Wir haben eine Anfrage von einer Person welche aus dem Ausland stammt und von dort einen Arzttitel hat. Er lebt von SH und ist bei der IV angemeldet. Die IV hatte ihm einen SRK-Pflegehelferkurs als Frühintervention zugesprochen, welcher wegen Corona nicht stattfand. Später war das Angebot scheints verwirkt. Der SD zahlte den Kurs nicht, da die IV zuständig sei - obwohl er nach dem Kurs vom SD abeglöst werden könnte.
Die IV liess sich Zeit mit Massnahmen, Private boten ihm an, den Kurs zu bezahlen, vom SD aus wurde ihm klargemacht, dass sie ihm wegen Pflichtverletzung 260.- / Mt. abziehen werden, wenn er den Kurs mache - da er ja in der Zeit nicht für IV-Massnahmen zur Verfügung stehe.
Er will nichts anderes, als mit dem Kurs starten, um finanziell auf eigenen Füssen zu stehen. Die IV bietet ihm ein Belastbarkeitstraining an übers Job Coach Placement. Doch er braucht kein Belastbarkeitstraining, er braucht eine Stelle. Er wagt es und startet den Kurs, erhält sofort einen Praktikumsplatz. Die Sanktion wird ihm nicht erlassen.
Integrationszulage und Billette für den Arbeitsweg erhält er. Dies ist einbisschn ein Wiederspurch.
Da der SRK-Kurs mit den Zielen der SH übereinstimmt und er dadurch einen Praktikumsplatz erhalten hat, sollte es doch zumindest einen Erlass der Sanktion geben, wenn nicht sogar die Bezahlung des Kurses.
Wie sieht die rechtliche Situation hierfür aus?
Frage beantwortet am
Ruth Schnyder
Expert*in Sozialhilferecht
Guten Tag
Gerne beantworte ich Ihre Anfrage.
Massgebend für eine Kürzung ist Art. 36 SHG/BE. Danach ist die wirtschaftliche Hilfe bei Pflichtverletzungen oder bei selbstverschuldeter Bedürftigkeit zu kürzen. In leichten, begründeten Fällen kann von einer Kürzung abgesehen werden. Die Leistungskürzung muss dem Fehlverhalten der bedürftigen Person angemessen sein und darf den absolut nötigen Existenzbedarf nicht berühren. Sie darf nur die fehlbare Person selber treffen. Damit eine Kürzung zulässig ist, muss demnach eine Pflichtverletzung oder eine selbstverschuldete Bedürftigkeit vorliegen. Wenn ich Sie richtig verstehe, hat die Sozialhilfe im vorliegenden Fall eine Kürzung im Umfang von Fr. 260 verfügt, da der Klient mit dem SRK-Kurs begann, weil er sich damit nicht der Eingliederung durch die IV zur Verfügung hielt.
Soweit die Kürzungsverfügung noch mit einem Rechtsmittel anfechtbar ist, kann sie auf dem Rechtsweg auf ihre Rechtmässigkeit überprüft werden lassen. Zunächst stellt sich dabei die Frage, ob diese Pflicht, vom SRK-Kurs zu Gunsten der IV-Eingliederung abzusehen, verhältnismässig ist und die Sozialhilfe in dieser Hinsicht den Sachverhalt ausreichend abgeklärt hat.
Grundsätzlich ist es nicht falsch, wenn die Sozialhilfe sich bei gesundheitlich beeinträchtigten Personen an die Eingliederung der IV hält und von der Klientschaft eine entsprechende Kooperation einfordert. Dennoch entlastet es die Sozialhilfe nicht, einen selbständigen Blick auf die Frage der Integration zu werfen. Im vorliegenden Fall zieht sich die IV-Eingliederung hin – mittlerweile über 2 Jahre -, die IV scheint nicht konsequent zu sein, der Klient hat offensichtlich eigene Ideen für seine Eingliederung, die er vergleichsweise konsequent verfolgt und welche darüber hinaus vor seinem beruflichen Hintergrund zielführend erscheinen sowie von den Kosten und dem zeitlichen Aufwand her niederschwellig und damit mit der Sozialhilfe vereinbar sind. Eine solche Ausgangslage verlangt meiner Meinung nach, dass sich die Sozialhilfe mit der IV-Eingliederung vertiefter auseinandersetzt (insbesondere die betreffenden IV-Akten einholen) und ein eigenes Urteil bildet, wenn sie der IV den Vorrang vor den nicht unrealistischen Plänen des Klienten geben will. Denn von aussen gesehen, scheint die IV-Eingliederung nicht wirklich kohärent zu sein. Hat die Sozialhilfe sich nicht mit der IV-Eingliederung auseinandergesetzt, ist sie ihr vielmehr blindlings gefolgt, könnte der Sozialhilfe der Vorwurf gemacht werden, dass der Sachverhalt nicht vollständig abgeklärt wurde.
