Sehr geehrter Herr Mösch,
Meine Klientin hat sich für ein 4-jähriges Studium in USA entschieden und dafür ihre C-Bewilligung (als deutsche Staatsangehörige) beim Amt für Migration pausiert. Den Wohnsitz hat sie nicht abgemeldet und ist weiterhin bei den Eltern in der Schweiz wohnhaft.
Sie hat zusätzlich zu ihrer Krankenversicherung (Anschluss für Krankheit und Unfall) in der Schweiz auch eine US-Krankenversicherung (EDNA) abgeschlossen, um die allfällige Behandlungskosten (die in USA höher ausfallen) finanziell verkraften zu können. Es ist vorausschauend gewesen, da die Klientin eine körperliche Behinderung hat und sich einer Leistungssportart widmet.
In den USA hatte sie einen Knieunfall, den eine operative Versorgung bedarf. Da sie in USA nach der Erstbehandlung für die Operation sehr lange warten musste, hat sie sich für eine Operation in der Schweiz entschieden. Nun möchte der Wohnsitzkanton für den kantonalen Anteil von 55% bei ihrem stationären Aufenthalt nicht aufkommen (Art. 49a Abs. 2 KVG).
Meine Frage richtet sich deshalb auf eine mögliche Finanzierung und Kostenübernahme in diesem Fall. Wer wäre für diese Kosten zuständig: doch der Wohnsitzkanton in der Schweiz oder US-Krankenversicherung?
Besten Dank für Ihre Rückmeldung.
Mit freundlichen Grüssen
Dagmar Schmidt
Frage beantwortet am
Peter Mösch Payot
Expert*in Sozialversicherungsrecht
Liebe Frau Schmidt
a) Art. 49a Abs. 2 KVG bestimmt, in welche Fällen und für welche Personen die Kantonen den kantonalen Anteil für die stationären Leistungen, die nach KVG zu vergüten sind, übernehmen. Dieser kantonale Anteil beträgt mindestens 55% der Spitalkosten (Art. 49a Abs. 1 KVG).
b) Der Anteil betrifft erstens Versicherte, die im Kanton wohnen (Art. 49a Abs. 2 lit. a KVG) und zweitens bei Versicherten, die in einem Mitgliedschaft der EU, bzw. in Island oder Norwegen wohnen, GrengängerInnen und deren Familienangehörige, Familienangehörige von Niedergelassenen, von AufenthalterInnen und von KurzaufenthalterInnen sowie BezügerInnen von Leistungen der ALV und deren Famlienangehörigen. Im vorliegenden Fall geht es um die erste Variante.
c) Formaljuristisch handelt es sich beim Kantonsteil um eine sozialpolitisch begründete Zahlung des Preises für eine erbrachte Spitalleistung (BGE 138 II 398 E.6.3).
In Ihrem Fall ist entscheidend, ob die Person noch in der Schweiz gewohnt hat während der Behandlung oder nicht. Sie hatte gemäss Sachverhaltsbeschreibeung ihre C-Bewilligung pausiert (hatte also keine NIederlassungsbewilligung), andererseits war sie aber noch polizeilich angemeldet in der Schweiz.
d) Der Begriff des Wohnsitztes im Sinne von Art. 3 KVG und Art. 13 ATSG richtet sich nach den Art. 23ff. ZGB bzw. nach Art. 20 Abs. 1 lit. a IPRG. Es geht im Kern um die Frage, wo sich jemand mit der Absicht des dauernden Verbleibens aufhält und insb. wo die Personen ihren Lebensmittelpunkt hat. In casu geht es also darum, ob die Person diesen Lebensmittelpunkt noch in der Schweiz hat, trotz Studium im Ausland. Oder ob ein Wegzug, also eine Aufgabe dieses Lebensmittelpunktes erfolgte. Dabei ist zu beachten, dass ausländerrechtliche Bewilligungen insoweit nur Indizien sind.
Dabei ist natürlich vieles auch von der Beweiswürdigung abhängig, weshalb dies umstritten sein kann.
Gemäss Art. 7 Abs. 3 KVV gilt bei Personen, deren Niederlassungsbewilligung abgelaufen ist, dass die Versicherung erst endet am Tag, an dem der Wegzug aus der Schweiz der Einwohnerkontrolle gemeldet wurde. Das ist im vorliegenden Fall gar nicht geschehen, wenn ich den Sachverhalt richtig interpretiere.
Grundsätzlich gilt im Weiteren, dass ein Aufenthalt zu Sonderzwecken (z.B. in einem Heim oder so) keinen neuen Wohnsitz begründet. Begibt sich aber jeman freiwillig, selbstbestimmt und in der für Dritte erkennbaren Absicht einen neuen Lebensmittelpunkt zu wählen, so begründet sie dort einen neuen Wohnsitz (BGE 137 III 593 E.3.5).
Die Rechtsprechung hat auch schon festgestellt, dass eine Person, die ein mehrjähriges Studium im Ausland absolviert, keinen Wohnsitz mehr in der Schweiz hat (vgl. SVR 1997 KZ Nr. 20; oder SVR 2013 FZ Nr. 2).
Andererseits ergibt sich schon aus Art. 2 Abs. 4 KVV e contrario, dass ein Aufenthalt zum Zweck der Ausbildung nicht unbedingt einen Wohnsitz begründet.
Es dürfte sich im vorliegenden Fall um einen Grenzfall handeln. Entscheidend sind sicher die Indizien wie die Meldung beim Einwohneramt, die ja hier verblieb; die Zeitdauer seit dem Aufenthalt in den USA bis zur Rückkehr; Wo und wie die Effekten der Person sind, Ob ein Zimmer in der Schweiz behalten wurde; ev. auch welche Angaben beim Migrationsamt gemacht wurden bzgl. Pausieren der Niederlassungsbewilligung etc.
Es könnte sich lohnen, die Indizien, die für ein Behalten des Lebensmittelpunktes in der Schweiz sprechen, zu sammeln, und auf die Kostenübernahme durch den Kanton, bzw. subsidiär die entsprechende Kostenübernahme durch die Krankenversicherung in der Schweiz zu pochen.
Ich hoffe, das dient Ihnen.
Prof. Peter Mösch Payot