Guten Tag
Ein junger Erwachsener will nach Matura und einem Zwischenjahr (studienrelevatens Praktikum und Freizeit) das Studium beginnen. Dazu würde er vom jetzigen Wohnort im Kanton Solothurn nach Zürich umziehen bzw dort einen Wochenaufenthalterplatz in einer WG nehmen.
Er wäre dafür auf Unterstützung durch beide geschiedenen Elternteile und Stipendien angewiesen.
Wenn sich ein Elternteil weigert zu kooperieren (Verletzung aus damaligem Obhutsentzug), könnte ja noch nicht einmal ein richtiger Stipendienantrag gestellt werden.
Könnte der junge Erwachsene jetzt subsidiär Sozialhilfe beziehen und die Sozialregion würde mit Eltern und Stipendienamt verhandeln?
Oder müsste der junge Erwachsene persönlich den zahlungsunwilligen Elternteil verklagen und damit die Reste an noch bestehender Beziehung auf's Spiel setzen?
Vielen Dank für Ihre Einschätzung im Voraus
M.Blindow
Frage beantwortet am
Ruth Schnyder
Expert*in Sozialhilferecht
Guten Morgen Herr Blindow
Gerne beantworte ich Ihre Anfrage. Zunächst ist festzuhalten, dass der Kanton Solothurn für die Unterstützung des jungen Erwachsenen zuständig ist, solange sich der junge Erwachsene tatsächlich nur als Wochenaufenthalter im Kanton Zürich aufhält. Es fehlt ihm somit die Absicht, dauernd in Zürich zu verbleiben (Art. 4 ZUG), die jedoch Voraussetzung für die Begründung einer neuen Kantonszuständigkeit nach Art. 12 oder 20 ZUG wäre.
§ 9 Sozialgesetz des Kt. Solothurns (SG) bestimmt, dass die Sozialhilfe subsidiär zu Eigenleistungen und andere Geldleistungen ist. Nach § 10 Abs. 10 Abs. 2 lit. b SG haben Menschen in sozialen Notlagen einen Rechtsanspruch auf Sozialhilfeleistungen, wenn unterhalts- und unterstützungspflichtige Familienangehörige nicht rechtzeitig Unterstützung leisten (lit. b) oder Bedarfsleistungen den Lebensbedarf nicht ausreichend oder nicht rechtzeitig decken (lit. c). Zu den Bedarfsleistungen sind die Stipendien zu zählen. Eine Ausnahme wird von diesem Rechtsanspruch nicht geregelt. D.h. der junge Erwachsene hat nach Gesetz Anspruch auf Leistungen der Sozialhilfe.
Nach § 154 SG prüft jedoch die Einwohnergemeinde das Vorliegen von Ansprüchen aus der Unterhaltspflicht der Eltern. Die Bestimmung hält auch klar fest, dass die Einwohnergemeinde diese durchsetzt, und zwar indem sie mit pflichtigen Personen eine Vereinbarung über Art und Umfang der Leistung trifft oder die erforderlichen zivilprozessualen Massnahmen ergreift, also letztendlich Klage am Zivilgericht erhebt.
Diese Pflicht rührt daher, dass die Einwohnergemeinde durch die Bevorschussung in den Unterhaltsanspruch des jungen Erwachsenen subrogiert, d.h. sie wird im Umfang der bevorschussten Unterhaltsbeiträge neu Gläubigerin gegenüber den pflichtigen Eltern (vgl. Art. 289 Abs. 2 ZGB).
Insoweit hat es die Einwohnergemeinde auch in der Hand, die Grundlagen für das für die Stipendien zuständige Amt zu schaffen, damit die Stipendien gestützt darauf bemessen werden können. Die Sozialhilfe kann das Gericht zudem ersuchen, die Eltern anzuweisen, ihre Unterlagen offen zu legen, auch zur Weiterleitung an das betreffende Amt. Zu beachten wäre dabei, dass rückwirkend keine Stipendien bzw. Ausbildungsbeiträge ausgerichtet werden (§ 6 Stipendiengesetz Kt. SO). Es sind Fristen gemäss § 29 der Stipendienverordnung zu beachten, wobei ernsthafte Entschuldigungsgründe bei Verspätung eine Kürzung verhindern können (Abs. 3). D.h. die Rechtzeitigkeit des Stipendiengesuchs ist im Auge zu behalten. In § 25 Stipendienverordnung wird dazu generell festgehalten:
- Ausbildungsbeiträge werden nur Bewerbern gewährt, die innerhalb der Fristen nach § 29 ein vollständig und wahrheitsgetreu ausgefülltes Gesuchsformular zusammen mit den erforderlichen Unterlagen einreichen (Abs. 1).
- Die Beschaffung der Unterlagen ist grundsätzlich Sache des Bewerbers (Abs. 2).
D.h. es ist Pflicht des jungen Erwachsenen, die Unterlagen für die Stipendien zu beschaffen. Die Einwohnergemeinde hat anders als bei den Unterhaltsbeiträgen keine Ermächtigung oder Pflicht, mit dem Stipendienamt zu verhandeln. Wie bereits erwähnt, sollte sie aber die diesbezüglichen Möglichkeiten des Unterhaltsverfahrens vor Zivilgericht ausnützen.
Zu erwähnen ist, dass die Einwohnergemeinde nur in dem Umfang einklagen kann, als sie den jungen Erwachsenen unterstützt. Höhere Ansprüche müsste der junge Erwachsene in eigenem Namen geltend machen.
Nach dem Gesagten ist die Sozialhilfe nach solothurnischem Recht verpflichtet, die Unterstützung aufzunehmen. Da nicht generell Aufgabe der Sozialhilfe ist, Ausbildungen zu finanzieren, wird es sich im Sinne einer Auffangfunktion um eine überbrückende Unterstützung handeln, bis die vorrangigen Mittel erschlossen sind. Dazu wird im Sinne von §§ 9 f. SG auch die Prüfung gehören, ob der junge Erwachsene während des Studiums einer Nebenerwerbstätigkeit nachgehen kann. In einem Fall ging das Bundesgericht von einer Nebenerwerbstätigkeit von 20% während des Studiums aus (Urteil des Bundesgerichts 5C.150/2005 vom 11. Oktober 2005).
Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob die Sozialhilfe die für den Wochenaufenthalt erforderliche Unterkunft zu finanzieren hat. Nach den gemäss § 152 SG für den Kanton Solothurn massgebenden SKOS-Richtlinien hat bei jungen Erwachsenen ohne abgeschlossene Erstausbildung das Wohnen bei den Eltern grundsätzlich Vorrang. Dazu verweise ich auf das Kapitel B.4 und H.6 der SKOS-Richtlinien (www.skos.ch). Beachten Sie auch die abweichenden Regelungen des Kantons Solothurns zu den SKOS-RL in § 93 Abs. 1bis Sozialverordnung (SV).
Ich hoffe, Ihnen mit diesen Ausführungen Ihre Frage beantwortet zu haben.
Freundliche Grüsse
Ruth Schnyder