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Sexuelle Belästigung

Veröffentlicht:
25.02.2021
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Arbeitsrecht

Sehr geehrter Herr Pärli

Als Arbeitgeber und Institutionsleiter bin ich gesetzlich dazu verpflichtet Mitarbeiter vor sexueller Belästigung zu schützen. Ich muss Massnahmen ergreifen, die dazu geeignet sind, sexuelle Belästigung von Anfang an zu verhindern. Diese sollen ein Arbeitsklima schaffen, das die persönlichen Grenzen der Mitarbeitenden respektiert und sexuelle Belästigungen am Arbeitsplatz stoppt.

Im untenstehenden Text werden einige Vorfälle skizziert die ein Mitarbeiter mir zukommen liess. Wie schätzen sie die Sachlage dazu ein? Handelt es sich um eine Grenzüberschreitung die eine Abmahnung rechtfertigt? Zum Teil fanden die Gespräche/Vorfälle im Privaten statt. Tangieren diese Vorfälle auch den geschäftlichen Bereich und somit meine Pflicht den Arbeitnehmer zu schützen?

Wo ist die Grenze zwischen akzeptabler Ironie/leicht despektierlichen Äusserungen und Mobbing?

Welches Vorgehen würden sie vorschlagen?

 

Hier die schriftliche Rückmeldung des betreffenden Mitarbeiters:

 

  • Am schwierigsten für mich sind wiederholende respektlose, despektierliche Äusserungen & (nonverbale) Gesten (z.B.: Ein verächtliches Lachen mit gleichzeitiger Hand vor den Kopf schlagen in der TS als ich meine Befindlichkeit äussere / 11.2.) von RS mir gegenüber. Dies äussert sich vor allem in Gruppendynamiken und nicht in Situationen, in denen wir nur zu zweit sind. Zu zweit ist das Verhalten sehr charmant und freundlich. Dieses Verhalten kann aber radikal innerhalb von wenigen Minuten umschlagen.

 

Sehr schwierig & überfordernd für mich ist, dass dies aus meiner Wahrnehmung her subtil passiert und nicht offen & direkt. Dies macht eine direkte Klarstellung (wie in einem "normalen" Konflikt) für mich viel schwieriger.

Ich denke dieses Verhalten kommt daher, dass ich viele Angebote/Einladungen in der Vergangenheit von ihr ausgeschlagen habe bzw. nicht darauf eingegangen bin. Dies kann ev. zu einer (narzisstischen) Kränkung geführt haben, die sich in Aggression umwandelt.

 

Hier einige Beispiele:

 

  • Sommer 2019: Kurz vor dem Sommerlager rief sie mich abends an und fragte, ob ich denn nicht jetzt sofort zu ihr kommen könne. Ich verneinte, da ich am Packen fürs Lager war und keine Lust hatte. Später rief sie wieder an und sagte, dass sie jetzt zu mir nach Bern komme. Ich verneinte vehement am Telefon, dass ich dies nicht möchte und das nicht geht. Sie blieb dann zu Hause. Diese Telefongespräche gingen über 2h und dabei erzählte sie intimste & persönlichste Dinge, so dass das Abhängen fast nicht möglich war.

 

  • Sie suchte via Whatsapp den Kontakt und lud mich z.B. für Konzerte von ihrem Freund ein, schickte mir nachts Bilder von ihr und lud mich bei ihr zu Hause ein.

 

  • Bei der Arbeit suchte sie Kontakt, indem sie mit mir ein Feierabendbier trinken gehen wollte. Ich reagierte daraufhin mit Weglaufen. Sie beharrte darauf und kam mehrmals penetrant mit dem Thema auf mich zu.

 

  • Auf gewisse Äusserungen konnte ich direkt reagieren. Z.B. äusserte RS einmal, dass ich ja so "verpeilt" sei. Ich sagte ihr daraufhin im gleichen Moment, dass ich irritiert bin und fragte, was sie damit meine. Diese Äusserung meinerseits schien sie sehr zu irritieren und zu verunsichern, sie sagte, dass sie ja auch verpeilt sei und ja nicht alle so sein könnten und sie so gerne mit mir arbeite. Ich äusserte ihr, dass ich mich nicht als "verpeilt" ansehe und andere Feedbacks diesbezüglich bekomme.

 

Diese Grenzsetzung brachte allerdings nicht sehr viel, ihr despektierliches Verhalten ging kurz darauf wieder weiter.

 

Ich fühle mich überfordert, da ich so ein Verhalten von Arbeitskolleg*innen noch nie erlebte. In diesem Gespräch geht es mir darum klarzustellen, dass ich einen respektvollen Umgang (=Sozialkompetenz) von ihr erwarte. Für mich sind die respektlosen Äusserungen & Gesten auf einer persönlichen Ebene und nicht auf einer (respektvollen) Fachebene.

Es ist allerdings schwierig, ganz konkret zu werden, da dieses Verhalten so subtil geschieht.

Für die Zukunft sehe ich keine Möglichkeit, z.B. Lager gemeinsam gestalten zu können. Dies auch, weil ich mich schützen möchte. Für mich ist das Arbeiten unter diesen Umständen schwierig und belastend geworden.

 


Freundliche Grüsse

J.P

Frage beantwortet am

Kurt Pärli

Expert*in Arbeitsrecht

Sehr geehrter Herr Pieper

Die Beantwortung ihrer Frage ist sehr anspruchsvoll und das Vorgefallene zeigt sowohl die Grenze als auch die Möglichkeiten des Rechts auf.

