Ihnen nur ein paar Anhaltspunkte geben, intensivere Abklärungen wären nötig.
Unklar ist zunächst, wer Vertragspartner der Institution ist. Entweder ist es die KESB, dann wenn sie die Aufhebung des Aufenthaltsbestimmungsrechts nach Art. 310 ZGB angeordnet hat, oder es sind die Eltern (oder eine Vormundin bzw. ein Vormund was hier nicht zuzutreffend scheint). Eine Beiständin kann niemals Vertragspartnerin von einer Institution sein, da sie über kein Aufenthaltsbestimmungsrecht verfügt. Wer die Kündigung ausgesprochen hat und wie sie begründet wurde, ist unklar.
Der Inhalt des Heimvertrages, der zwischen der KESB oder den Eltern und der Institution A abgeschlossen wurde, ist nicht bekannt. Die Bestimmungen über die Kündigung des Vertrages, auch zu Unzeit, müssen konsultiert werden (vgl. zum Ganzen Peter Breitschmid, Daniel Steck, Caroline Wittwer, Der Heimvertrag, in: FamPra 2009, S. 867 ff.; Sandra Hotz, Der Betreuungsvertrag, in: FamPra.ch 2016, S. 815 ff.).
Es wurde offenbar eine Kündigungsfrist von 3 Monaten vereinbart. Nun ergibt sich aus der Rechtsnatur des Heimvertrages, dass eine Kündigung aus wichtigem Grund oder ein Widerruf möglich sein muss (Breitschmid, 866 ff.). Wird der Vertrag aus wichtigem Grund gekündigt oder wird er widerrufen, ist kein weiteres Entgelt geschuldet. Liegt der wichtige Grund nicht vor, ist das Entgelt bis zum Ablauf der Frist geschuldet. Erfolgte der Widerruf zu Unzeit, ist Schadenersatz geschuldet (Breitschmid, 867). Die Sachverhaltsschilderung lässt hier keine Beurteilung zu, welcher Fall eingetroffen ist. Es stehen Aussagen im Raum, die noch verifiziert werden müssten.
Sollte das Entgelt bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder ein Schadensersatz geschuldet sein, ist abzuklären, ob die Heimtaxe tatsächlich noch geschuldet ist. Häufig können nämlich freie Plätze rasch wieder besetzt werden. Das Heim hat aus Treu und Glauben eine allgemeine Schadenminderungspflicht und muss dafür besorgt sein, dass ein frei gewordener Platz so schnell als möglich wieder besetzt werden kann.
Verlangen Sie von der Beiständin und der KESB Auskunft über die konkrete Vertragsauflösung und ihre Konsequenzen. Insbesondere ob eine Kündigung aus wichtigem Grund oder ein Widerruf vorlagen und wenn nein, ob das Heim alles unternommen habe, um den Platz wieder zu belegen.
Die Fürsorgebehörde hat jedenfalls nur bis maximal Ablauf der Kostenübernahmegarantie, d.h. für die Kosten bis und mit Monat Juli 2019 aufzukommen. Darüber hinaus besteht keine Kostenübernahmegarantie gegenüber der Institution A.
Verpflichtet durch den Vertragsabschluss wurden die unterhaltspflichtigen Eltern (Art. 276 Abs. 2 ZGB), auch wenn die KESB die Platzierung angeordnet hat. Sie haben der Fürsorgebehörde die Kosten der Kindesschutzmassnahme, auch die doppelten Kosten, zu begleichen. Nach der Rechtsprechung des alten Vormundschaftsrecht können sich Unterhaltsverpflichtete auf die Haftungsbestimmungen nach aArt. 426 ff. ZGB berufen. Es ist unklar, ob das auch unter neuem Recht weitergelten soll (vgl. Anderer, in: Handbuch Kindes- und Erwachsenenschutz, N 1550; Wey, in: FHB Kindes- und Erwachseneschutzrecht, N. 20.16).
Ob ein Haftungsfall entstanden ist und die Eltern überhaupt eine Anspruch gelten machen können, bedarf einer vertieften Abklärung.
Ich hoffe, die Angaben sind nützlich und ich grüsse Sie freundlich.
Luzern, 3.10.2019
Karin Anderer
Sehr geehrte Frau Anderer
Vielen Dank für Ihre Antwort. Gerne würde ich drei Anschlussfragen stellen:
Der Vertragspartner ist die KESB sie hat die Aufhebung des Aufenthaltsbestimmungsrechts nach Art. 310 ZGB angeordnet.
Die Institiuion A hat folgende Bedingungen gestellt:
- Der Aufenthalt im Time-Out Zimmer
- Handy abgeben
- mit den Sozialpädagogen aufarbeiten, was passiert ist
Unter diesen Voraussetzungen hat sich der Klient einer Rückkehr verweigert. Gemeinsam mit dem Arzt, der Therapeutin hat sich die Betreuerin der Institution A entschieden, dass der KL eine weitere Nacht in der Klinik bleibt und mit der Beiständin das weitere Vorgehen bespreche. Die Klinik habe dann von der Beiständin verlangt, den Klienten so schnell als möglich, spätestens am nächsten Morgen von der Klinik abzuholen. Die Beiständin habe dann die "Institution B" organisiert.
