Guten Tag
In einem Dossier stellen sich diverse rechtliche Fragen und wir sind dankbar für fachliche Inputs.
Der Sachverhalt gestaltet sich folgendermassen:
- Der Klient stellte Antrag um wirtschaftliche Sozialhilfe. Die Einkommensnachweise wurden am 25. Januar 2022 eingereicht. Die zuständige Gemeinde verfügte den Anspruch auf Nothilfe per 1. Februar 2022.
- Der Klient verfügt über eine B-Bewilligung EU/EFTA , gültig bis 31.08.2025
- Der Klient reiste am 01.09.2020 in die Schweiz ein. Das Arbeitsverhältnis wurde ihm per 31.10.2021 gekündigt.
- In der Zeit zwischen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses und der Antragsstellung WSH meldete sich der Klient nicht beim RAV/der ALK an. Am Erstgespräch wurde der Klient angewiesen, sich beim RAV anzumelden. Der Aufforderung kam er umgehend nach (Anmeldung RAV / ALK per 29.01.2022). Ein Leistungsanspruch wurde mittels Verfügung abgelehnt.
- Der Klient ist weiterhin auf Stellensuche und ist zur Zusammeanarbeit mit dem RAV angewiesen. Gemäss Rücksprache mit dem RAV-Berater reicht der Klient die Arbeitsbemühungen nicht zuverlässig ein.
- Der Klient hat Anfang Mai 2022 einen Gerichtstermin in Deutschland, wesewegen er sich für knapp zwei Wochen sich im Ausland aufhalten wird.
- Am 28.03.2022 konnte der Klient einen Arbeitseinsatz (Temporär-Einsatzvertrag) antreten. Der Vertrag wurde ihm per 06.04.2022 wieder gekündigt.
- Das Amt für Migration wartet noch auf Unterlagen, um den Aufenthaltsstaus / das Aufenthaltsrecht vom Klienten aufgrund der temporären Arbeitstätigkeit neu zu beurteilen. Infolge Kündigung des alten Arbeitsverhältnisses per 31.10.2021 wäre das Aufenthaltsrecht grundsätzlich per 30.04.2022 erloschen.
Nun zu unseren Fragen:
- Hat der Klient durchgehend Anspruch auf ordentliche Sozialhilfe, obwohl er sich nach Stellenverlust nicht unmittelbar beim RAV / der ALK angemeldet hat? Welchen Einfluss hat die Zusammenarbeit mit dem RAV auf den Anspruch?
- Angenommen der Klient hat nur Anspruch auf Nothilfe: In welchem Umfang besteht der Anspruch auf Nothilfe, wenn der Klient sich im Ausland aufhält? Wie gestaltet sich der Grundbedarf in dieser Zeit bei Anspruch auf ordentliche Sozialhilfe?
- Inwieweit ist die Sozialhilfe / Nothilfe von einer neuen Aufenthaltsbewilligung / Ausreiseverfügung o.ä. abhängig?
Wir danken im Voraus für die Antwort.
Freundliche Grüsse
Frage beantwortet am
Ruth Schnyder
Expert*in Sozialhilferecht
Guten Abend
Gerne beantworte ich Ihre Anfrage. Dabei geht es um einen Klienten mit B-Bewilligung EU/EFTA, der nach seinem 14-monatigen Aufenthalt (1.9.20 – 31.10.2021) in der Schweiz die Stelle durch Kündigung verloren hat. Anspruch auf Arbeitslosentaggelder hat er Ihren Angaben zufolge nicht, weswegen er sich bei der Sozialhilfe angemeldet hat. Ihm wird seit 1. Februar 2022 Nothilfe ausgerichtet.
- Anspruch auf Sozialhilfe oder Nothilfe? Wirkung des Bezugs von Arbeitslosentaggeld?
Art. 61a Abs- 4 AIG regelt die Situation der unfreiwilligen Beendigung des Arbeitsverhältnisses – und damit Verlust der Arbeitnehmerschaft – nach den ersten 12 Monaten des Aufenthalts bei Personen mit B-Bewilligung EU/EFTA. Danach erlischt das Aufenthaltsrecht 6 Monate nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses, sofern keine Arbeitslosentschädigung bezogen wird. Im Unterschied zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei unterjährigem Aufenthalt sagt Abs. 4 nichts zum Anspruchsumfang bei Bedürftigkeit. Daraus lässt sich ableiten, dass während den 6 Monaten bis zum Erlöschen Anspruch auf ordentliche Sozialhilfe besteht (so auch das SKOS-Merkblatt «Unterstützung von Personen aus dem EU/EFTA-Raum, Stand 2019, Ziff. 2.2.4). D.h. ab Februar 2022 hätte er nicht nur Anspruch auf Nothilfe, sondern Sozialhilfe gehabt, dies bis Ende April 2022 (6 Monate nach 31.10.21). Der Arbeitslosentaggeldbezug würde seinen Anspruch auf Sozialhilfe über diese 6 Monate hinaus verlängern, und zwar bis 6 Monate nach Beendigung des Bezugs von Arbeitslosentaggeldern. Da der Klient kein Arbeitslosentaggeld bezieht, endete grundsätzlich sein Anspruch auf Sozialhilfe per Ende April 2022. Solange aber die Aufenthaltsbewilligung nicht widerrufen wird, lässt sich dem zitierten SKOS-Merkblatt die Auffassung entnehmen, dass der Sozialhilfeanspruch fortbesteht. Dieser Auffassung schliesse ich mich gestützt auf Art. 23 VFP und Ziff. 8.2.1 zweiter Abschnitt Weisungen VFP an. D.h. die B-Bewilligung erlischt erst, wenn dies entsprechend vom zuständigen Migrationsamt verfügt wurde. Gemäss Ihren Angaben wurde die B-Bewilligung vorliegend (noch) nicht widerrufen, was mit dem Vorweisen der Temporärstelle zu tun haben kann, auch wenn diese nach kurzer Zeit wieder gekündigt wurde. Bestehen Zweifel, dass der Klient die Voraussetzungen für das Weiterbestehen der Bewilligung erfüllt, dann kann eine vorfrageweise Abklärung beim Migrationsamt Nidwalden erfolgen. Währenddessen besteht meiner Meinung nach der Anspruch auf Sozialhilfe fort (dazu siehe auch das SKOS-Merkblatt a.a.O.).
- Anspruch während 2-wöchigem Auslandaufenthalt
Zu dieser Thematik findet sich weder im Nidwaldner SHG, in der SHV noch in den SKOS-RL eine Regelung. In den Kantonen gibt es dazu unterschiedliche Praxishandhabungen. In der ZESO 1/21 hat Patricia Max, Mitglieder Kommission RiP bei den SKOS, anhand eines Praxisbeispiels eine Handhabung aufgezeigt. Auch lege ich Ihnen dieser Antwort ein Urteil des St. Galler Verwaltungsgerichts vom 24. Januar 2020 (B3019/53, B2019/61) bei, das diese Thematik zum Gegenstand hat. Generell stelle ich mich auf den Standpunkt, dass ein 2-wöchiger Auslandaufenthalt noch keine Änderung in der Unterstützung bewirkt unabhängig davon, ob Sozialhilfe oder Nothilfe bezogen wird.
Ich hoffe, Ihnen damit Ihre Fragen beantwortet zu haben.
Freundliche Grüsse
Ruth Schnyder
Guten Tag Frau Schnyder
Besten Dank für die ausführliche Antwort.
Freundliche Grüsse
Sozialdienst NW