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Sozialhilfe / frühzeitige Pensionierung

Veröffentlicht:
12.02.2019
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Sozialhilferecht

Guten Tag
Meine Klientin wird im Frühjahr 2019 62 jährig. Sie lebt im Kanton SZ.
Momentan bezieht sie (ergänzend zu einem kleinen Taggeld der ALV) wirtschaftliche Sozialhilfe. Frau X. hat sich aufgrund einer gesundheitlichen Problematik bei der IV angemeldet. Die IV hat den Rentenanspruch abgelehnt, stellt Frau X. aber einen Jobcoach zur Verfügung, der sie bei der Suche nach einer angepassten Stelle unterstützen soll. Nun hat die Gemeinde meine Klientin aufgefordert, die frühzeitige Pensionierung anzumelden. Kann sich meine Klientin dagegen wehren?
Besten Dank für Ihre Unterstützung!
Kathrin Kayser

Frage beantwortet am

Cathrin Habersaat-Hüsser

Expert*in Sozialhilferecht

Guten Tag Frau Kayser
Im Kanton Schwyz ist in § 4 Abs. 2 der Vollziehungsverordnung zum Gesetz über die Sozialhilfe (ShV SZ) geregelt, dass die Richtlinien für die Ausgestaltung und Bemessung der Sozialhilfe der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (SKOS-Richtlinien) für den Vollzug der individuellen Sozialhilfe wegleitend sind, soweit das Gesetz und die Verordnung keine andere Regelung vorsehen. Abs. 3 legt fest, dass der Regierungsrat ergänzende Vorschriften zur Anwendung der SKOS-Richtlinien erlassen oder Ausnahmen vorsehen kann. Gemäss den Regierungsratsbeschlüssen 1185/2015 und 9/2017 gelten die Revisionen von 2016 und 2017 für den Kanton Schwyz, womit die aktuelle Fassung der SKOS-Richtlinien zur Beantwortung der Frage herangezogen werden können. Dort ist der AHV-Vorbezug explizit in E.2.4 geregelt, wo festgehalten wird, dass die Leistungen der AHV grundsätzlich der Sozialhilfe vorzugehen haben. Da ein Vorbezug 2 Jahre vor dem ordentlichen Rentenalter möglich ist, jedoch zu einer lebenslangen Kürzung der Rente und somit zu einer Einbusse führt ist zu klären, ob dies zulässig ist. Die SKOS-Richtlinien sehen vor, dass diese Lücke durch die BVG Leistungen oder die Ergänzungsleistungen aufgefangen werden kann und somit ein Vorbezug verhältnismässig sei. Es wird festgehalten, dass unterstützte Personen grundsätzlich zum AHV Renten Vorbezug angehalten werden sollen. So äussert sich auch das Schwyzer Handbuch zur Sozialhilfe unter E.2.4, wo noch ergänzend festgehalten ist, dass der AHV-Vorbezug den Regelfall darstellt, von welchem im begründeten Einzelfall abgewichen werden kann, insbesondere, wenn die unterstütze Person noch teilzeitlich erwerbstätig ist oder reelle Chancen auf eine baldige Anstellung hat. Somit verbleibt der Behörde grundsätzlich ein kleiner Ermessensspielraum und es wäre zu klären, ob im Falle ihrer Klientin aufgrund des ALV Taggeldbezuges oder des Jobcoaches allenfalls ein begründeter Einzelfall vorliegt, so auch § 4 Abs. 1 ShG. Wird dieser verneint, darf die Gemeinde die Klientin auffordern, die vorzeitige AHV Pensionierung geltend zu machen. Ohne genauere Kenntnisse des Falles wäre von der Sozialhilfe im Sinne des Verhältnismässigkeitsprinzips (Art. 5 BV) in die Abwägung einzubeziehen:

