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Schnittstelle Justiz - Krankenkasse - Sozialhilfe (BE)

Veröffentlicht:
14.11.2019
Kanton:
Bern
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Sozialhilferecht

Liebes Team 

wir haben folgende Anfrage:

Ein Klient hat eine ordentliche Verwahrung erhalten und wird vermutlich bis an sein Lebensende im Strafvollzug bleiben. Nach einem Hirnschlag ist er auf die Unterstützung der Spitex angewiesen. Er war zuerst an einem Ort stationiert, welche über eine Abteilung 60+ verfügen. Diese hat ihn aufgrund seiner mangelnden Mitwirkung und Ausfälligkeiten gegebüber dem Pflegepersonal gekündet.

Nun befindet er sich in einer anderen JVA, welche über keine Pflegeabteilung verfügen. Sie haben die Spitex beauftragt. Nun stellt sich die Frage wer die Kosten zu tragen hat. Die KVG  hat die Übernahme der grundpflegerischen Leistungen abgelehnt mit folgender Begründung: «Nach Prüfung kommen wir zum Schluss, dass die beantragten grundpflegerischen Leistungen im Rahmen der Vollzugskosten durch den Staat finanziert sind.»

Was bedeutet dies nun?

Es könnte heissen, dass der Kanton Luzern, welcher die höchste Strafe verhängt hatte, die Kosten zu tragen hat.

Ist es die Sozialhilfe oder die Krankenversicherung?

Die SKOS hat einen Leitfaden herausgegeben. Darin ist folgendes zu finden: 

Das Bundesgericht hat in BGE 106 V 182 (Urteil EVG K 142/04 vom 23. Mai 2006) festgehalten, dass es nicht ausschlaggebend sein kann, ob eine Behandlung „aus freien Stücken“ erfolgt. Das Gesetz kennt denn auch keine Bestimmung, wonach die Versicherungsleistungen lediglich zu erbringen wären, wenn sie freiwillig beansprucht werden. Unter krankenversicherungsrechtlichen Gesichtspunkten macht es deshalb keinen grundsätzlichen Unterschied, ob sich die versicherte Person aufgrund ärztlicher oder richterlicher Anordnung einer medizinischen Behandlung unterziehen muss. Namentlich richtet sich die Dauer der Behandlung auch beim strafrechtlichen Massnahmenvollzug nach der Behandlungsbedürftigkeit der betroffenen Person. Die Kosten einer ambulanten oder stationären Behandlung sind somit auch bei verhafteten oder verurteilten Patientinnen und Patienten als Behandlungskosten und nicht als Vollzugskosten einzustufen, weil die Einweisung aufgrund des Vorliegens einer behandlungsbedürftigen Krankheit erfolgt und der Gesundheitszustand der betroffenen Person eine ambulante oder stationäre Behandlung erfordert.

Aus Mitteln des Justizvollzugs werden deshalb nur diejenigen Kosten getragen, welche: - für die Sicherstellung des Zugangs der Insassen zur medizinischen Versorgung und die Bereitstellung der notwendigen Infrastruktur (z.B. Behandlungsräumlichkeiten) aufgewendet werden,  - durch die Sicherstellung der Bewachung von flucht- oder gemeingefährlichen Personen während einer stationären Behandlung durch ein Spital oder eine psychiatrische Klinik entstehen (sog. Sicherheits- oder Bewachungszuschlag bzw. Justizanteil), - unmittelbar mit der Durchführung des Straf- oder Massnahmenvollzugs zusammenhängen oder durch diesen verursacht werden. Darunter fallen beispielsweise die Kosten für die allfällige medizinische Eintrittsuntersuchung von Gefangenen, die Kosten für Gutachten betreffend Hafterstehungsfähigkeit oder Berichte von Psychologen und Psychiatern über den Verlauf einer stationären oder ambulanten Behandlungsmassnahme oder Kosten für Urinproben auf Drogen während des Vollzugs, - Aufwendungen für die Folgen von Unfällen während des Vollzugs. Die Kosten einer ambulanten oder stationären Behandlung mit medizinischer Indikation werden grundsätzlich über die obligatorische Krankenversicherung finanziert.

Dies würde wohl eher dafür sprechen, dass die Krankenkasse die Kosten zu begleichen hat.

Besten Dank für Ihre Unterstützung. 

