Sehr geehrte Damen und Herren
Wir unterstützen einen Frau, welche im April 2022 ihr erstes Kind geboren hat. Bei Antragstellung für Sozialhilfe im Juni 2022 wurde die im April 2022 beantragte Mutterschaftsentschädigung noch nicht ausgerichtet. Die Auszahlung der ME erfolgte trotz unterzeichnetem Drittauszahlungsgesuch, unterzeichnet am 8.Juli 2022, welches an die SVA eingereicht wurde, an die Sozialhilfebeziehende am 18. August 2022 auf ihr Privatkonto.
Die Sozialhilfebeziehdend hat der Gemeinde das Geld bis heute nicht überwiesen. Laut Ihrer Angabe hat sie mehrere Tausend Franken verwendet, um Schulden aus der Zeit vor der Unterstützungszeit zu begleichen.
Die Gemeinde hat die Frau aufgefordert, den ganzen Betrag der des Unterstützungszeitraumes vom 22.04.2022 bis 28.07.2022 an die Gemeinde zu überweisen, wie im Drittauszahlungsgesuch unterschrieben.
Unsere Frage ist nun:
1. Bei Eintritt in die Sozialhilfe gab es keine Ausstände bei Miete und Krankenkasse und noch keine Mutterschaftsentschädiungsleistungen.
Darf die Sozialhilfe den ganzen Betrag für die aktuelle Unterstützungszeit verwenden oder anrechnen? Sie ist aktuell krankgeschrieben, der Restanspruch von 37 Tagen Arbeitslosengeld ist noch nicht ausbezahlt worden? Oder müssen wir ihr trotz aktuellen höheren Auslagen als die ME für die jeweiligen Monate zahlt die ME für die Zeit vor der Unterstützung auszahlen. Wir haben das Verständnis, dass die bezahlte Entschädigung als Einkommen ins laufende Budget eingerechnet wird um die aktuellen Auslagen zu decken.
Bei einer Gespräch hat uns die Sozialhilfebeziehende vorgeschlagen, dass sie den Antrag um Sozialhile rückgängig mache, sie habe zwar Leistungen bezogen, diese könne sie nun zürückzahlen und der Antrag sei zu vernichten. Nun habe sie ja für kurze Zeit Geld. Sie könne ja dann, wenn das Geld aufgebraucht sei und die Schulden bezahlt sind, wieder ein Gesuch stellen.
2. Wie sieht hier die Rechtslagae aus und wie sollen wir diese Anfrage um rückgängig machen des Antrages und behalten des Geldes, welches zu dem schon verwendet wurde, beantworten. Aus unserem Verständnis ist eine Rückwicklung nicht zulässig
Können wir das Geld zurückfordern?
Besten Dank für das Bearbeiten unserer Anfragaen.
