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Scheidung: Sozialhilfe für Ehefrau und Kinder, weil Ehemann IV-Anmeldung verweigert?

Veröffentlicht:
08.02.2019
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Kindes- und Erwachsenenschutz

Sehr geehrte Damen und Herren
Gerne möchte ich eine Anfrage zu einem Fall aus dem Kanton St. Gallen stellen.
Meine Klientin ist Mutter von drei minderjährigen Kindern. Sie hat sich nach jahrelanger häuslicher Gewalt von ihrem Ehemann getrennt. Zwei der Kinder haben das Aspergersyndrom, ein Kind ist aufgrund der traumatisierenden Erlebnisse in der Familie schwer psychisch krank. Der Ehefrau ist es aufgrund der hohen Betreuungsintensität dieser Kinder aktuell (noch) nicht möglich, einer Berufstätigkeit nachzugehen.
Der Ehemann hat kurz vor der Trennung seine frühere Anstellung als Projektleiter einer Fensterfirma, bei der er einen Bruttoverdienst von Fr. 7'000.- hatte, aus betrieblichen Gründen verloren. Er bezog Taggelder der Arbeitslosenkasse, bis er vor kurzem eine Anstellung als Verkäufer in einem Baumarkt angenommen hat, bei der er Fr. 3'500.- brutto verdient. Die Ehefrau und die Kinder beziehen Sozialhilfe.
Im Rahmen der Scheidungsverhandlung vertritt der Kindsvater die Position, er könne für seine Frau und die Kinder keinerlei Unterhaltszahlungen leisten. Es sei ihm aus gesundheitlichen Gründen nicht zumutbar, eine Anstellung im angestammten Beruf anzunehmen. Er hat ein ärztliches Attest, das ihm eine 50%ige Arbeitsunfähigkeit im angestammten Beruf wegen Rückenproblemen bescheinigt.
Bei diesem Sachverhalt hätte der Kindsvater mutmasslich Anspruch auf Leistungen der IV, und sollte ihm tatsächlich eine Teilrente zuerkannt werden, hätten die Kinder Anspruch auf IV-Kinderrenten und Ergänzungsleistungen. Jedoch äussert der Kindsvater, er habe keine Lust, sich bei der IV anzumelden.
Für die Kindsmutter bedeutet dies, dass sie und die Kinder weiterhin von Sozialhilfe abhängig sein werden und mangels Leistungsfähigkeit des Kindsvaters auch kein Anrecht auf Alimentenbevorschussung besteht.
Meine Frage lautet nun: Ist es zulässig, dass ein (mutmasslicher) sozialversicherungsrechtlicher Anspruch des Kindsvaters nicht geltend gemacht wird, wenn daraus im Rahmen des Scheidungsverfahrens klar eine finanzielle Schlechterstellung der Kinder (und auch der Kindsmutter) resultiert?
Herzlichen Dank im Voraus für Ihre Antwort,
Christiane Klug
Berufsbeiständin

Frage beantwortet am

Karin Anderer

Expert*in Kindes- und Erwachsenenschutz

Sehr geehrte Frau Klug
Beim nachehelichen Unterhalt (Art. 125 ZGB) spielt u.a. die Leistungsfähigkeit des zu Unterhalt Verpflichteten eine Rolle. Unter bestimmten Voraussetzungen kann ein hypothetisches Einkommen angerechnet werden, sofern dieses zu erreichen zumutbar und möglich ist (BGE 137 III 118 ). Die Vorbringen des Ehemannes sind Gegenstand der Scheidungsverhandlung und das Gericht muss über das ärztliche Attest und die Verweigerung des Ehemannes, sich bei der IV anzumelden, in Kenntnis gesetzt werden. Das Gericht kann den Ehemann auffordern, sich bei der IV anzumelden. Ob eine Anrechnung eines hypothetischen Einkommens möglich ist und wie hoch der nacheheliche Unterhalt ausfallen wird, wird sich dann zeigen. Es ist der Ehefrau jedenfalls sehr zu empfehlen, sich anwaltlich vertreten zu lassen; als sozialhilfebeziehende Person kann sie einen Antrag auf unentgeltliche Rechtspflege stellen.
Wurden in einem Eheschutzurteil oder in einem Scheidungsurteil Kinderunterhaltsbeiträge festgelegt, so sind diese, unter den gegeben Voraussetzung, bevorschussbar. Konnten keine Kinderunterhaltsbeiträge festgelegt, kann keine Bevorschussung erfolgen. Ehegattenunterhalt wird im Kanton St. Gallen nicht bevorschusst.
Der Herr kann ansonsten nicht gezwungen werden, sich bei der IV anzumelden. Zwar sind auch gewisse Drittpersonen berechtigt, ihn zur Früherfassung bei der IV anzumelden (vgl. das Merkblatt 4.01 Leistungen der IV, Ziffer 4, auf https://www.ahv-iv.ch/p/4.01.d). Sperrt er sich aber und verweigert er seine Mitwirkung, können keine Leistungen festgelegt werden. Auf einen späteren Leistungsanspruch kann das für ihn aber nachteilige Folgen haben, u.a. kann eine Kürzung oder eine Leistungsverweigerung erfolgen.
Ich hoffe, die Angaben sind nützlich und grüsse Sie freundlich
Luzern, 12.2.2019
Karin Anderer

Guten Morgen, Frau Anderer
Ihre Antwort ist für meine Klientin sicher sehr hilfreich. Ich bedanke mich vielmals.
Freundliche Grüsse,
Christiane Klug