Freundliche Grüsse

Sabine Bauer 

Frage beantwortet am

Anja Loosli

Expert*in Sozialhilferecht

Sehr geehrte Frau Bauer

Vielen Dank für Ihre Frage. Ich beantworte diese gerne wie folgt:

Nach Art. 7 der Verordnung des EDI über Leistungen in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (Krankenpflege-Leistungsverordnung KLV, SR 832.112.31) werden als von der Krankenkasse zu finanzierende Leistungen Massnahmen der Untersuchung und der Behandlung von Organisationen der Krankenpflege und Hilfe zu Hause (Art. 51 KVV) anerkannt, die ärztlich angeordnet sind oder in ärztlichem Auftrag erbracht werden. Die Spitex ist als Organisation der Krankenpflege anerkannt.

Daraus folgt, dass die Pflegeleistungen der Spitex grundsätzlich von der Krankenkasse zu übernehmen sind, auch wenn sich eine Person in Haft befindet, so wie dies auch im Merkblatt "Schnittstelle Justizvollzug - Sozialhilfe" der SKOS aus dem Jahre 2015 steht.

Aus dem von Ihnen geschilderten Sachverhalt ersehe ich aber ein Problem. Sie schreiben:"Sie haben die Spitex beauftragt". Dies erweckt den Eindruck, dass die Pflege durch die Spitex nicht ärztlich sondern von der Einrichtung angeordnet ist. In diesem Fall muss die Krankenversicherung die Pflegekosten tatsächlich nicht übernehmen. Es bedarf nach Art. 7 KLV zwingend einer ärztlichen Anordnung bzw. einem ärztlichen Auftrag. Eine solche Anordnung müsste vom Klienten oder der Anstalt erhältlich gemacht werden. Will die Krankenkasse dann immer noch nicht bezahlen, kann nach Art. 49 Abs. 1 des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG, SR 830.1) der Erlass einer anfechtbaren Verfügung verlangt werden. Dies hat der Versicherte bzw. allenfalls sein Beistand - falls er einen solchen hat - oder die Anstalt in Vertretung des Versicherten zu tun.

Was ist, wenn der Versicherte bzw. die Anstalt keine anfechtbare Verfügung der Krankenkasse verlangt oder eine solche nicht anficht, wenn die Krankenkasse trotz ärztlicher Anordnung der Pflege nicht bezahlen will? Muss dann die Soziahilfe bezahlen?

In § 9 des Sozialhilfegesetzes des Kantons Bern (SHG BE, BGS 860.1) ist das Prinzip der Subsidiarität verankert. In Abs. 2 steht, dass Subsidiarität bedeutet, dass Hilfe nur gewährt wird, wenn und soweit eine bedürftige Person sich nicht selber helfen kann oder wenn Hilfe von dritter Seite nicht oder nicht rechtzeitig erhältich ist. Daraus folgt, dass die Sozialhilfe die Pflegekosten nicht übernehmen muss, wenn der Klient bzw. seine Vertretung sich weigert, die Leistungen korrekt bei der Krankenversicherung - also mittels ärztlicher Anordnung - erhältlich zu machen und eine allenfalls abschlägige Verfügung anzufechten. Dies ist dem Klienten bzw. seiner Vertretung von der Sozialhilfe so früh wie möglich mitzuteilen. Werden die Leistungen ordnungsgemäss verlangt, bezahlt die Krankenkasse aber noch nicht, kann die Sozialhilfe im Sinne des Subsidiaritätsprinzips Vorleistung erbringen, die Leistungen aber zurückverlangen, sobald sie fliessen (Art. 40 Abs. 3 SHG BE).

Falls die Krankenkasse die Pflegeleistungen der Spitex bezahlt, gilt es noch eines zu bedenken, falls der Klient bedürftig ist (dies schliesse ich aus Ihren Ausführungen). Die Kosten für die Krankenkassenprämien (soweit sie nicht durch die Prämienverbilligung gedeckt sind), die Franchisen und die Selbstbehalte sind von der Sozialhilfe grundsätzlich zu übernehmen (Art. 8h Abs. 1 der Verordnung über die öffentliche Sozialhilfe [Sozialhilfeverordnung, SHV, BGS 860.111], Sozialhilfehandbuch BKSE, Eintrag Krankenversicherung nach KVG), auch wenn im Übrigen die Krankenkasse die Kosten übernimmt.

Ich hoffe, Ihnen mit meiner Antwort weiterhelfen zu können.

Freundliche Grüsse

Anja Loosli Brendebach