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Soll bei einer Haftstrafe im Strafvollzug und damit einhergehendem Wegfall von IV/EL die Sozialhilfe angemeldet werden? Welche Unterstützung muss die Sozialhilfe erbringen in so einem Fall?

Veröffentlicht:
11.03.2021
Kanton:
Luzern
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Sozialhilferecht

Guten Tag

Ich betreue einen Klienten mit freiwilliger Einkommensverwaltung. Er lebt von einer IV-Rente und Ergänzungsleistungen. Nun musste er im November 2020 eine Haftstrafe antreten. Ursprünglich war die Haft bis Ende Februar angesetzt doch sie wurde verlängert bis Ende März. Wegen der Haft länger als 1 Monat wurde die IV-Rente sistiert und die EL eingestellt. Sollte in so einem Fall die Sozialhilfe angemeldet werden resp. ist die Sozialhilfe unterstützungspflichtig und wenn ja, in welchem Umfang (Miete, Krankheitskosten etc.)?

Ich danke Ihnen bestens für Ihre Antwort.

Freundliche Grüsse

Frage beantwortet am

Cathrin Habersaat-Hüsser

Expert*in Sozialhilferecht

Sehr geehrte Frau Allemann

Gerne gehe ich auf Ihre Fragen ein. Gemäss Art. 21 Abs. 5 ATSG ist es tatsächlich so, dass wenn sich eine versicherte Person im Straf- oder Massnahmenvollzug befindet, die Auszahlung von Geldleistungen mit Erwerbsersatzcharakter während dieser Zeit ganz oder teilweise eingestellt werden können. Ausgenommen davon sind lediglich Geldleistungen für Angehörige im Sinne von Absatz 3. Dies gilt gemäss BGE 133 I 1 auch für Haft und wird nach 3 Monaten angewandt. Ich entnehme Ihrem Fall nicht, ob es sich um eine Untersuchungshaft oder um den Straf- /Massnahmenvollzug handelt. In ihrem Falle wird aber somit von dieser Kann-Regelung Gebrauch gemacht. Jetzt stellen Sie sich die Frage, ob ihr Klient Sozialhilfeleistungen beantragen soll. Dies ist zu bejahen, wenn ihr Klient über keine nennenswerten Einkommens- und Vermögenswerte verfügt. Das Sozialhilfegesetz Kanton Luzern (SHG LU, Stand 1.3.2020) sieht nämlich in §27 Abs. 1 vor: «Wer seinen Lebensbedarf und den seiner Familienangehörigen im Sinn des eidgenössischen Zuständigkeitsgesetzes nicht rechtzeitig oder nicht hinreichend mit eigenen Mitteln, durch Arbeit oder mit Leistungen Dritter bestreiten kann, hat Anspruch auf wirtschaftliche Sozialhilfe.» Vorausgesetzt ist, dass die hilfebedürftige Person nicht in der Lage ist sich selbst zu helfen, Hilfe Dritter nicht oder nicht rechtzeitig erhältlich ist (§3 Abs. 2 SHG LU). In ihrem Falle hat der Klient keine Möglichkeit die IV und EL Leistungen wieder zu erhalten, solange er in Haft/Straf- oder Massnahmenvollzug ist. Verfügt er über keine sonstigen Einnahmemöglichkeiten, so hat er grundsätzlich Anspruch auf Unterstützung mit wirtschaftlicher Hilfe, sofern er nicht zuviel Vermögen besitzt. Zum Vermögen sagt weder das Gesetz noch die Verordnung etwas aus. Da in Luzern aber gemäss §31 Abs. 1 SHG LU die SKOS-Richtlinien Gültigkeit haben (sofern der Regierungsrat durch Verordnung keine Abweichungen beschliesst), kann darauf verwiesen werden. Die SKOS-RL sehen unter D.3.1 Abs. 4 für eine Einzelperson einen Vermögensfreibetrag von CHF 4'000.00 vor. Wenn ihr Klient also keine Vermögenswerte über CHF 4’000.00 besitzt, dann besteht grundsätzlich ein Anspruch auf Sozialhilfe. Da Sie lediglich eine Einkommensverwaltung führen, müsste Ihr Klient, allenfalls mithilfe des Gefängnissozialdienstes, die Sozialhilfeanmeldung vornehmen. Dies kann er bei der Einwohnergemeinde erledigen, bei der er seinen Unterstützungswohnsitz hat (§16 Abs. 1 SHG LU).

