Unsere Klientin Frau X. (39) lebt im Kanton Aargau. Sie lebt in einem stabilen Konkubinat mit Herrn Y. Dieser ist erwerbstätig. Die Klientin wurde von Februar 2014 bis Mai 2022 mit materieller Hilfe unterstützt.
Frau X. hat im April 2025 ein Schreiben bekommen vom Sozialdienst mit einer Aufforderung die aktuellen finanziellen Verhältnisse anzugeben sowie eine Ratenvereinbarung zu erstellen. Ich habe darauf reagiert, indem ich den SD darüber informiert habe, dass IV- und EL- Verfügung noch nicht vorliegen und wir entsprechend keine Ratenzahlungen vereinbaren können. Ausserdem habe ich die Gemeinde gebeten, im Hinblick auf künftige Ratenzahlungen kulant vorzugehen, da die Klientin seit zehn Jahren intensiv von ihrem Partner sowohl finanziell als auch pflegerisch unterstützten werden muss, da das vorliegende genetische Leiden lange Zeit von der IV nicht anerkannt worden ist. Der SD hat sich daraufhin bei mir gemeldet, die Klientin werde nicht mehr angeschrieben. Da die Klientin allerdings rückwirkende Zahlungen bekommt gehe ich davon aus, dass diese letzte freundliche Mitteilung nicht korrekt ist.
Details zur materiellen Hilfe in dieser Zeit:
-Juli 2018 bis Oktober 2019: Es wurde ein Budget erstellt und die Klientin je nach Einkommen von Herrn Y. vom SD mit zwischen 100 bis 600 Franken unterstützt
-Nov. 2019 bis April 2022: Herr Y. kam für den Unterhalt der Familie auf
-Mai 2022 bis Juli 2022: Herr Y. hatte ein OP und verdiente etwas weniger – Sozialhilfe ergänzte
Details rückwirkende Zahlungen an Klientin:
Frau X. hat rückwirkend auf 1.5.2024 eine ganze IV-Rente zugesprochen bekommen. Die Ergänzungsleistungen wurden rückwirkend auf Zusprache der Hilflosenentschädigung per 09.2022 berechnet.
Die rückwirkenden Leistungen der EL betragen 45'380 Franken (Sept. 2022 bis Juni 2025)
Die rückwirkenden IV-Leistungen betragen 19'679 Franken (ab 1. Mai 2024)
Die Rückzahlungen der Krankenkasse betragen 6000 Franken.
Meine Frage an Sie: Wieviel Geld kann der Sozialdienst von den rückwirkend gesprochen EL-Leistungen und IV-Leistungen und KK verlangen?
Wie muss ich vorgehen?
Frage beantwortet am
Anja Loosli Brendebach
Expert*in Sozialhilferecht
Guten Tag
Ich bedanke mich für Ihre Frage. Für die rechtlichen Überlegungen verweise ich gerne auf die ausführliche Antwort auf die Frage «Auszahlung rückwirkende IV Leistungen vor Beginn der Unterstützung» vom 6. Mai 2025, die ebenfalls den Kanton Aargau betrifft.
Demnach können gestützt auf § 12 Abs. 1 SPG AG zeitlich identische Leistungen der Sozialhilfe und der Sozialversicherungen verrechnet werden und die Sozialhilfe kann bei Nachzahlungen von Sozialversicherungsleistungen die von ihr für denselben Zeitraum bevorschussend erbrachten Leistungen zurückverlangen.
Ich verstehe den Sachverhalt so, dass die Klientin spätestens seit August 2022 nicht mehr von der Sozialhilfe finanziell unterstützt wird. Damit werden weder die Leistungen der IV (ab Mai 2024) noch die Leistungen der EL (ab September 2022) für denselben Zeitraum ausgerichtet, wie Sozialhilfeleistungen ausgerichtet wurden. Sie können deshalb nicht gestützt auf § 12 Abs. 1 SPG AG zurückverlangt bzw. verrechnet werden. Welchen Zeitraum die zurückerstatteten Leistungen der Krankenkasse betreffen, schreiben Sie nicht. Sollten sie Rechnungen betreffen, die während der Unterstützung eingegangen sind, dürfen sie gestützt auf § 12 SPG AG bzw. Kapitel 7.3.3 Handbuch Soziales verrechnet werden ansonsten nicht.
Offenbar sieht aber – wie in der Antwort auf die Frage vom 6. Mai 2025 ausgeführt – Ziff. 20.1 des Handbuchs Soziales vor, dass bei Leistungen Dritter eine Rückerstattung auf Grundlage von § 20 SPG AG zulässig, d.h. bei Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse infolge vorhandenem Vermögen oder (möglicher) Vermögensbildung (§ 20 Abs. 1 SPV AG). Damit wären die IV- und EL-Nachzahlungen und die Krankenkassenrückerstattungen rückerstattungspflichtig, wenn sie den Freibetrag für die Unterstützungseinheit übersteigen. Ich gehe davon aus, dass Frau X. als Einzelperson unterstützt wurde. Damit wäre Frau X. lediglich ein Freibetrag von Fr. 5'000.-- der gesamten Nachzahlung (IV, EL und Krankenkasse) zu belassen (§ 20 Abs. 2 SPV AG). Der Rest dürfte gestützt auf § 20 SPG AG zurückgefordert werden.
Indessen bestehen zwischen Ziffer 20.1 Handbuch Sozialhilfe und den SKOS-RL, welche im Kanton Aargau verbindlich sind, Widersprüchlichkeiten. Die SKOS-RL erachten in diesen Fällen eine Rückerstattung aufgrund von Vermögensbildung nicht als zulässig (siehe erneut die Antwort auf die Frage vom 6. Mai). Ich empfehle Ihnen deshalb, diese Frage dem Kantonalen Sozialdienst zu unterbreiten, der für das Handbuch zuständig ist.
Ich hoffe, Ihre Fragen damit beantwortet zu haben.