Gemäss Institution A kannte der KL dieses Prozedere bereits von mehreren tätlichen Angriffen auf Erwachsene. Sie ist deshalb der Meinung, dass er die Forderung zur Rückkehr sehr wohl erfüllen hätte können.
Frage: die Aussage zwischen der Beiständin und dem Institut sind widersprüchlich. Kann hier ein ärztliches Zeugnis beurteilen, ob es sich um einen wichtigem Grund für einen Widerruf gehandelt hat oder hätte der KL zur Rückkehr gezwunden werden können?
Das Heim hat aus Treu und Glauben eine allgemeine Schadenminderungspflicht und muss dafür besorgt sein, dass ein frei gewordener Platz so schnell als möglich wieder besetzt werden kann. Das Heim hat uns per Email mitgeteilt, dass der Platz in dieser Zeit nicht weiter vermittelt werden konnte.
Frage: kann das überprüft werden?
Das Institut A und das Institut B sind beides IVSE Heime. Im Artikel 24 der IVSE wird der physische Austritt als Austrittstag geregelt. Im Kommentar zu diesem Artikel steht im Absatze 1, 1bis, 1ter, 1quater: "Die Festlegung einer Verrechnungseinheit ist für die Defizitabrechnung notwendig. Regelt der Kanton die Leistungsabgeltung mit Pauschalen kann er eine andere, angemessene Verrechnungseinheit mit der Einrichtung vereinbaren. Wird nach Kalendertag verrechnet, so gilt folgendes: Der Kalendertag entspricht der Anzahl Tage gemäss Kalender vom Eintritts- bis zum Austrittstag inklusive dieser beiden Tage".
Frage: kann nach IVSE eine physische Anwesenheit nicht nur in einem Heim verrechnet werden?
Herzlichen Dank für Ihre Antwort
Philipp Schaller
Frage beantwortet am
Karin Anderer
Expert*in Kindes- und Erwachsenenschutz
Sehr geehrter Herr Schaller
Gerne gebe ich Ihnen auf die drei Fragen meine Beurteilung ab.
Frage 1:
Die KESB ist Vertragspartnerin und verantwortlich für die Platzierung. Aufgrund der Untersuchungsmaxime ist sie gehalten, sich alle erforderlichen Informationen und Entscheidungsgrundlagen zu beschaffen. Sie hat die minderjährige Person in die Institution A platziert und später in die Institution B umplatziert. Die Beiständin hat keine Kompetenz, die minderjährige Person zu platzieren und sie kann keinen Platzierungsvertrag abschliessen. Die Sozialhilfebehörde ist an den KESB-Entscheid gebunden, auch wenn eine kostenverursachende Umplatzierung erfolgte.
Auch der KESB muss es bewusst sein, dass Umplatzierungen Kosten nach sich ziehen und sie ist - nicht anders als die Sozialhilfebehörden - an das Gebot des sorgsamen Umgangs mit öffentlichen Mitteln gebunden.
Sie müssen sich hier an die KESB wenden und mit ihr den Sachverhalt klären. Die KESB hat ihren Entscheid zu begründen, auch ihre Überlegungen finanzieller Art. Die KOKES empfiehlt, Differenzen zwischen der KESB und der Sozialhilfebehörde im Rahmen von Qualitätszirkeln zu besprechen und beizulegen. Offen bleibt Ihnen auch die Aufsichtsbeschwerde (vgl. Empfehlungen der KOKES vom 24. April 2014, Der Einbezug von Sozialhilfebehörden in die Entscheidfindung der Kindesschutzorgane, abrufbar auf https://www.kokes.ch/assets/pdf/de/dokumentationen/empfehlungen/14_Empfehlungen_Einbezug_SH-Beh__rden_mit_Hinweis_BGer.pdf).
Frage 2:
Warum Sie an der Auskunft zweifeln, ist nicht bekannt. Sie können sich mit Ihren Zweifeln an die Heimaufsicht wenden.
Frage 3:
Ich verstehe Ihre Frage dahingehend, ob ein Heim nur die Anwesenheitstage in Rechnung stellen darf.
Im Gespräch mit der KESB können Sie klären, was die KESB unternommen hat, um aus dem Vertrag auszusteigen. Das Heim hat das Risiko eines Platzierungsbruchs grundsätzlich nicht zu tragen. Wesentlich sind hier die Vertragsbestimmungen, insbesondere die Kündigungsbestimmungen.
Ich hoffe, die Angaben helfen Ihnen weiter.
Freundliche Grüsse
Karin Anderer