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Sozialhilferechtlicher UWS

Veröffentlicht:
08.08.2017
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Sozialhilferecht

Sehr geehrte Damen und Herren
Ich gelange an Sie, betr. einer sozialhilferechtlichen Zuständigkeitsfrage.
Fallschilderung:
Minderjähriges Kind, verbeiständet. Bis anhin bei seiner Grossmutter in Herisau platziert. Unsere Zuständigkeit basierte auf Art. 7 Abs. 3 lit. d. ZUG, da das Kind zum Zeitpunkt der Platzierung bei der Grossmutter mit dem Vater als Tourist in der Schweiz war. Der Vater wurde aufgrund eines schwerwiegenden Deliktes in der Schweiz inhaftiert und ist aktuell immer noch in Haft. Die Mutter, welche Inhaberin der elterlichen Sorge ist, war zum Zeitpunkt der Platzierung des Kindes bei der Grossmutter, unbekannten Aufenthaltes (wahrscheinlich in Österreich). Aktuell hält sie sich zwar in der Schweiz auf, ist aber in einem Zeugenschutzprogramm und die Adresse ist uns nicht bekannt. Das Kind wird nun ins Kinderheim Bild, Altstätten, (IVSE anerkannt) umplatziert.
Welche Gemeinde ist nun sozialhilferechtlich zuständig für diesen Fall? Bleibt der nach Art. 7 Abs. 3 lit. d ZUG begründete UWS in Herisau bestehend (perpetuierter Wohnsitz)? Oder begründet das minderjährige Kind aufgrund der Platzierung in Altstätten einen neuen UWS nach Art. 7 Abs. 3 lit. d ZUG?
Vielen Dank für Ihre Rückmeldung und einen schönen Tag.
Freundliche Grüsse
Noelle Schneeberger
Beraterin Sozialhilfe Herisau
Antwort bitte an: Noelle.Schneeberger@herisau.ar.ch

