Zum Inhalt oder zum Footer

Sozialhilferechtlicher Wohnsitz und Sonderzweck

Veröffentlicht:
14.03.2020
Kanton:
Nidwalden
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Sozialhilferecht

Im Rahmen der WSH begleite ich eine Klientin, welche Wohnsitz in der Gemeinde S. im Kanton NW hatte (mündlicher Untermietvertrag). Sie wurde am 21.02.2020 mittels FU in eine Klinik eingewiesen. Während dem Klinikaufenthalt wurde der Untermietvertrag per sofort gekündigt und die Klientin hatte per sofort (02.03.2020) keinen Zugang mehr zur Wohnung. Aufgrund mehrfachen Regelverstosses wurde die Klientin frühzeitig (06.03.2020) aus der Klinik entlassen. Kurzfristig konnte ein Zimmer in einem Hotel in der Gemeinde H. (Kanton NW), für die befristete Zeit vom 06.03.-31.03.2020 organisiert werden. Die Klientin hatte keine Absicht, dort ihren Wohnsitz zu begründen, das Zimmer wurde vom Sozialdienst organisiert. Entsprechend gehe ich davon aus, dass es sich dabei um einen Sonderzweck handelt und die bisherige Gemeinde S. für die Ausrichtung der WSH zuständig bleibt, ohne dass der Übergangsmonat (ausserkant.) / die zwei Übergangsmonate (innerkant.) zum Zuge kommen.

Nun hat die Klientin in der gleichen Gemeinde H. (Kanton NW) einen unbefristeten Mietvertrag ab 01.04.2020 (jedoch nicht mehr im selben Hotel) unterzeichnet. Sie hat die Absicht, sich dort langfristig niederzulassen.

Mir stellt sich nun die Frage, ab wann der Sonderzweck beendet wird und die Gemeinde H. für die Ausrichtung der WSH zuständig wird, resp. bis wann die Gemeinde S. noch zuständig bleibt?

 

Besten Dank und freundliche Grüsse

Frage beantwortet am

Ruth Schnyder

Expert*in Sozialhilferecht

 

Sehr geehrte Frau Käslin

Gerne beantworte ich Ihre Frage, welche sich um die Situation der innerkantonalen Zuständigkeit im Kanton Nidwalden dreht. Die Zuständigkeit ist in Art. 7 SHG NW geregelt. Massgebend für die Begründung der örtlichen Zuständigkeit in der Sozialhilfe ist der Unterstützungswohnsitz nach Zuständigkeitsgesetz (ZUG), wobei Bestimmungen in der eidgenössischen und kantonalen Spezialgesetzgebung vorbehalten sind (Art. 7 Abs. 1 ZUG). In Art. 7 Abs. 3 SHG NW ist die von Ihnen erwähnte Regelung (Übergangsmonate) verankert, welche bei einem Gemeindewechsel zum Tragen kommt, sofern jemand in der bisherigen Gemeinde wirtschaftliche Hilfe bezogen hat (Art. 7 Abs. 4 SHG NW).

Ich gehe mit Ihnen einig, dass die unterstützte Person in Ihrem Fall bis und mit behördlicher Unterbringung im Hotel in der Gemeinde H. ihren Unterstützungswohnsitz bei der Gemeinde S. beliess, da weder die Klinikunterbringung noch die Unterbringung zur Vermeidung von Obdachlosigkeit bewirken können, dass der bisherige Unterstützungswohnsitz nach Art. 9 Abs. 1 ZUG wegfällt (Art. 9 Abs. 3 ZUG bzw. Sonderzweck der Vermeidung von Obdachlosigkeit).

Hingegen sehe ich es auch so, dass die unterstützte Person während der Wahrnehmung eines Sonderzwecks, ihre Absichten dahin gehend ändern kann, dass sie die Sondersituation zur Regelsituation werden lassen möchte. Dies kann z.B. bei Wochenaufenthaltern der Fall sein, wenn sie nicht mehr regelässig an den Wohnort zurückkehren, die Beziehungen dort nicht mehr regelmässig pflegen, ihre Möbel und Effekten an den Wochenaufenthaltsort verbringen etc. Entscheidend ist in Bezug auf die Neubegründung eines Unterstützungswohnsitzes und damit Wegfall eines bisherigen, dass die unterstützte Person die Absicht dauernden Verbleibens verlegt. Dies beurteilt sich gemäss Rechtsprechung nach ihrem Willen und nach den äusserlich erkennbaren Umständen (Urteil Bundesgericht 8C_223/2010 vom 5.7.2010 E. 3 f.). Im Kontext der Vermeidung der Obdachlosigkeit ist zudem zu beachten, dass der Wohngemeinde die Pflicht zukommt, der betroffenen Person eine Notunterkunft zu stellen, d.h. in einer entsprechenden Einrichtung oder Pension unterzubringen (Kap. B 3 SKOS-Richtlinien, Claudia Hänzi, in: Christoph Häfeli [Hrsg.], Das Schweizerische Sozialhilferecht, Luzern 2008, S. 122, mit Hinweis; zum Beispiel Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich VB.2011.00333 vom 18. August 2011, E. 4.3). Ist die Notunterkunft nur vorübergehend und zwingt sie die unterstützte Person, eine rasche Anschlusslösung selber zu finden, würde die Anschlusslösung wohl nicht als wohnsitzbegründend betrachtet werden können. Dies bedeutet, dass in diesen Fällen genau zu untersuchen ist, ob der Wille frei gebildet werden konnte und wie nachhaltig die Anschlusslösung ist. War die Klientin in Ihrem Fall nicht unter Druck und handelt es sich um eine taugliche, nachhaltige Anschlusslösung, dann bin ich der Meinung, dass sie ab Unterzeichnung des Mietvertrages ihren Unterstützungswohnsitz verlegt, den Sonderzweck der Vermeidung der Obdachlosigkeit beendet und damit den bisherigen Unterstützungswohnsitz aufgegeben hat. Zu erwähnen ist, dass die bisher zuständige Unterstützungsgemeinde den Beweis zu erbringen hat, dass die unterstützte Person tatsächlich und ohne Zwang den Lebensmittelpunkt verlegt hat, da sie durch den Wegzug ihre Unterstützungspflicht als beendet betrachten will (Werner Thomet, Kommentar zum Bundesgesetz über die Zuständigkeit für die Unterstützung Bedürftiger [ZUG]), Art. 9, Rz. 151).

Ich hoffe, Ihnen damit Ihre Frage beantwortet zu haben.

Freundliche Grüsse

Ruth Schnyder