  • Konsequenz AHV-Vorbezug in Bezug auf ALTG (Art. 8 Abs. 1 lit. d)?
  • Wie lange bestünde noch Anspruch auf das Taggeld der ALV?
  • Wie hoch ist die ergänzende Unterstützung durch die Sozialhilfe?
  • Welche Einbusse muss sie seitens AHV hinnehmen, welche durch die EL (also auch öffentliche Hand gedeckt werden muss)?
  • Könnte sie sich mit Freizügigkeitsguthaben selber ergänzend zur ALV finanzieren?
  • Seit wann sucht sie nach Arbeit mit Hilfe des Job Coaches, wie sieht der Job Coach die Chancen? Was hat die IV für Pläne mit ihr?
  • Ist die abschlägige Rentenverfügung rechtskräftig?
  • Zeitlicher Horizont: Nächste Möglichkeit für AHV-Vorbezug?
    Weitere Abwägungsfragen können sich aus dem Fall ergeben. Der Entscheid hat die Sozialhilfe, soweit möglich, zusammen mit der Klientin zu treffen, § 4 ShG.
    Neben dem AHV-Vorbezug stellt sich in diesem Kontext häufig auch die Frage, wie mit den Freizügigkeitsleistungen aus der 2. Und 3. Säule umzugehen ist. Bezüglich der Freizügigkeitsguthaben aus der 2. Säule und den Guthaben der gebundenen privaten Fürsorge aus der Säule 3a kann auf die Ausführungen in E.2.5 der SKOS Richtlinien verwiesen werden. Auch diese gehen grundsätzlich der Sozialhilfe vor. Die Freizügigkeitsleistungen können in der Regel frühestens 5 Jahre vor dem Erreichen des Rentenalters ausbezahlt werden. Die SKOS Richtlinien sehen grundsätzlich vor, dass die Freizügigkeitsleistungen aus der 2. Und 3. Säule zusammen mit dem AHV-Vorbezug herausgelöst werden sollten, um damit den Lebensunterhalt sicherzustellen, nicht jedoch vorher. Nach Auslösung gelten die Guthaben als liquides Vermögen. Reichen die Leistungen nicht aus, sind Ergänzungsleistungen zu beantragen. So auch festgehalten im Schwyzer Handbuch zur Sozialhilfe unter E.2.5. Somit gilt auch bezüglich 2. Und 3. Säule, dass die Gemeinde die vorzeitige Geltendmachung der Gelder grundsätzlich fordern darf.
    Die Haltung der SKOS Richtlinien deckt sich mit § 15 des Gesetzes über die Sozialhilfe (ShG SZ). Dort heisst es, dass Anspruch auf Unterstützung mit wirtschaftlicher Sozialhilfe hat, «wer für seinen Lebensunterhalt und den seiner Familienangehörigen mit gleichem Wohnsitz nicht hinreichend oder rechtzeitig aus eigenen Mitteln aufkommen kann». Was zu den eigenen Mitteln gezählt wird, wird in §6 ShV SZ näher beschrieben: insbesondere alle Einkünfte, das Vermögen und Versicherungsleistungen. In ihrem Fall kommt noch §2 Abs. 2 ShG SZ zum Zug, in welchem die Subsidiarität geregelt ist. Unterstützung erhält nur, wer sich nicht selbst helfen kann oder wenn die Hilfe von dritter Seite nicht oder nicht rechtzeitig erhältlich ist. Die SKOS-Richtlinien führen in A.4 weiter noch aus, dass kein Wahlrecht zwischen vorrangiger Hilfsquellen und der Sozialhilfe besteht. Leistungsverpflichtungen Dritter, wobei explizit Leistungen der Sozialversicherungen genannt werden, gehen der Sozialhilfe explizit vor. Weiter findet sich bei den Pflichten in A.5.2: «In Ausschöpfung des Subsidiaritätsprinzips sind unterstützte Personen verpflichtet, einen Rechtsanspruch auf (Ersatz-)Einkommen geltend zu machen (z.B. Lohnguthaben, Alimente, Versicherungsleistungen) sowie Nachzahlungen von Versicherungsleistungen abzutreten».
    Nehmen die Abklärungen oder Berechnungen seitens der Versicherungen mehr Zeit in Anspruch als bis zur vorzeitigen Pensionierung, und kann dadurch die Existenz nicht sichergestellt werden, ist weiterhin eine Unterstützung mit wirtschaftlicher Hilfe im Sinne eines Vorschusses auf die zu erwartenden Leistungen der Versicherungen durch die Gemeinde zu erbringen (§2 Abs. 2 ShG SZ). Dieser Vorschuss ist aus der Nachzahlung der Versicherungen zurückzuerstatten. Weiter sieht §25 Abs. 3a ShG SZ vor, dass die Gemeinde bei der Versicherung eine direkte Auszahlung der Nachzahlungen im Umfang der geleisteten Vorschüsse verlangen kann.
    Gesetzt den Fall, ihre Klientin verweigert den AHV Vorbezug, kommt §26a ShG SZ zur Anwendung. «Verweigert die hilfesuchende Person trotz vorgängiger Mahnung die ihr zumutbare Mitwirkung, namentlich wenn sie die Auskunftspflicht verletzt oder den verfügten Auflagen, Bedingungen oder Weisungen zuwiderhandelt, kann die Fürsorgebehörde die wirtschaftliche Hilfe kürzen oder einstellen». Wird also eine formell und inhaltlich korrekte Auflage/Weisung zur fristgerechten Anmeldung des Vorbezuges der Altersrente seitens Gemeinde gemacht und kommt ihre Klientin dem nicht nach, so darf nach einer vorgängigen Mahnung mit Androhung der Konsequenzen bei Nichtbefolgung die Sozialhilfe gekürzt oder eingestellt werden. Allenfalls ist Nothilfe im Rahmen von Art. 12 Bundesverfassung zu erbringen.
    Ich hoffe, Ihnen mit diesen Ausführungen weitergeholfen zu haben.
    Freundlich grüsst
    Cathrin Habersaat