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Spesen für Eltern eines schwerbehinderten Kindes im Spital

Veröffentlicht:
05.11.2019
Kanton:
Schwyz
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Sozialhilferecht

Guten Tag

Es geht um einen einjährigen Säugling, der schwerstbehindert geboren wurde und seit seiner Geburt im Kinderspital Zürch auf der Intensivpflegestation liegt. Der Junge wird  künstlich beatmet und braucht eine 24-Stunden-Pflege/-Überwachung. Im Moment wird auf das Ziel hin gearbeitet, dass das Kind nach Hause gegeben werden kann. Die ganze Pflege/Überwachung muss dort gewährleistet sein.

Das Elternpaar (es gibt auch noch ein weiteres Kind) bezieht inzwischen WSH. Der zuständige Sozialdienst hat sich an Pro Infirmis gewendet, u. a. mit der Bitte um finanzielle Unterstützung der Familie über „Finanzielle Leistungen an Menschen mit Behinderung“  (FLB).

Spesen der täglichen Fahrten ins Spital übernimmt die IV nur für jeden dritten Tag (gem. Merkblatt 4.05 Leistungen der Reisekosten in der IV). Die Gemeinde/WSH will die Kosten für die restlichen Tage  nicht übernehmen. Bestätigungen des Spitals liegen vor, dass die tägliche Anwesenheit der Eltern/eines Elternteils nötig ist.

Die Gemeinde begründet folgendermassen:

„1. Die WSH ist subsidiär zu allen anderen möglichen Leistungen. (Siehe auch SHG § 2, abs. 2).

2. Sie soll den notwendigsten Lebensunterhalt - analog unterstes Einkommensdezil  (Skos B.2.1) - sicherstellen und sich ansonsten für die soziale und berufliche Integration einsetzen. Sie soll WSH beziehende gegenüber anderer nicht besserstellen. Diese müssten wohl ebenso von Pro Infirmis unterstützt werden, weil sie sich so hohe Fahrspesen in einem solchen Fall kaum leisten könnten.

3. Die WSH ist nicht für diese Art von (indirekten-) behinderungsbedingten Auslagen vorgesehen - Wenn dann eher für solche, welche eine Arbeitsfähigkeit verbessern. (Skos C.1)

4. In einem solchen Fall wie er hier vorliegt müssten Leistungen der IV und zusätzlich die Bundesmittel via Pro Infirmis greifen. „

Meine Fragen:

-          Stimmt die Argumentation der Gemeinde?

-          Ist es richtig, dass die WSH diese restlichen Kosten nicht übernehmen muss?

-          Müsste die IV diese Leistungen übernehmen?

-          Falls ja, wie können diese beantragt werden resp. wie kann argumentiert werden?

-          Müsste die IV auch die Kosten eines Autos übernehmen? Das Spital verlangt das nämlich für den Fall, dass das Kind nach Hause entlassen wird.

Besten Dank.

Frage beantwortet am

Anja Loosli Brendebach

Expert*in Sozialhilferecht

 

Sehr geehrte Frau Huber

Vielen Dank für Ihre Frage, die ich gerne wie folgt beantworte:

Es ist richtig, dass in § 2 des Sozialhilfegesetzes des Kantons Schwyz festgehalten ist, dass Sozialhilfeleistungen subsidiär zu anderen Leistungen - Eigenhilfe oder HIlfe von Dritten - sind. Es gilt deshalb in einem ersten Schritt zu klären, ob die IV für alle Besuchsfahrten leistungspflichtig ist.

Bezüglich Fahrtkosten wird im Invalidengesetz (IVG) in Art. 51 Abs. 1 (und Art. 5 Abs. 4 Invalidenverordnung [IVV] festgehalten, dass Anspruch auf Vergütung der notwendigen Reisekosten im Inland für die Abklärungen des Leistungsanspruchs und die Durchführung von Eingliederungsmassnahmen besteht. Diese Bestimmung wird von der IV im Kreisschreiben über die Vergütung der Reisekosten in der Invalidenversicherung (KSVR), gültig ab 01.01.2008, präzisiert. Vergütet werden demnach nach Ziff. 2 N. 10 u.a. Fahrtkosten zu Besuchszwecken Angehöriger von minderjährigen Versicherten bei Spitalaufentalt. Kann oder soll die versicherte minderjährige Person die Krankenanstalt nicht verlassen, so besteht Anspruch auf die Vergütung von Reisekosten einer Besuchsperson an jedem dritten Tag. Die der Regelung der IV zugrunde liegende Gesetzesbestimmung ist relativ unbestimmt. Die IV scheint den Begriff "notwendig" dahingehend zu definieren, dass ausschliesslich ein Besuch jeden dritten Tag von einem Elternteil erforderlich ist, um die gesundheitliche Situation zu verbessern. Der Staat hat jedoch das Prinzip der Verhältnismässigkeit (eine Verwaltungsmassnahme muss geeignet und notwendig sein, umd das angestrebte Ziel zu erreichen) und der Einzelfallgerechtigkeit zu beachten. Wenn es im konkreten Fall angezeigt ist, von dieser Regelung abzuweichen, weil es für die Verbesserung oder gar den Erhalt der Gesundheit des Kindes notwendig ist, dass die Eltern das Kind mehr als jeden dritten Tag besuchen, so hat die IV meiner Ansicht nach die Kosten für mehr Besuche zu übernehmen, zumal die Definition von Notwendigkeit in einem internen Kreisschreiben für den Regelfall festgelegt wurde. Ich schlage Ihnen bzw. den Eltern deshalb vor, bei der IV ein Gesuch um Übernahme der Kosten für tägliche Fahrten zu stellen und als Begründung die vorhandenen ärztlichen Bescheinigungen einzureichen. Ich empfehle Ihnen auch, einen diesbezüglich allenfalls negativen Entscheid der IV anzufechten.

