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Umgang mit Amtsgeheimnis bei gemeldeter Straftat gegen Klientin

Veröffentlicht:
04.02.2021
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Kindes- und Erwachsenenschutz

Guten Tag

Eine Klientin, welche ich im Rahmen einer Vertretungsbeistandschaft nach Art. 394 i.V.m. Art. 395 ZGB betreue, ist derzeit in einer psychiatrischen Klinik hospitalisiert. Sie informierte sowohl mich wie auch das Klinikpersonal über einen sexualisierten WhatsApp-Kontakt mit einem Polizisten, welcher Kontakt zu ihr aufsuchte, nachdem sie die Polizei kontaktiert hatte. Sie liess sich einige Tage darauf ein, schliesslich äusserte sie, dass sie dies nicht mehr wolle und blockierte den Kontakt. Im Einverständnis der Klientin erhielt ich den WhatsApp-Verlauf seitens des fallführenden Psychologen weitergeleitet. Die Klientin wünscht keine Anzeige, meint dies sei somit für sie erledigt. Die Klinik wird begründet mit der ärztlichen Schweigepflicht keine weiteren Schritte einleiten. Der Inhalt zeigt jedoch einen verstörenden Amtsmissbauch gegenüber einer Person mit ausgewiesenem Schwächezustand und dies innerhalb der Dienstzeit auf. Aufgrund der Labilität meiner Klientin ist nicht auszuschliessen, dass der Kontakt wieder auflebt. Zu ihrem sowie zum Schutz von potentiellen weiteren Opfern müsste dies m.E. dringend angezeigt werden. Gilt Amtsmissbrauch als Antrags- oder Offizialdelikt und kann/muss ich entgegen dem Willen der Klientin trotz Amtsgeheimnis eine Meldung machen und wenn ja wo? Wäre die Staatsanwaltschaft direkt der Adressat?

Besten Dank für Ihre Rückmeldung und freundliche Grüsse

Frage beantwortet am

Karin Anderer

Expert*in Kindes- und Erwachsenenschutz

Sehr geehrte Frau Sieber

Beim Amtsmissbrauch nach Art. 312 StGB handelt es sich um ein Offizialdelikt. Strafanzeigen können bei einem Polizeiposten oder bei der Staatsanwaltschaft mündlich oder schriftlich erstattet werden. Einen guten Überblick, wie die Straftaten verfolgt werden, finden Sie auf https://www.ch.ch/de/anzeige-erstatten/

Sie haben nach Art. 413 Abs. 2 ZGB die Verschwiegenheitspflicht zu wahren und dürfen nur dann eine Strafanzeige einreichen, wenn das die Interessenlage der Klientin erfordert. Auch Art. 406 ZGB stellt die Interesse der betroffenen Person bei der Aufgabenerfüllung ins Zentrum. Sie müssen also keine Strafanzeige einreichen.

Die Klientin hat den fraglichen WhatsApp-Kontakt abgebrochen und sich gegen eine Strafanzeige ausgesprochen. Offenbar hat sie die Angelegenheit auch in einer psychologischen Beratung thematisiert. Ich gehe davon aus, dass sie hinsichtlich der Frage der Strafanzeige urteilsfähig ist.

Da Sie die Interessen der Klientin zu wahren haben, stellen sich folgende Fragen:

  • Wie ist die Gefährdungslage einzuschätzen? Die Klientin hat den Kontakt blockiert, ist sie damit genügend geschützt? Wie wahrscheinlich ist es, dass der Kontakt wieder auflebt? Wie kann die Klientin unterstützt werden, dass der Kontakt nicht wieder auflebt?
  • Wie gestaltet sich die zukünftige Zusammenarbeit mit der Klientin, wenn Sie gegen ihren Willen eine Strafanzeige erstatten? Die Klientin wird in ein Strafverfahren involviert, das sie nicht will. Wie wirkt sich das auf das Vertrauensverhältnis aus?
  • Was sind die Risiken eines Strafverfahrens?

Ich empfehle Ihnen, diese Interessenabwägung in einer Team-Fallbesprechung vorzunehmen.

Folgende Alternativen zur Strafanzeige gibt es:

  1. Sie oder die Klientin können bei der Aufsichtsbehörde der Polizei eine Aufsichtbeschwerde einreichen. Ja nach Verlauf könnte das aber ein Strafverfahren nach sich ziehen.
  2. Ein Gang an die kantonale Ombudsstelle wäre auch möglich.
  3. Prüfen können Sie eine Triage an eine Opferhilfestelle. Dort kann die Frau beraten werden, wie sie mit dem Erlebten umgehen und wie sie sich zukünftig schützen kann. Auch die Strafanzeige, das Strafverfahren und die Prozessrisiken können thematisiert werden.

Ich hoffe, die Angaben sind Ihnen nützlich und ich grüsse Sie freundlich.

Luzern, 9.2.2021

Karin Anderer