Sehr geehrte Frau Anderer
Sehr geehrter Herr Vogel
Ich habe eine Frage zu der Schweigepflichtsentbindung. Die Eltern sind getrennt und haben das gemeinsame Sorgerecht, die Obhut ist bei der Mutter. Eine Psychologin führt im Auftrag der Mutter eine psychologische Abklärung durch und möchte dazu mit der Schule des Kindes in Kontakt treten. Die Frage dazu, braucht es rein rechtlich die Unterschrift beider Elternteile um die Schule von der Schweigepflicht zu entbinden, oder reicht die Unterschrift eines Elternteils (der Mutter)? Folgend, falls es beide Unterschriften brauchen würde und der Kindsvater diese verweigern würde, was könnte die Psychologin als nächstes machen um an die Informationen zu gelangen? Gibt es dazu gesetzliche Artikel betreffend der Schweigepflichtsentbindung, wann es z.B. die Unterschriften beider Elternteile benötigt und wann nicht?
Vielen Dank für die Beantwortung der Frage
Frage beantwortet am
Karin Anderer
Expert*in Kindes- und Erwachsenenschutz
Guten Tag
Die sorgeberechtigten Eltern üben die Vertretung des Kindes gleichberechtigt und im Einvernehmen aus. Eine Alleinentscheidungskompetenz verleiht das Gesetz nicht, mit Ausnahme der alltäglichen und dringlichen Angelegenheiten, oder wenn der andere Elternteil nicht mit vernünftigem Aufwand zu erreichen ist (BK-Affolter/Vogel, Art. 304 N 51). Nach Art. 304 Abs. 1 ZGB haben die Eltern von Gesetzes wegen die Vertretung des Kindes gegenüber Drittpersonen im Umfang der ihnen zustehenden elterlichen Sorge.
Den Auftrag zur psychologischen Abklärung hat die Mutter erteilt. Ob der Vater diese Entscheidung mitträgt, das geht aus dem Sachverhalt nicht hervor.
Nach Art. 304 Abs. 2 ZGB dürfen gutgläubige Drittpersonen bei gemeinsamer Sorge voraussetzen, dass jeder Elternteil im Einvernehmen mit dem andern handelt. Welche Aufmerksamkeit verlangt wird, damit der gute Glaube geschützt wird, lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen (BK-Affolter/Vogel, Art. 304 N 52). Wenn die Psychologin weiss oder erahnen kann, dass sich die Eltern hier nicht einig sind, liegt kein guter Glaube vor.
Da es sich um eine psychologische Abklärung handelt, empfehle ich der Psychologin, die unter das Berufsgeheimnis nach Art. 321 StGB fallen könnte, die einvernehmliche Vertretung zu prüfen. Im Zweifel hat sie die Schweigepflichtentbindung von beiden Eltern einzuholen.
Wenn ohne psychologische Abklärung eine Kindeswohlgefährdung entstehen könnte und der Vater die notwendige Zustimmung trotzdem verweigert, ist die KESB anzurufen. Selbstredend sollten die Eltern zuvor auf ihre Elternrolle, die das Wohl des Kindes im Blick hat, sensibilisiert werden.
Nicht erforderlich ist die Vertretung der Eltern, wenn das Kind diesbezüglich urteilsfähig ist; es handelt sich bei der Einwilligung in eine psychologische Abklärung, samt Datenaustausch, um ein relativ höchstpersönliches Recht nach Art 19c Abs. 1 ZGB.
Ich hoffe, die Angaben Sind nützlich und ich grüsse Sie freundlich.
Luzern, 8.11.2011
Karin Anderer