Ob die durch Kürzung sanktionierte Pflicht sodann verhältnismässig (Art. 5 BV) ist, ist danach zu beurteilen, ob die Zusammenarbeit der IV geeignet und notwendig ist, die Integration des Klienten zu fördern. Ausserdem müssen die öffentlichen Interessen der Sozialhilfe höher liegen als die privaten Interessen des Klienten (Zumutbarkeit im engeren Sinne). Die Verhältnismässigkeitsprüfung muss mit Blick auf die vom Klienten verfolgten Pläne erfolgen. Bei dieser Frage besitzt die Sozialhilfe einen grossen Ermessensspielraum. Dabei muss die Sozialhilfe ihren Entscheid begründen, eine Abwägung zwischen IV-Eingliederung und persönliche Ziele vornehmen, so dass die Überlegungen nachvollzogen werden können, die zum Vorrang der IV-Eingliederung führten.
Schliesslich stellt sich die Frage, ob die Sozialhilfe die Kürzung vorzeitig beenden muss, wenn der Klient mit seiner Integrationsstrategie nun Erfolg hat. Zur Ausgestaltung der Kürzung sind die SKOS-RL Stand 1.1.21 massgebend, da weder in Gesetz und Verordnungen Regelungen dazu enthalten sind (Art. 8 SHV/BE). In SKOS-RL F.2. Abs. 4 ist eine Aufhebung der Sanktion nur vorgesehen, wenn die Auflage erfüllt wird. Das scheint vorliegend nicht der Fall zu sein. Dieser Punkt müsste aber mit der IV geklärt werden. Allenfalls hat sie zwischenzeitlich ihre Meinung geändert. Andererseits könnte man auch argumentieren, dass aufgrund des Praktikums nun die Pflicht zur Kooperation mit der IV in den Hintergrund getreten ist und diese daher ihre Berechtigung verliert. Damit könnte das Vorgehen des Klienten höher gewichtet werden, insbesondere auch deshalb, weil er damit das gleiche Ziel verfolgt, nämlich die berufliche Integration. Aber auch in dieser Frage besteht ein Ermessensspielraum der Sozialhilfe, der aber gut begründet werden muss und eine Auseinandersetzung mit der Eingliederung der IV und den Plänen des Klienten bedingt. Meiner Meinung nach könnte die Sozialhilfe auch mit den SRK-Kursverantwortlichen Rücksprache halten, soweit das Praktikum bereits begonnen hat, auch mit dem Praktikumsplatz bzw. den dortigen Verantwortlichen. Es geht dabei um eine weitere Sicht, um die Angemessenheit des eingeschlagenen Wegs zu überprüfen. Die Ausrichtung der Integrationszulage ist nicht ein sehr starkes Argument, da meiner Meinung nach die Sozialhilfe keine Handhabe hat, diese zu verneinen. Aber die Finanzierung der Arbeitswegkosten zeugt davon, dass die Sozialhilfe die Bestrebungen des Klienten als notwendig erachtet.
Zusammenfassend gibt es Argumente dafür, dass die Sozialhilfe von der Sanktion absieht. Jedenfalls kommt die Sozialhilfe nicht um eine vertiefte Auseinandersetzung herum.
Ob sie die Kosten für den SRK-Kurz übernehmen muss, ist ebenfalls ein Ermessensentscheid, der sich nach Art. 8i SHV/BE und SKOS-RL C.6.2. richtet. Es würde aber stossend erscheinen, diese nicht zu übernehmen, wenn die Sozialhilfe diesen Eingliederungsweg nun doch als angemessen beurteilt. Will die Sozialhilfe ausserdem die Kosten nicht übernehmen mit der Begründung, dass die IV diese übernehmen müsse, muss die Sozialhilfe darlegen, gestützt auf welche Grundlage die IV verpflichtet ist, die Kosten zu tragen.
Falls die Kürzungsverfügung noch anfechtbar ist, würde sich aus meiner Sicht grundsätzlich eine Überprüfung lohnen. Falls sie bereits rechtkräftig ist, rate ich Ihnen einen Antrag auf Aufhebung aufgrund der veränderten Situation zu stellen.
Ich hoffe, Ihnen damit Ihre Fragen beantwortet zu haben.
Freundliche Grüsse
Ruth Schnyder