Zu klären gilt es nun noch, ob die Sozialhilfe - allenfalls auch vorschussweise - (oder sonst Dritte) die von der IV aktuell nicht übernommenen Fahrtkosten entgegen ihrer Auffassung zu übernehmen hat und ob die IV die Kosten eines Autos übernehmen muss, sobald das Kind zu Hause wohnt.

Diese Fragen würde ich gerne separat beantworten, damit meine Ausführungen nicht zu lang werden.

Freundliche Grüsse

Anja Loosli Brendebach

Frage beantwortet am

Anja Loosli Brendebach

Expert*in Sozialhilferecht

Sehr geehrte Frau Huber

Gerne komme ich nun zum zweiten von mir angekündigten Teil meiner Antwort.

Wie oben ausgeführt, gilt in der Sozialhilfe das Subsidiaritätsprinzip. Es ist deshalb zulässig, dass von den Hilfesuchenden verlangt wird, dass sie freiwillige Leistungen, auf die kein gesetzlicher Anspruch besteht, erhältlich machen bzw. versuchen erhältlich zu machen. Will die angefragte Person/Institution aber nicht leisten, kann und darf dies keine negativen Folgen für die bedürftige Person haben. Auf die finanziellen Leistungen für Menschen mit Behinderung nach Art. 17 und 18 des Ergänzungsleistungsgestzes (ELG) besteht kein klagbarer Anspruch (Kreisschreiben über die Leistungen an die gemeinnützigen Institutionen gemäss Art. 17 und 18 ELG). Es handelt sich somit um freiwillige Leistungen von Dritten.

Dies heisst vorliegend. Die Pro Infirmis darf zwar durchaus um Leistungen angefragt werden, will sie aber nicht leisten, kann der Anspruch nicht durchgesetzt werden und darf dies nicht zum Nachteil der Bedürftigen sein.

Es stellt sich deshalb die weitere Frage, ob die Sozialhilfe leistungspflichtig ist.

Nach Abs. 3 von § 16 SHG SZ ist Kindern eine ihren Bedürfnissen angepasste Pflege und Erziehung sowie ihren Fähigkeiten entsprechende Ausbildung zu finanzieren. Eines der Bedürfnisse von Kindern ist das Grundrecht auf Familie nach Art. 14 der Bundesverfassung, das nicht nur das Recht auf Zusammenleben sondern überhaupt das Recht auf Zusammensein der Kinder mit ihren Eltern beinhaltet. Einschränkungen müssen im öffentlichen Interesse oder durch den Schutz von Grundrechten Dritter gerechtfertigt und verhältnismässig sein.

Daraus erwächst, dass das kleine Kind in dem von Ihnen geschilderten Fall für eine angepasste Pflege und Entwicklung und aufgrund des Rechts auf Familie mit seinen Eltern mehr als jeden dritten Tag zusammen sein darf und muss, zumal dies ärztlich bestätigt und ausgewiesen ist. Dies bedeutet für mich, dass die Sozialhilfe die Besuchskosten als situationsbedingte Leistungen nach Lit. C der SKOS-Richtlinien, auf die die Sozialhilfeverordnung SZ verweist (Art. 4) zu übernehmen hat, wenn die IV die Leistungen nicht übernimmt (oder zumindest solange vorschussweise, wie die IV noch nicht leistet). Etwas anderes fände ich aufgrund der vorliegenden Arztzeugnisse als Überschreiten des Ermessens, nicht verhältnismässig, gesetzlich nicht gerechtfertigt und menschenunfreundlich.

Offen ist nun noch die Frage nach den Leistungen der IV betreffend Auto, die diese bei einem Austritt aus dem Spital zu übernehmen hat. Auch dieses Thema würde ich gerne separat beantworten.

Freundliche Grüsse

Anja Loosli Brendebach

Frage beantwortet am

Anja Loosli Brendebach

Expert*in Sozialhilferecht

Sehr geehrte Frau Huber

Nun noch der letzte ausstehende Teil meiner Antwort: Die Übernahme der Autokosten durch die IV

Ein Auto kann nach Art. 21 IVG ein Hilfsmittel sein. Nach Abs. 2 besteht z.B. dann ein Anspruch auf ein Auto, wenn der Versicherte infolge seiner Invalidität für die Fortbewegung, für die Herstellung des Kontakts mit der Umwelt oder für die Selbstsorge auf ein Auto angewiesen ist. Ob dies vorliegend der Fall ist, scheint mir relativ schwierig zu beurteilen, weil das Kind doch zumindest im Kleinkinderalter auch in einem Kinderwagen transportiert werden kann. Falls es darum geht, dass das Kind bei Bedarf möglichst schnell im Spital sein muss, könnte allenfalls ein Anspruch bestehen. Falls Sie dies genauer wissen möchten, empfehle ich Ihnen, beim Themenbreich Sozialversicherung diese Frage nochmals zu stellen, handelt es sich doch um eine sozialversicherungsrechtliche Frage.

Auf jeden Fall scheint mir das Kind nach der Rückkehr zu seinen Eltern einen Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung nach Art. 42ff. IVG zu haben. Allenfalls kann auch diese Entschädigung teilweise eingesetzt werden, um den Unterhalt eines Autos zu finanzieren. Ein entsprechender Antrag ist von den Eltern bei der IV zu stellen.

Ich hoffe, Ihnen mit meinen Antworten weiterhelfen zu können.

Freundliche Grüsse

Anja Loosli Brendebach