Zum Inhalt oder zum Footer

Umgang mit dem Verbrauch von BVG-Geld während SH-Unterstützung

Veröffentlicht:
06.08.2024
Kanton:
Bern
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Sozialhilferecht

Sachverhalt

KL wurde im November 2023 pensioniert. Anfang November 2023 bezog sie die BVG als Kapital im Betrag von CHF 30'000.- auf das private Konto. KL hätte somit im Dezember 2023 von der wirtschaftlichen Sozialhilfe abgelöst werden können. Da jedoch eine Anmeldung für Ergänzungsleistungen gemacht wurde und der Entscheid ausstehend war, beschloss der Sozialdienst, diesen abzuwarten und anschliessend mit der Sozialhilfe zu verrechnen. KL ist noch verheiratet, weshalb die die EL ebenfalls Dokumente vom Ehepartner benötigte. Die finanzielle Situation des Ehemannes ist kompliziert, weshalb bis heute noch kein EL-Entscheid vorliegt. Dass dies ein langwieriger Prozess ist, konnte nicht vorhergesehen werden. KL ist nun im Scheidungsprozess.

 

Zwischenzeitlich hat KL das Geld der BVG, welches für die Altersvorsorge gewesen wäre, verbraucht und gleichzeitig ergänzend zur AHV-Rente Sozialhilfe bezogen. Einen Betrag von CHF 10'000 des BVG Geldes hat sie ihrem Kind ausgeliehen, welches im Studium ist. Für einene Teil hat sie sich ein Motorrad gekauft.

 

Vereinbarung

Wir haben folgende Vereinbarung mit der KL getroffen, welche sie im Juni 2024 unterschrieben hat.

Entscheid

KL hätte per 30.11.2023 aufgrund der AHV-Rente und dem bezogenen Kapital der BVG abgelöst werden müssen. Da KL jedoch aktuell bedürftig ist, wird sie weiterhin mit wirtschaftlicher Sozialhilfe unterstützt. Die bezogenen Sozialhilfeleistungen seit Dezember 2023 sind rückerstattungspflichtig. Aus diesem Grund wird ab Budget Juli 2024 einen Betrag von CHF 150.00 im Budget abgezogen.

 

Sollte KL nicht abgelöst werden können und durchgehend auf Sozialhilfe angewiesen sein, muss sie bis längstens Juli 2027 den Betrag von CHF 150.00 abzahlen.

 

Kann KL mit Ergänzungsleistungen, anderweitigen Einnahmen oder Vermögen abgelöst werden, ist die von Dezember 2023 bis dahin bezogene Sozialhilfe vollumfänglich zurückzubezahlen.

Im Juli 2024 hat KL ein Gesuch um Widererwägung und Aufhebung der Vereinbarung eingereicht.  

Fragen:

  • Ist unser Vorgehen rechtlich ok?
  • Ist es korrekt, eine Rückerstattung zu vereinbaren, oder benötigt es eine Kürzung aufgrund selbstverschuldeter Bedürftigkeit? In beiden Situationen ist wohl eine Verfügung angebracht, da KL ein Wiedererwägungsgesuch gestellt hat.
  • Soll KL angewiesen werden das Motorrad zu verkaufen?

Frage beantwortet am

Anja Loosli

Expert*in Sozialhilferecht

Guten Tag

Ich bedanke mich für Ihre Frage und beantworte diese wie folgt:

Das korrekte Vorgehen wäre vorliegend – wie Sie richtig schreiben - gewesen, die Klientin nach Auszahlung des BVG Guthabens in der Höhe von Fr. 30'000.-- im November 2023 abzulösen, da sämtliche Einnahmen, die während der Unterstützung zufliessen anzurechnen sind (Art. 9 Abs. 2 SHG BE i.V.m. SKOS-RL D.1 Erläuterungen lit. d und Handbuch BKSE lit. f) und die Klientin  durch den Zufluss der BVG Gelder somit nicht mehr bedürftig war. Dass die Klientin trotz Ausbezahlung des BVG Guthabens und damit trotz fehlender Bedürftigkeit weiter unterstützt wurde, macht die Situation tatsächlich nicht ganz einfach.