Nun stellt sich noch die Frage nach dem Umfang. Es wird gemäss §31 Abs1. SHG LU ein soziales Existenzminimum gewährt. Dazu gehört gemäss SKOS-RL C.1 der Grundbedarf für den Lebensunterhalt (GBL), anrechenbare Wohnkosten, die medizinische Grundversorgung und grundversorgende situationsbedingte Leistungen (grundversorgende SIL). In Ihrem Fall gilt aber noch spezifisch §5 Abs. 1 SHG LU: «Die Organe der Sozialhilfe haben bei der Gewährung der Sozialhilfe den Besonderheiten und Bedürfnissen des Einzelfalls angemessen Rechnung zu tragen.» Die Besonderheit liegt im Gefängnisaufenthalt. Im Gesetz und der Verordnung findet sich nichts weiteres, jedoch äussert sich das Luzerner Handbuch (Stand 1.1.21) gestützt auf die SKOS-RL dazu. Unter C.3.2.3.1 ist zu lesen, dass bezüglich Kostenübernahme eines Taschengeldes (GBL) für Insassen in Untersuchungshaft und im Straf- und Massnahmenvollzug das Konkordat der Kantone der Nordwest- und Innerschweiz über den Vollzug von Strafen und Massnahmen vom 5. Mai 2006 (SRL Nr. 325) sowie der Kostgeldliste keine Regelung getroffen hat. Vielmehr wird bei Personen im Straf- und Massnahmenvollzug davon ausgegangen, dass sie das Taschengeld selber erwirtschaften können. Bei nachgewiesener Bedürftigkeit (keine Eigenbeteiligung aus Arbeitsentgelt möglich, oder diese wird erst bei Austritt ausbezahlt oder in der Haft ist keine Erwirtschaftung eines Pekuliums möglich) ist die Finanzierung von ungedeckten Ausgabenpositionen über die Sozialhilfe aber möglich, im Sinne von §5 Abs. 1 SHG LU. Es gibt zur Schnittstelle Justizvollzug – Sozialhilfe auch eine gute Empfehlung, die von der SKOS und dem KKJPD 2015 ausgearbeitet wurde. https://skos.ch/skos-richtlinien/praxishilfen/merkblaetter-und-empfehlungen/ Im Handbuch ist festgehalten, dass folgende Ansätze für Personen, die einen ordentlichem Anspruch auf Sozialhilfe haben, gelten. Dabei wird noch unterschieden zwischen Untersuchungshaft oder ordentlicher Straf- und Massnahmenvollzug, was ich aus Ihrem Beschrieb nicht ganz entnehmen kann. Pauschalen für Untersuchungshaft: CHF 200.00; für den Strafvollzug: CHF 255.00 und für den Massnahmenvollzug: CHF 390.00.

Unter C.4.1.8 Luzerner Handbuch findet sich etwas zur Mietzinsübernahme ab Eintritt in den Strafmassnahmenvollzug. Zur Haft findet sich nichts. Ich bin jedoch der Ansicht, dass sich diese Grundsätze gut auch auf die Haft übertragen lassen. Erfolgte der Eintritt kurzfristig und war er nicht planbar, werden zu Lasten der wirtschaftlichen Sozialhilfe die Kosten für maximal 3 Monatsmieten übernommen. Sofern der Aufenthalt von unbestimmter Dauer ist, können ebenfalls maximal 3 Monatsmieten sowie die Kosten für die Räumung der bisherigen Wohnung übernommen werden. Im Einzelfall (hier kommt es auf eine gute Begründung an), können auch Lagerkosten via wirtschaftliche Hilfe bewilligt werden. Falls ein Interesse der Gemeinde daran besteht, das Mietverhältnis zu sichern, können (müssen aber nicht) auch mehr als drei Monatsmieten übernommen werden. Beispiele wären hier die kurze Überbrückung mit Sozialhilfe wenn der Haftaustritt klar ist und wenn die Miete günstig ist. Auch hier lohnt sich schon beim Antrag eine gute Begründung und ein Beleg, auf wann der Haftaustritt geplant ist, sofern das klar ist.

Zur medizinischen Grundversorgung führt das Handbuch unter C.5.1 aus, dass Krankenkassenprämien gemäss Art. 3 Ziff. 2b Zuständigkeitsgesetzt (ZUG) keine wirtschaftliche Sozialhilfe darstellen. Normalerweise ist zunächst durch den Sozialdienst die maximale Prämienverbilligung zu bevorschussen und unverzüglich ein Antrag auf Prämienverbilligung zu stellen. Da Ihr Klient aber EL bezieht, hat er grundsätzlich keinen Anspruch darauf. Sofern der Gefängnisaufenthalt mit einem klaren Ende beziffert werden kann, macht eine Anmeldung wohl wenig Sinn, da danach die Prämien wieder via EL laufen. Dies würde ich in der Anmeldung so vermerken, mit Vermerk auf §5 Abs. 1 SHG LU. C.5.2 legt fest, dass die ordentliche Jahresfranchise von CHF 300.00 und die Selbstbehalte von 10 % im Rahmen der wirtschaftlichen Sozialhilfe übernommen werden. C.6.5 legt zudem fest, dass Kosten, die nicht in der obligatorischen Krankenversicherung eingeschlossen sind, aber zur materiellen Grundsicherung gehören, zu übernehmen sind. Dies wären beispielsweise notwendige Zahnbehandlungen.

Bezüglich grundversorgender situationsbedingter Leistungen verweise ich Sie gerne auf Kapitel 6 im Handbuch, da es hier diverse gibt, die allenfalls noch in Frage kommen könnten. https://disg.lu.ch/-/media/DISG/Dokumente/Themen/Sozialhilfe/Luzerner_Handbuch_Sozialhilfe/2021_Luzerner_Handbuch_Version_10_Anpassung_Pauschale_U_Haft_Straf_und_Massnahmenvollzug.pdf?la=de-CH

Sobald die Leistungen der IV und EL wieder fliessen und sich damit die Verhältnisse ändern, wird die Sozialhilfe angepasst oder in Ihrem Falle eingestellt (§10 Abs. 1 SHG LU). Sofern sich die finanzielle Lage Ihres Klienten gebessert hat und ihm eine Rückerstattung zumutbar ist, so sind diese rechtmässig bezogenen Sozialhilfegelder zurückzuerstatten (§38 Abs. 1 SHG LU). Genauere Bestimmungen gibt es weder im Gesetz noch in der Verordnung, das Luzerner Handbuch verweist auch hierfür auf die SKOS-RL (E.2.1).

Ich hoffe, Ihnen mit meinen Antworten weitergeholfen zu haben. 

Freundlich grüsst

Cathrin Habersaat