Frage beantwortet am

Ruth Schnyder

Expert*in Sozialhilferecht

Sehr geehrte Frau Schneeberger
Gerne beantworte ich Ihre Anfrage, welche die Thematik der Perpetuierung des eigenständigen Wohnsitzes nach Art. 7 Abs. 3 lit. d ZUG anspricht. Im Zentrum stehen die Gemeinden Herisau und Altstätten bzw. die Kantone Appenzell Ausserrhoden und St. Gallen. Es geht dabei um die Frage, ob ein Wechsel des Aufenthaltsortes dazu führt, dass am neuen Aufenthaltsort der Unterstützungswohnsitz begründet wird, und damit neu der Kanton St. Gallen anstelle von Appenzell Ausserrhoden sozialhilferechtlich zuständig würde.
Dem von Ihnen geschilderten Sachverhalt ist zu entnehmen, dass das Kind am Aufenthaltsort bei der Grossmutter in Herisau seinen Unterstützungswohnsitz nach Art. 7 Abs. 3 lit. d ZUG begründet hat. Als es damals platziert wurde, war gemäss Ihren Schilderungen die allein sorgeberechtigte Mutter unbekannten Aufenthalts, wahrscheinlich in Österreich. Der im Fall einer dauerhaften Fremdplatzierung vorgesehene eigenständige Unterstützungswohnsitz nach Art. 7 Abs. 3 lit. c ZUG konnte das Kind nicht begründen, da es an einem Anknüpfungspunkt im Sinne von Art. 7 Abs. 1 oder 2 ZUG fehlte. Gemäss Ihren Schilderungen ist das Kind weder bevormundet (Art. 7 Abs. 3 lit. a ZUG) noch erwerbstätig (Art. 7 Abs. 3 lit. b ZUG), so dass richtigerweise der Auffangtatbestand nach Art. 7 Abs. 3 lit. d ZUG zum Zuge kam.
Wie es sich nun damit verhält, wenn der Aufenthalt sich anschliessend ändert, gibt das ZUG keine Auskunft. Ebensowenig ist etwas dem ZUG-Kommentar von Werner Thomet (1994) dazu zu entnehmen. Das Bundesgericht hat sich zu dieser Thematik im Zusammenhang mit Art. 25 Abs. 1 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 2007 (ZGB) geäussert, welcher den zivilrechtlichen Wohnsitz von Minderjährigen regelt. Auch dieser kennt den Aufenthaltsort als Auffangtatbestand:
Art. 25 1A. Persönlichkeit im Allgemeinen / V. Heimat und Wohnsitz / 2. Wohnsitz / c. Wohnsitz Minderjähriger
c. Wohnsitz Minderjähriger2
1 Als Wohnsitz des Kindes unter elterlicher Sorge3 gilt der Wohnsitz der Eltern oder, wenn die Eltern keinen gemeinsamen Wohnsitz haben, der Wohnsitz des Elternteils, unter dessen Obhut das Kind steht; in den übrigen Fällen gilt sein Aufenthaltsort als Wohnsitz.
[…].
Das Bundesgericht hat in einem älteren Entscheid aus dem Jahr 1997 entschieden, dass sich der zivilrechtliche Wohnsitz am Aufenthaltsort bei einem auswärtigen Heimeintritt im Sinne von Art. 23 Abs. 1 ZGB (damals noch Art. 26 ZGB) nicht verändert (Urteil des Bundesgerichts 5C.274/1997 vom 12. Januar 1998, vgl auch BGE 135 III 49 E. 5.3 und 6.1; vgl. auch Urteil des Verwaltungsgerichts Zürich VB.2012.00302 vom 7.11. 2012 Erw. 3.2, das die Rechtsprechung des Bundesgerichts im Bereich des ZGB im Kontext der Tragung von Sonderschulkosten nochmals anschaulich darlegt). Zwar hat sich das Bundesgericht nicht zur ZUG-Regelung geäussert, indessen deckt sich diese Rechtsprechung mit dem Sinn und Geist des ZUG, wonach Heimstandorte nicht finanziell mehrbelastet werden sollen. Die Aufenthaltsgemeinde hätte es ansonsten in der Hand, seine Zuständigkeit abzugeben, indem es das Kind in einer anderen Gemeinde fremdplatziert. Demnach ist es sachgerecht, wenn wie im vorliegenden Fall der Wechsel des Aufenthaltsortes infolge Heimeintritt den bisherigen Unterstützungswohnsitz am Aufenthaltsort nicht untergehen lässt. Im zürcherischen Behördenhandbuch, welches zwar keine Rechtswirkung für den vorliegenden Fall hat, wird dieselbe Auffassung vertreten. Dem Handbuch sind auch Überlegungen zu entnehmen, in welchen Fällen der Unterstützungswohnsitz am Aufenthaltsort sich durchaus ändern kann (vgl. Kapitel 3.2.03 Ziff. 2.4 Unterstützungswohnsitz Minderjähriger http://www.sozialhilfe.zh.ch/Handbuch/3.2.03.%20Unterstützungswohnsitz%20Minderjähriger.aspx). Diese erscheinen richtig, treffen jedoch auf den vorliegenden Fall nicht zu.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass weder eine eindeutige gesetzliche Regelung oder Rechtsprechung im Bereich der sozialhilferechtlichen Zuständigkeit zur Frage besteht, ob sich der einmal begründete Unterstützungswohnsitz am Aufenthaltsort nach Art. 7 Abs. 3 lit. d ZUG bei einem auswärtigen Heimeintritt verändert. Indessen erscheint es in Anlehnung an die Rechtsprechung im Zivilrecht (Art. 25 Abs. 1 ZGB) sachgerecht, gerade bei einer Veränderung durch eine Heimunterbringung den bisherigen Unterstützungswohnsitz am Aufenthaltsort beizubehalten.
Ich hoffe, Ihnen mit dieser Antwort gedient zu haben.
Freundliche Grüsse, Ruth Schnyder