Ich habe eine Frage zu folgender Situation im Kanton Wallis:
Die 16jährige Tochter einer Klientin, die Sozialhilfe bezog, begann im Sommer 2021 ihre Lehre. Im August 2021 füllten wir gemeinsam mit der Klientin das Stipendiengesuch aus und sie hatte den Auftrag, dieses mit der Abtretungserklärung an die entsprechende Dienststelle zu schicken. Da weder Stipendiengelder flossen noch ein Entscheid eintraf, wurde auf Nachfrage des Sozialdienstes bei der Dienststelle erklärt, dass kein Stipendiengesuch gestellt worden sei. Mittlerweile ist die Klientin aufgrund Einkommen von der Sozialhilfe abgelöst und ein Kontakt zu ihr kann nicht hergestellt werden. Sie reagierte auch nicht auf schriftliche Aufforderung, ein Stipendiengesuch nachzureichen. Die Sozialhilfe hat für die Tochter Schulmaterial und Schulspesen bezahlt.
Besteht rechtlich eine Handhabe, dieses Geld zurückzufordern bzw. hat die Klientin die Pflicht, dieses Geld zurückzuzahlen?
Frage beantwortet am
Anja Loosli
Expert*in Sozialhilferecht
Guten Tag
Vielen Dank für Ihre Frage. Ich beantworte diese gerne wie folgt:
Gemäss Art. 52 des Gesetzes über die Eingliederung und die Sozialhilfe (GES, SGS 850.1) besteht unter anderem aus folgenden Gründen eine Rückerstattungspflicht: Wenn Leistungen unberechtigterweise bezogen wurden (Art. 54 GES), wenn die Leistungen als Vorschuss für künftige Leistungen gezahlt wurden und in anderen Fällen, wenn es billigkeitshalber gerechtfertigt ist. Bei bevorschussten Leistungen steht der Sozialhilfe grundsätzlich für die Nachzahlungen ein Rückerstattungsrecht zu (Guido Wizent, Sozialhilferecht, Zürich/St. Gallen 2020, N 789). Gemäss Lehre werden Leistungen ungerechtfertigt bezogen, wenn eine unterstützte Person objektiv zu viel Leistungen erhält (Guido Wizent, Sozialhilferecht, Zürich/St. Gallen 2020, N 809) Im Kanton Wallis wird in Art. 63 der Verordnung über die Eingliederung und die Sozialhilfe (VES, SGS 850.100) definiert, was als unberechtigterweise überwiesene Leistung nach GES gilt: Die Hilfe wird aufgrund des Verhaltens des Begünstigten zu Unrecht bezahlt, insbesondere wenn dieser nicht gutgläubig war, die Leistung werden infolge von falschen oder unvollständigen Angaben des Begünstigten gezahlt oder wenn dieser Sachverhalte verschwiegen hat und wenn der Begünstigte die Sozialhilfe auf irgendeine sonstige Weise irregeführt oder in einem Irrtum bestärkt hat.
Vorliegend hat die Sozialhilfe die Unterstützungsleistungen im Umfang möglicher Stipendien (abzüglich der mit den Stipendien zu bezahlenden Auslagen für die Schule) bevorschusst in der Meinung, dass die Klientin die Stipendien beantragt und diese auf das Konto der Sozialhilfe fliessen. Tatsächlich wurden die Leistungen nicht beantragt, weshalb keine Nachzahlungen geflossen sind und diese Rückerstattungsvoraussetzung deshalb mangels geflossener Nachzahlung grundsätzlich nicht gegeben ist.
Es stellt sich die Frage, ob die Leistungen allenfalls wegen unberechtigterweise überwiesenen Leistungen zurückverlangt werden können. Grundsätzlich hatte die Klientin und ihre Tochter Anspruch auf die Leistungen der Sozialhilfe auch im Umfang der Stipendien, weil diese während der Unterstützung mangels Geltendmachung nicht geflossen sind. Es stellt sich die Frage, ob man sagen kann, die Leistungen im Umfang der Stipendien (abzüglich Schulauslagen) seien nur deshalb bezahlt worden, weil die Klientin die Sozialhilfe irregeführt hat oder in ihrem Irrtum, die Anmeldung sei erfolgt, bestärkt hat. Diesen Tatbestand erachte ich dann nicht als erfüllt, wenn die Sozialhilfe bei der Klientin nicht nachgefragt hat und/oder die Klientin im Zeitpunkt der Nachfrage nicht gesagt hat, sie habe sich angemeldet, obwohl dies nicht stimmte und die Sozialhilfe damit veranlasst, weiter Leistungen auszurichten, obwohl sie diese bei Kenntnis des Sachverhalts (teilweise) eingestellt hätte (Art. 40 und 41 GES). Soweit ich den Sachverhalt verstehe, hat die Sozialhilfe bei der Klientin nicht nachgefragt sondern direkt bei der Dienststelle. Damit kann man meiner Meinung nach nicht sagen, dass die Klientin die Sozialhilfe aktiv in einem Irrtum bestärkt hat. Ich persönlich sehe die Voraussetzungen für eine Rückerstattung wegen unberechtigterweise überwiesenen Leistungen deshalb als eher nicht gegeben.
Es stellt sich für mich die Frage, ob die Rückerstattung nach Art. 52 GES aus anderen Gründen billigkeitshalber möglich ist. Ich habe leider keinen Gerichtsentscheid zu dieser Rückerstattungsvoraussetzung gefunden. Man könnte allenfalls sagen, dass es billig sei, die Rückerstattung vorliegend zu verlangen, da die Sozialhilfe aufgrund der Pflichtverletzung der Klientin bevorschusste Leistungen bis jetzt nicht zurückerhalten hat. Dann gilt es allerdings zu bedenken, dass die Stipendien bis anhin tatsächlich nicht geflossen sind. Zudem hätte die Sozialhilfe bei Kenntnis der Nichtanmeldung und beim Vorhaben, der Klientin die Stipendien als hypothetisches Einkommen anzurechnen, die Klientin nach Art. 42 Abs. 2 GES zuerst informieren und die Anrechnung danach verfügen müssen. Damit die Klientin durch die Rückerstattung nicht schlechter gestellt ist als beim zeitnahen Vorgehen, dürften die Leistungen erst ab dem möglichen Verfügungszeitpunkt zurückverlangt werden. Allerdings ist es schwierig oder kaum möglich, diesen Zeitpunkt nachträglich zu bestimmen. Es scheint deshalb fraglich, ob die Voraussetzungen für eine Rückerstattung aus Billigkeitsgründen gegeben sind.
Fazit: Es ist zwar unbefriedigend, wenn die Klientin die Unterstützungsleistungen nicht im Umfang der Stipendien (abzüglich Schulkosten) zurückbezahlen muss, obwohl sie ihre Pflichten verletzt hat. Es scheint mir aber rechtlich fraglich zu sein, ob die Voraussetzungen für eine Rückerstattung gegeben sind.
Ich hoffe, Ihnen mit dieser Antwort weiterhelfen zu können.
Freundliche Grüsse
Anja Loosli Brendebach