Freundliche Grüsse
Frage beantwortet am
Ruth Schnyder
Expert*in Sozialhilferecht
Guten Tag
Gerne beantworte ich Ihre Anfrage. Aus meiner Sicht sollte zunächst geklärt werden, ob die SVA das Drittauszahlungsgesuch auch tatsächlich erhalten hat. Ist dem so, ist die SVA verpflichtet, die Nachzahlung der Mutterschaftsentschädigung während des bevorschussten Zeitraums an die Sozialhilfe zu leisten. Denn aufgrund des Drittauszahlungsgesuches konnte die SVA nur befreiend an die Sozialhilfe bezahlen. Zwar ergibt sich aus den für der für die Mutterschaftsentschädigung massgebenden WEO (Rz. 1155 KS MVSE), dass eine Abtretung verboten sei (Rz. 7001 WEO), wobei sich dieses Verbot wohl nur auf laufende Entschädigungen bezieht, nicht aber auf Nachzahlungen. Denn gestützt auf Art. 22 Abs. 2 lit. a ATSG ist die Abtretung von Nachzahlungen an die Sozialhilfe zulässig, zumal das EOG keine Ausnahme dazu vorsieht (siehe zur Zulässigkeit der Abtretung bei Nachzahlungen in Bezug auf die Erwerbsersatzordnung: Kieser Ueli, in: Kommentar zum Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts ATSG, 4. Aufl., Zürich - Basel - Genf 2020, Art. 22 Sicherung der Leistung N 97). Mit der Zustellung des Drittauszahlungsgesuches hat die Sozialhilfe die Abtretung angezeigt. Ich gehe davon aus, dass die Klientin das Gesuch unterschrieben hat, wobei in § 12 Abs. 2 SPG / AG auch ein entsprechendes Forderungsrecht (ohne Einverständnis) verankert ist. Daraus folgt, dass sich die SVA mit der Zahlung an die Klientin nicht der Schuld gegenüber der Sozialhilfe entledigte. Dies ergibt sich im Umkehrschluss aus Art. 167 OR (dazu Schaufelberger Peter C./Keller Katrin, in: Kren Kostkiewicz Jolanta/Wolf Stephan/Amstutz Marc/Fankhauser Roland (Hrsg.), OR Kommentar, Schweizerisches Obligationenrecht, 3. Aufl., Zürich 2016, Art. 167 N 3). Dessen analoge Anwendung könnte aber davon abhängig gemacht werden, dass wortwörtlich eine Abtretung vorliegt, mir der genaue Wortlaut des Drittauszahlungsgesuches nicht bekannt ist, wobei weitere Abklärungen zu dieser Frage den Rahmen des Sozialhilfeforums sprengen würden (zur analogen Anwendung des OR allgemein siehe Ueli Kieser, a.a.O., Rz. 47). Die SVA ist demnach nach wie vor verpflichtet, die Nachzahlung an die Sozialhilfe, aber nur soweit mit der Bevorschussung durch die Sozialhilfe zeitlich kongruent, d.h. die Mutterschaftsentschädigungen, welche der Hilfe für den Monat Juni und Juli anzurechnen wäre. Soweit keine zeitliche Kongruenz besteht, kann die Sozialhilfe die Nachzahlung nicht für sich beanspruchen, selbst wenn die Nachzahlung an sie ginge. Mit der nicht zeitlich kongruenten Nachzahlung wäre die Klientin in jedem Fall abzulösen gewesen. Die Unterstützung wäre dann aufzunehmen, wenn die Bedürftigkeit wieder ausgewiesen ist. Musste sie nach der Geburt des Kindes Schulden machen, wo die Sozialhilfe noch nicht floss, ist gegen deren Rückzahlung aus meiner Sicht nichts einzuwenden. Falls sie andere Schulden begleicht, dann ist die wirtschaftliche Hilfe dennoch aufnehmen. Eine Sanktion erscheint meiner Meinung nach nicht möglich, da weder § 5a SPG / AG noch § 13b SPG / AG eine entsprechende Regelung für diese Konstellation enthält.
Aus dem Gesagten folgt, dass die Sozialhilfe von der SVA die mit der Bevorschussung zeitlich kongruente Nachzahlungen nachfordert. Für die Klientin wird die Unterstützung wieder aufgenommen, wenn sie die Voraussetzungen der Bedürftigkeit erfüllt. Es ist damit zu rechnen, dass die Klientin die doppelt bezahlte Mutterschaftsentschädigung gegenüber der SVA zurückerstatten muss. Dieser Rückerstattungspflicht sollte Vorrang gegeben werden, selbst wenn dadurch sie bedürftig wird.
Ich hoffe, Ihnen damit Ihre Frage beantwortet zu haben. Die Frage, ob die Sozialhilfe rückgängig gemacht werden könne, erübrigt sich damit meiner Meinung nach. Falls aber noch Unklarheiten bestehen, lassen Sie es mich wissen.
Freundliche Grüsse, Ruth Schnyder