Guten Tag
Herr X bezieht zusammen mit seiner 16-jährigen Tochter (2P-HH) Sozialhilfe von der Gemeinde E (seit 10.2020). Von der Kindsmutter ist Herr X seit 2018 geschieden. Die Tochter ist in der Lehre.
Die elterliche Sorge über die gemeinsame Tochter wird dem Vater und der Mutter überlassen. Die Tochter hat eine alternierende Obhut, den Wohnsitz hat sie jedoch bei Herrn X in der Gemeinde E. Die Kindsmutter betreut die Tochter jeweils von SA (18.00 Uhr) bis Dienstagmorgen, die restlichen Tage lebt die Tochter bei Herrn X.
Die Unterhaltskosten für die Tochter sind gemäss Urteil wie folgt geregelt: Während den eigenen Betreuungszeiten übernimmt jede Partei die alltäglichen Kosten für Wohnen, Verpflegung, Mobilität, Freizeit und Ferien; die übrigen Kosten für Bekleidung, Taschengeld, Körperpflege, Krankenversicherung, Gesundheitskosten, Schule, Musik, Sport, Hobbys und dergleichen bezahlt die Kindsmutter.
Aufgrund diesem Urteil wird der Grundbedarf der Tochter um 13 Tage reduziert (762.50 / 30.5 Tage x 13 Tage = CHF 325.00). Zudem werden keine Krankheitskosten übernommen und auch keine Fahrtkosten zum Lehrbetrieb sowie keine Mehrkosten für auswärtige Verpflegung. Der Lehrlingslohn wiederum wird vollumfänglich an der Sozialhilfe angerechnet und es wird auch eine IZU vergütet. Die Ausbildungszulagen, welche über die Kindsmutter bezogen werden, werden auch als Einnahme angerechnet (ist jedoch unklar, ob diese effektiv an die Tochter weitergegeben werden gemäss Aussage von Herr X).
Für das Schuljahr 2021/2022 wurden Stipendien angemeldet. Die Stipendienstelle verneint jedoch einen Anspruch, da aufgrund der zumutbaren Elternleistung kein Fehlbetrag besteht. Die Tochter kommt mit den Einnahmen (Lehrlingslohn und Ausbildungszulagen) knapp nicht aus der Sozialhilfe.
Meine Fragen:
Ist es zulässig, dass wir den Grundbedarf für 13 Tage pro Monat reduzieren?
Dürfen wir die Ausbildungszulagen monatlich als Einnahmen anrechnen? Dürften wir nur die Hälfte der Ausbildungszulagen einrechnen, da eine alternierende Obhut besteht?
Müsste man eine Abänderungsklage beim Bezirksgericht beantragen? Die Kindsmutter hat offensichtlich genügend Einnahmen, dass die Stipendienstelle eine zumutbare Eigenleistung einrechnet. Allenfalls müsste die Mutter Unterhalt bezahlen, damit die Tochter nicht (mehr) in der Sozialhilfe ist?
Ich bedanke mich im Voraus für Ihre Rückmeldung.
Freundlicher Gruss, I.R., Gemeinde E.
Frage beantwortet am
Ruth Schnyder
Expert*in Sozialhilferecht
Sehr geehrte Frau R.
Gerne beantworte ich Ihre Anfrage.
1. Reduktion Grundbedarf um 13 Tage / Monat
Diese Thematik wird weder im SHG/LU, der SHV/LU noch in den SKOS-RL, welche gemäss Verweisnorm von § 31 Abs. SHG/LU wegleitend sind, geregelt. Die SKOS-RL C.3.2 Erl. f) nehmen dieses Thema nur aus der Optik des Besuchsrechtsausübenden auf und geben Empfehlungen ab, wie die Besuchskosten zu bemessen sind, wenn das Kind mehr als 5 Tage pro Monate zu Besuch kommt. Nichts erwähnt wird hingegen, ob und inwieweit dem anderen Haushalt während der Abwesenheit des Kindes, wenn es beim andern Elternteil zu Besuch ist, der Grundbedarf (Anteil des abwesenden Kindes) gekürzt wird.
In der Praxis wird, soweit ich dies überblicke, bei der klassischen Besuchsrechtsausübung (z.B. jedes zweite Wochenende) der Grundbedarf des anderen Haushalts nicht gekürzt (in Bezug auf den Anteil des abwesenden Kindes). Ich nehme an, dass die Gemeinde E. dies auch so handhabt. Diese Praxis lässt sich damit begründen, dass beim Obhut ausübenden Elternteil gleichwohl Fixkosten anfallen, er während der Abwesenheit des Kindes als Einzelperson gilt somit die Einsparungen zu vernachlässigen sind. Darum liegt es auch nicht gerade auf der Hand, dass bei alternierender Obhut der Grundbedarf des anderen Haushalts gekürzt wird, oder wie sie schreiben, der Teil des Grundbedarfs, der auf das Kind entfällt. Aufgrund dessen, dass das Kind in Ihrem Fall fast den halben Monat nicht beim Vater lebt, ist es im Sinne des Bedarfsdeckungsprinzips (SKOS-RL A.3) aber nicht falsch, wenn der Grundbedarf den tatsächlichen Verhältnissen angepasst wird und von einem reduzierten Bedarf im Haushalt des Vaters ausgegangen wird.
