Guten Tag Herr Pärli
Ich begleite eine Klientin im Rahmen meiner Funktion als Sozialarbeiterin in der Betrieblichen Sozialberatung. Die Klientin wurde am Arbeitsort sexuell belästigt (Filmen beim umziehen). Leider hat der potentielle Täter nicht gestanden, so dass nicht mit 100%iger Sicherheit festgestellt werden konnte, wer die Aufnahmen gemacht hat.
Die Betroffene hat in einem längeren Prozess entschieden, nicht an den Arbeitsplatz zurückzukehren. Vorgängig hat es RT mit dem Arbeitgeber gegeben und ihr wurde eine Stelle in einer anderen Abteilung angeboten. Sie hat sich dort aber nicht wohl gefühlt und sich entschieden, nach einer anderen Arbeittstelle zu suchen.
Sie hat daraufhin mit dem Arbeitgeber vereinbart, dass Sie auf den 30.04.21 kündigt. Der Arbeitgeber hat ihr schriftlich zugesichert, dass er einen Brief ans Rav schreibt, warum es zur Kündigung gekommen ist, falls Sie auf Taggeldleistungen angwiesen sein sollte und Einstelltage verfügt werden sollten.
Die Klientin wurde nach dem Vorfall krank geschrieben und ist nun auch noch bis am 13.06. AUF. Meine Klientin möchte nicht mehr an den Arbeitsplatz zurückkehren, weil nur die Option besteht, wieder im gleichen Team mit dem Täter zu arbeiten. Der Arbeitgeber ist nun der Meinung, dass er weiterhin ein Arztzeugnis von ihr braucht (bis Ende Juli) und es sonst zu einer vorzeitigen Vertragsauflösung kommt. Eine Freistellung sei nicht möglich.
Nun zu meinen Fragen:
- Laut OR sollte eine Freistellung auf Wunsch des Arbeitnehmers möglich sein, wenn gewichtige Gründe dafür sprechen. Aus meiner Sicht wären diese gegeben. Gibt es dazu rechtliche Grundlagen/Gerichtsentscheide?
- Ist es ein Nachteil (nebst den möglichen Einstelltagen beim Rav), dass meine Klientin gekündigt hat? Die Sperrfrist ist abgelaufen, weil sie nur ein Jahr dort gearbeitet hat.
Besten Dank für Ihre Hilfe!
Frage beantwortet am
Kurt Pärli
Expert*in Arbeitsrecht
Sehr geehrte Frau Nikles
Gerne beantworte ich Ihre Fragen wie folgt:
Sie sprechen die Möglichkeit einer Freistellung "auf Wunsch des Arbeitnehmers" an. In dieser Form gibt es kein entsprechendes Recht. Allfällige Rechtsgrundlage eines Lohnanspruches ohne Arbeitsleistung bildet Art. 324 OR. Demnach ist der Arbeitgeber zur Lohnzahlung verpflichtet, wenn die Arbeit wegen Verschulden des Arbeitgeber nicht geleistet werden kann. Ein solches Verschulden kann auch darin bestehen, dass die Arbeitnehmerin an ihrem Arbeitsplatz sexuell belästigt wird und der Arbeitgeber nicht die erforderlichen Massnahmen zur Abhilfe schafft. Gemäss Sachverhalt hat der Arbeitgeber ihrer Klientin einen anderen Arbeitsplatz angeboten. Sofern auch während der Kündigungsfrist die Arbeit in dieser anderen Abteilung möglich ist, ist ihrer Klientin zu raten, dieses Angebot anzunehmen. Etwas heikler ist es, wenn während der Kündigungsfrist wiederum in der gleichen Abteilung und im Beisein des (möglichen) Täters gearbeitet werden müsste. Hier ist fraglich, ob eine solche Arbeit zumutbar ist. Sinnvollerweise bietet Ihre Klientin die Arbeitsleistung an, verweist aber darauf, dass Sie aus Gründen der Vorkomnisse nicht bereit ist, mit Person X. zuzusammenzuarbeiten.
Wenn Ihre Klientin die Arbeit anbietet und der Arbeitgeber keine Flexibilität hinsichtlich Zusammenarbeit mit X. zeigt, wird er sich überlegen müssen, was er machen will. Eine fristlose Kündigung wäre eine Option (man kann auch ein bereits gekündigtes Arbeitsverhältnis noch fristlos künden). Hierzu stehen aber die Chancen des Arbeitgebers m.E. schlecht. Eher wird der Arbeitgeber mangels erbrachter Arbeitsleistung einfach den Lohn nicht ausrichten.
Soweit sich dies aus medizinischer vertreten lässt, ist der Weg der gesundheitlichen Arbeitsunfähigkeit und damit Verbunden dem Anspruch auf Taggeldleistungen zieführender. Im Fall einer Arbeitslosigkeit ist allerdings zu bedenken, dass auf den Zeitpunkt der Arbeitslosigkeit der Gesundheitszustand die Arbeitsunfähigkeit nicht grundsätzlich, sondern höchstens noch vorübergehend einschränken sollte, ansonsten fehlt es an der Vermittlungsfähigkeit, was zum Dahinfallen des Anspruchs führen würde.
Die Kündigung durch die Arbeitnehmerin selbst kann hinsichtlich der Arbeitslosenversicherung als Fehlverhalten ausgelegt und santioniert werden. Wie weit das Schreiben der Arbeitgeberin hilft, ist schwierig einzuschätzen. Weitere Nachteile hat die Kündigung nicht.
Genügen Ihnen diese Auskünfte?
mit Dank für die Kenntnisnahme & freundlichen Grüssen
Kurt Pärli