Wäre die Klientin korrekt abgelöst worden, hätte die Unterstützung dann wieder aufgenommen werden müssen, wenn die Klientin das BVG Guthaben bis zur Höhe des Vermögensfreibetrags aufgebraucht gehabt hätte und sie insgesamt bedürftig gewesen wäre (Art. 2 Abs. 2 SHG BE Handbuch BKSE lit. d zu SKOS-RL D.3.1 i.V.m. SKOS-RL C.2). Es hätte nicht vorgegeben werden können, wie lange die Klientin vom ausbezahlten BVG Guthaben leben muss, denn nach Ablösung besteht ausser der Rückerstattungspflicht grundsätzlich keine Pflicht gegenüber der Sozialhilfe. Allerdings hätten die Unterstützungsleistungen gestützt auf Art. 36 Abs. 1 SHG BE wegen selbstverschuldeter Bedürftigkeit allenfalls gekürzt werden können (die Vergabe eines Darlehens an ihr Kind könnte z.B. ein Selbstverschulden sein).

Eine Rückerstattung von bereits erbrachten Unterstützungsleistungen aufgrund der Auszahlung eines BVG Guthabens käme – ergänzend zur Ablösung - dann in Frage, wenn die Voraussetzungen der günstigen Verhältnisse gegeben sind (Handbuch BKSE lit. a zu SKOS-RL E.1, Art. 11b SHV BE). Ob dies vorliegend der Fall ist, ist fraglich.

Um vorliegend zu einer rechtlich korrekten Lösung zu kommen, scheint es mir deshalb sinnvoll, sich für das weitere Vorgehen an das fiktive rechtlich korrekte Vorgehen anzulehnen.

Meiner Meinung nach bedeutet dies, dass es für die Rückerstattung von zukünftig allenfalls noch zu erbringenden Leistungen (hier bis maximal Juli 2027) keine rechtliche Grundlage gibt. Für die Rückerstattung von in der Vergangenheit erbrachten Leistungen gibt es dann eine rechtliche Grundlage, wenn die Auszahlung des BVG Guthabens in der Höhe von Fr. 30'000.-- zu günstigen Verhältnissen geführt hat (Art. 40 Abs. 1 SHG BE i.V.m. Art. 11b SHV BE).

Da die Vereinbarung auf Rückerstattung sich vorliegend schwerpunktmässig auf zukünftige allenfalls noch zu erbringende Leistungen bezieht und es offen ist, ob überhaupt günstige Verhältnisse vorliegen, die zu einer Rückerstattung berechtigen, empfehle ich, in einem ersten Schritt die Vereinbarung zur Rückerstattung aufzuheben.

Da die Klientin trotz fehlender Bedürftigkeit nicht abgelöst wurde, könnte nun in einem zweiten Schritt geprüft werden, ob die Klientin einen Teil des ausgegebenen BVG Geldes wieder bekommen und es ihr angerechnet werden kann, da unterstützte Personen die Pflicht haben, die Bedürftigkeit soweit als möglich zu mildern (Art. 28 SHG BE, SKOS-RL A.4.1). Sie könnten von der Klientin z.B. verlangen, dass sie das Darlehen an ihr Kind in der Höhe von Fr. 10'000.-- auf den nächstmöglichen Zeitpunkt kündigt und das Geld zurückverlangt. Weigert sich die Klientin, dies zu tun, obwohl sie könnte, könnten Sie die Kürzung der Unterstützungsleistungen (Art. 36 SHG BE, SKOS-RL F.2) und allenfalls die Einstellung (SKOS-RL F.3) prüfen.

Ergänzend könnten Sie bereits im aktuellen Zeitpunkt die Kürzung der Unterstützungsleistungen wegen selbstverschuldeter Bedürftigkeit prüfen (Art. 36 Abs. 1 SHG BE). Allerdings stellt sich hier das Problem, dass die Sozialhilfe selbst die Klientin trotz fehlender Bedürftigkeit gar nie abgelöst hat. Es erscheint mir deshalb nicht unheikel, der Klientin nun vorzuwerfen, sie habe die Bedürftigkeit selbst verschuldet.

Das Motorrad der Klientin stellt Vermögen dar. Dieses ist gemäss Sozialhilfehandbuch BKSE (lit. c zu SKOS-RL D.3.1) zu veräussern, wenn es den Vermögensfreibetrag übersteigt. Da der Wert des Motorrades von Fr. 4'000.-- innerhalb des Vermögensfreibetrags von Fr. 4'000.-- für eine Einzelperson liegt (Art. 8v SHV BE i.V.m. SKOS-RL D.3.1), kann von ihr die Veräusserung grundsätzlich nicht verlangt werden.

Ich hoffe, Ihnen mit meiner Antwort helfen zu können.

Freundliche Grüsse