Da einerseits auch in diesen Fällen diverse Fixkosten anfallen und zum Anderen der alleine bleibende Elternteil die Kosten nicht auf zwei Köpfe verteilen kann (z.B. Essen) und dadurch Kosten wie eine Einzelperson tragen muss, scheint mir die von Ihnen vorgenommene Kürzung doch etwas zu streng, wobei auch einzuräumen ist, dass die Mutter Kosten übernimmt, welche im Grundbedarf abgedeckt sind (z.B. Kleidung, Sackgeld), die Gemeinde dafür gewisse Kosten nicht übernimmt, die wohl Sache des Vaters wären (Kosten im Zusammenhang mit der Lehre, d.h. Fahrtkosten und externe Verpflegung).
In den Praxishilfen der SKOS-RL zu C.3.2 wird auf einen ZESO-Artikel aus dem Jahr 2014 verwiesen (Hinweis dazu: Der Auffassung, dass das Kind zwei Unterstützungswohnsitze nach ZUG hat, kann rechtlich nicht gefolgt werden), der für die von Ihnen gestellte Frage eine Handhabung vorschlägt. Bei diesem Praxisbeispiel wird auch der GB des während des Besuchs abwesenden Kindes gekürzt, aber dem Elternteil im gleichen Haushalt wird während dieser Zeit (also anteilsmässig) der GB für eine Einzelperson zugestanden. D.h. in Ihrem Fall würde dies nach meiner Rechnung rund Fr. 100 zusätzlich für den Vater ausmachen (Fr. 997 – Fr. 763 ./. 30.5 x 13) während der Zeit, wo das Kind bei der Mutter ist. In der Literatur vertritt Guido Wizent (Sozialhilferecht, alphaius, Dike 2000, Rz. 493 ff.) die Auffassung, dass eine Kürzung des Grundbedarfs des Kindes mit Korrektur des Grundbedarfs des Elternteils nicht zwingend sei und solche Fälle gleich wie übliche Besuchsrechtsfälle, d.h. ohne Kürzung, gehandhabt werden könnten. Es besteht hier also ein Ermessensspielraum der Behörde, wobei die Behörde pflichtgemäss alle Aspekte einbeziehen und einen angemessenen (verhältnismässigen) Entscheid treffen muss. Ein Gerichtsentscheid ist mir zu dieser Frage nicht bekannt.
2. Anrechnung Ausbildungszulagen als Einnahmen
Wie die Einnahmen des Kindes bei alternierender Obhut angerechnet werden, ist ebenfalls eine ungeklärte Praxisfragen, zu welcher ich keine Hinweise weder in der Literatur noch in der Gerichtspraxis gefunden habe. Da die Sozialhilfe den Grundbedarf für das Kind kürzt, wäre aus meiner Sicht auch eine Aufteilung der Einnahmen des Kindes folgerichtig, wobei die Sozialhilfe für die Erhöhung der Bedarfsseite um die IZU etwas mehr Einnahmen beanspruchen dürfte. Aber eigentlich sollte zu dieser Frage das Scheidungsurteil Auskunft geben, ob die Einnahmen des Kindes aufgeteilt werden oder, ob der Vater diese voll beanspruchen darf. Allenfalls wäre in dieser Frage eine Rückfrage bei der zuständigen Gerichtspräsidentin bzw. beim zuständigen Gerichtspräsidenten angezeigt. Ein Hinwies zu den Ausbildungszulagen: Das Kind könnte bei der zuständigen Ausgleichskasse eine Direktzahlung beantragen (Art. 9 FamZG).
3. Einreichung Abänderungsklage
Für diese Frage müsste man das Scheidungsurteil und die Berechnung des Stipendienamtes anschauen. Sehen Sie Anhaltspunkte dafür, dass sich etwas erheblich und dauerhaft (Art. 286 Abs. 2 ZGB) geändert hat, wäre aus meiner Sicht eine Revision beim zuständigen Gericht einzuleiten. Letztlich könnte sich der Vater beim Gericht direkt erkundigen. In der Regel werden Rechtsberatungen an den Gerichten angeboten.
Ich hoffe, ich konnte Ihnen damit Ihre Fragen beantworten.
Freundliche Grüsse
Ruth Schnyder