Sehr geehrte Frau Anderer
Sehr geehrter Herr Vogel
In unserer Berufsbeistandschaft gibt es in letzter Zeit einige Unklarheiten in Bezug auf Sozialabklärungen während bereits bestehender Mandatsführung. Die KESB macht ja i.d.R. vor Errichtung eines Mandats eine Sozialabklärung, die als Grundlage für ihre Entscheidung dient. Und zu den Aufgaben von Beistandspersonen gehört es, eine Anpassung der Massnahme zu beantragen, sofern dies notwendig erscheint. Die KESB hat dann ein neues Entscheidverfahren zu eröffnen.
Es kommt immer wieder vor, dass Beiständinnen/Beistände eine die Prüfung einer Anpassung/Erweiterung ihres Mandats bei der KESB beantragen. In der Vergangenheit hat unsere KESB in einer solchen Situation bei Bedarf nochmals den KESB-internen Abklärungsdienst involviert und eine Sozialabklärung in Auftrag gegeben, wenn dies notwendig erschien. In letzter Zeit erhalten wir von unserer KESB die Rückmeldung, dass die Beistandsperson bei laufenden Mandaten grundsätzlich selber die soziale Situation abzuklären habe. Der Antrag auf Anpassung einer Massnahme muss bereits von der Beistandsperson die exakt gewünschte Auftragsanpassung enthalten (inkl. Vorformulierung des künftigen, erweiterten Auftrags). Der Abklärungsdienst der KESB wird bei laufenden Mandaten nicht mehr involviert.
Für Beistandspersonen ist eine Sozialabklärung innerhalb eines laufenden Mandats eine Intervention, die die Kooperationsbasis mit der verbeiständeten Person deutlich beeinträchtigen kann. Uns stellt sich zudem die Frage, ob Beistandspersonen damit nicht quasi ohne Mandat handeln und ihre Kompetenzen überschreiten, wenn sie Abklärungen vornehmen, um eine allfällig notwendige Auftragsanpassung exakt zu begründen.
Daher meine Frage:
Wie sieht in diesem Zusammenhang die rechtliche Lage aus? Dürfen Beistandspersonen davon ausgehen, dass der Abklärungsdienst einer KESB auch in laufenden Mandaten eine Funktion haben kann? Darf von einer Beistandsperson beantragt werden, eine Anpassung der Massnahme zu überprüfen, und kann sie dann davon ausgehen, dass diese inhaltliche Überprüfung von der KESB in eigener Kompetenz vorgenommen wird? Oder ist es immer die Aufgabe von Beiständinnen und Beiständen, sich derart umfassend über die soziale Lage ihrer Klientel zu informieren, dass sie der KESB jederzeit die Grundlagen für deren Entscheide liefern können.
Vielen herzlichen Dank für Ihre Auskunft.
Frage beantwortet am
Karin Anderer
Expert*in Kindes- und Erwachsenenschutz
Grüezi
Nach Art. 414 ZGB informiert der Beistand oder die Beiständin die Erwachsenenschutzbehörde unverzüglich über Umstände, die eine Änderung der Massnahme erfordern oder eine Aufhebung der Beistandschaft ermöglichen. Gestützt auf diese Bestimmung werden der KESB Anträge auf „Anpassung/Erweiterung“ der Massnahme gestellt.
Von Beistandspersonen darf erwartet werden, dass sie klare Anträge stellen und die „Anpassung/Erweiterung“ begründen können. Art. 414 ZGB auferlegt der Beistandsperson eine Informationspflicht, sie hat sich selber ein Bild von der veränderten Situation zu machen. Die Mandatsanpassung stützt sich weitgehend auf dieselben Fragestellungen ab, wie sie im Rahmen der Mandatsaufnahme erarbeitet wurden (vgl. Rosch, Leitfaden für Berufsbeiständinnen und Berufsbeistände, 2.2. und 4.5. ff.). Der Antrag der Beistandsperson basiert somit auf Wissen, das sich direkt aus der Mandatsführung ergibt und nicht auf zusätzlichen Abklärungsresultaten. In der Regel genügen solche fundierten Anträge der KESB, um in der Sache zu entscheiden. Es kann aber auch Umstände geben, die zwar auf eine Gefährdung hinweisen, sie können aber von der Beistandsperson im laufenden Mandat nicht vertiefter erhoben werden, z.B. weil sich der Klient entzieht oder verweigert oder weil es um medizinische oder psychiatrische Aspekte geht. Wichtig ist, das im Antrag klar auszuführen.
Die KESB erforscht den Sachverhalt von Amtes wegen, zieht die erforderlichen Erkundigungen ein und erhebt die notwendigen Beweise (Art. 446 Abs. 1 und 2 ZGB). Sie hat somit von Amtes wegen alle Abklärungen zu treffen, welche zur Feststellung des Sachverhaltes erforderlich sind. Für die Subsidiaritätsprüfung ist die KESB zuständig.
Liegt ein vollständiger und begründeter Antrag vor und ist für die KESB, auch nach allfälliger Rücksprache mit der Beistandsperson, der Sachverhalt nicht klar, so scheint es mir aus methodischen, wie auch aus fachlichen, Gründen nicht angezeigt, die Beistandsperson mit weiteren Abklärungen zu beauftragen. Das kann zu Rollenkonflikten führen, ist die abklärende Person doch Hilfsperson der KESB und sie hat dieser vollumfänglich Auskunft zu geben. Die Mandatsperson orientiert sich hingegen an ihrem Auftrag und informiert über ihre Aufgabenbereiche. Bei Klienten kann eine solche Rollenvermischung Misstrauen erwecken.
Ihre Frage lässt sich somit folgendermassen beantworten: Es ist keine rechtliche Frage, ob der Abklärungsdienst einer KESB auch in laufenden Mandaten eine Funktion haben kann. Massgebend ist der Antrag, ob er den Sachverhalt vollständig abbildet oder ob weitere Abklärungen vorzunehmen sind. Die KESB hat die Pflicht, den Sachverhalt vollständig abzuklären. Anträge von Beistandspersonen sind klar zu formulieren und zu begründen. Sollten dennoch weitere Sachverhaltsabklärungen notwendig sein, so sollen diese, aus methodischen und fachlichen Überlegungen, nicht von der Beistandsperson ausgeführt werden.
Ich hoffe, die Angaben sind nützlich und ich grüsse Sie freundlich.
Luzern, 9.4.2022
Karin Anderer