Die allgemeine rechtliche Ausgangslage dürfte Ihnen bekannt sein, hier einfachnochmals das Wichtigste zusammengefasst:

- Art. 6 Abs. 1 Arbeitsgesetz verpflichtet die Arbeitgeberin, zum Schutze der Gesundheit der Arbeitnehmer alle Massnahmen zu treffen, die nach der Erfahrung notwendig, nach dem Stand der Technik anwendbar und den Verhältnissen des Betriebes angemessen sind. Er hat im weiteren die erforderlichen Massnahmen zum Schutze der persönlichen Integrität der Arbeitnehmer vorzusehen.

- Die Wegleitung des SECO zu Art. 6 ArG konkretisiert das Ganze wie folgt: Der  Gesundheitsschutz  umfasst  sowohl  die  phy- sische  als  auch  die  psychische  Integrität  
der  Ar- beitnehmer und Arbeitnehmerinnen. Vom Arbeit- geber kann beispielsweise verlangt werden, dass er  im  Betrieb  Massnahmen  gegen  psychosoziale Missstände wie Mobbing oder andere Formen der Belästigung ergreift.
Der Schutz der persönlichen Integrität der Arbeit nehmer und Arbeitnehmerinnen im Arbeitsgesetz entspricht dem Schutz der Persönlichkeit in Artikel 328 des Obligationenrechts. Die Verankerung dieses Schutzes im öffentlichen Arbeitsrecht verstärkt dessen Wirkung im Hinblick darauf, dass die Rechtswege im öffentlichen und im privaten Recht verschieden sind. Auf Grund des vorliegenden Absatzes  kann  der  Arbeitnehmer  oder  die  Arbeitnehmerin  die  Vollzugsorgane  des  Arbeitsgesetzes darum bitten, die notwendigen Massnahmen beim Arbeitgeber durchzusetzen. Der Arbeitnehmer  oder  die  Arbeitnehmerin  muss  sich  somit nicht selber mit dem Arbeitgeber auseinander setzen oder gegen diesen einen Prozess anstrengen. Massnahmen  zur  Erhaltung  der  physischen  Gesundheit der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerin- nen können andererseits selber ihrer persönlichen Integrität abträglich sein. Zu denken ist dabei be- sonders an die Verpflichtung zu einer medizinischen Eignungsuntersuchung der Arbeitnehmenden, um sie zu bestimmten Formen der Nachtarbeit
zuzu- lassen.  Diese  Beeinträchtigung  der  persönlichen Integrität lässt sich nur rechtfertigen
beim Vorliegen gewichtiger Gründe.

- Wie auch die Wegleitung erwähnt, ist die Arbeitgeberin auch aufgrund von ARt. 328 OR vertraglich verpflichtet, die Persönlichkeit des Arbeitnehmers zu achten und zu schützen.

- zudem verpflichtet das Gleichstellungsgesetz (GlG) die ARbeitgeberin zu wirksamer Prävention gegen sexuelle Belästigung. Art. 4 GlG stellt die sexuelle Belästigung als Form der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts dar und das GlG gewäht dem sexuel belästigten Arbeitnehmer bzw. der sexuell belästigten Arbeitnehermin eine Pönalentschädigung von bis zu drei Monatslöhnen, wenn er ((oder sie) sexuell belästigt wurde und der Arbeitgeber nicht alles Notwendige getan hat, um die Belästigung zu verhindern.

Was muss die Arbeitgeberin konkret tun, um nicht haftbar gemacht zu werden (Gerichtspraxis):

- Aufklärung der Belegschaft,

- eine klare Botschaft, dass der Betrieb sexuelle Belästigung nicht toleriert und bei Verstössen arbeitsrechtliche Konsequenzen zieht

- die Bezeichnung einer Vertrauensperson als Anlaufstelle für von Belästigungen Betroffene.

Was ist aber nun eine sexuelle Belästigung? Eine klare gesetzliche Definition fehlt, nach der Gerichtspraxis ist eine sexuelle Belästigung jedes Verhalten mit sexuellem Bezug, das von der belästigtenPerson als unerwünscht empfunden wird. Es kommt nicht darauf an, was die belästigendePerson mit der sexuellen Belästigung erreichen will oder auf welcheArt belästigt wird. Von Bedeutung ist vielmehr, ob Sie sich durch die Handlung belästigt fühlen. Ist ein bestimmtes Verhalten unerwünscht und wird als störend empfunden, dann stellt dies eine Belästigung dar. Sexuelle Belästigungen können nicht nur durchTätlichkeiten sondern auch durch Worte und Gesten begangenwerden.

Ist nur Belästigung am Arbeitsplatz von den gesetzlichen Regelungen erfasst? Die Frage ist nicht so einfach zu beantworten. Soweit die Belästigung zwar in der Freizeit stattfindet, sich aber auf das Arbeitsverhältnis auswirkt, steht die Arbeitgeberin auch hier in der Pflicht, das Geeignete zu tun, um Abhilfe zu schaffen.

Weiterführende Informationen finden Sie hier:

https://www.seco.admin.ch/seco/de/home/Publikationen_Dienstleistungen/Publikationen_und_Formulare/Arbeit/Arbeitsbedingungen/Broschuren/sexuelle-belaestigung-am-arbeitsplatz---ein-ratgeber-fuer-arbeit.html

und:

https://www.seco.admin.ch/seco/de/home/Publikationen_Dienstleistungen/Publikationen_und_Formulare/Arbeit/Arbeitsbedingungen/Broschuren/sexuelle-belaestigung-am-arbeitsplatz---informationen-fuer-arbei.html

 

Aufgrund all dieser Informationen sollten Sie einschätzen können, welche Schritte Sie als Verantworltlicher der Arbeitgeberin in einem Fall wie dem vorliegenden unternehmen müssen.

Reichen Ihnen diese Auskünfte? Mit Dank für die Kenntnisnahme und freundlichen Grüssen

Kurt Pärli