Grüezi Herr Mösch
Ich habe bei Ihnen den Fachkurs Sozialversicherungsrecht besucht. Ich glaube mich wage daran erinnern zu können, dass Sie gesagt haben, dass man sich bei Fragen an Sie wenden darf. J Ich hoffe, dass stimmt so.
Ich wäre sehr froh um Ihre Einschätzung oder bereits gemachten Erfahrungen zu folgendem Thema:
Gemäss Medienmitteilung vom Juni wird ja die anrechenbare Heimtaxe bei der EL, rückwirkend per 01.01.20, von CHF 141.- auf CHF 179.- erhöht. Gemäss heutigem Telefon mit der Ausgleichskasse gibt es folgende 3 Fälle:
1. Fall: Bei Personen, für welche bereits EL ausgerichtet wird, wird die EL automatisch neu berechnet und wir werden automatisch eine neue Verfügung erhalten.
2. Fall: Bei Personen, bei denen wir anfangs Jahr eine Anmeldung gemacht haben, der Anspruch aber abgelehnt wurde, sollte auch automatisch eine Neuberechnung erfolgen. Gemäss Tel. mit der Ausgleichskasse sollen wir diese aber gut im Auge behalten und uns melden, falls wir keine neue Verfügung erhalten. Sie müssen diese rückwirkend per 01.01.2020 anpassen.
3. Fall: Bei Klienten, bei denen wir aufgrund von Mehreinnahmen anfangs Jahr keine Anmeldung eingereicht haben, jetzt mit der höheren Heimtaxe aber Anspruch hätten, sei die Ausgleichskasse nicht verpflichtet diese rückwirkend zu berechnen. Wir hätten in diesen Fällen proaktiv eine Anmeldung einreichen müssen, damit es jetzt zu einer Neuberechnung geführt hätte.
Wir machen anfangs Jahr jeweils eine interne Berechnung anhand einer Excel-Vorlage. Ist deutlich zu erkennen, dass kein Anspruch auf EL besteht, reichen wir keine Anmeldung ein. Da die Taxe nun aber deutlich höher ist und dies jährlich zu CHF 13‘870.- mehr Ausgaben führen kann, ist es möglich, dass Klienten nun Anspruch auf EL hätten, für welche wir anfangs Jahr keine Anmeldung gemacht haben. Die Ausgleichskasse meint jetzt, dass diese Erhöhung der Taxe ja schon länger Thema sei und wir so anfangs Jahr proaktiv hätten handeln können. Das kann ich nachvollziehen, dass hätten wir machen können/müssen.
Ich bin mir aber trotzdem unsicher, ob die Ausgleichskasse die Berechnungen in solchen Fällen doch nicht auch rückwirkend per 01.01.2020 berechnen müssten. Dürfen Sie EL-Anmeldungen, welche wir erst jetzt eingereicht haben, erst ab Meldemonat berechnen oder können wir Einsprache auf solche Verfügungen erheben? Oder ist eine solche Einsprache aussichtslos?
Vielen herzlichen Dank für Ihre kurze Einschätzung dazu.
Frage beantwortet am
Daniel Schilliger
Expert*in Sozialversicherungsrecht
Guten Tag
Der Anspruch auf eine jährliche Ergänzungsleistung besteht ab Beginn des Monats, in dem die Anmeldung eingereicht worden ist, sofern sämtliche gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Wird die Anmeldung innert sechs Monaten nach einem Heim- oder Spitaleintritt eingereicht, so besteht der Anspruch ab Beginn des Monats des Heim- oder Spitaleintritts, sofern sämtliche gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind (Art. 12 ELG).
Nachzahlungen sind in Art. 22 ELV vorgesehen für den Fall, dass eine IV- oder AHV-Rente rückwirkend zugesprochen wird. Für den von Ihnen geschilderten Fall fehlt eine explizite Regelung. Bei einer engen Auslegung können dementsprechend keine Leistungen für den Zeitraum vor der Anmeldung ausgerichtet werden.
Das ist im Ergebnis aber unbefriedigend und es stellt sich die Frage, ob andere Regelungen analog herangezogen werden können.
Man könnte die von Ihnen geschilderte Situation analog zum «Heimeintritt» anschauen. Denn diese Regelung hat den Hintergrund, dass in vielen Fällen ein Heimeintritt neu einen EL- Anspruch auslöst, weshalb hier rückwirkende Zahlungen gewährt werden, wenn die EL-Anmeldung innerhalb von 6 Monaten nach Eintritt erfolgt (siehe oben). Ihr Fall ist ähnlich, die Erhöhung der Heimtaxe führt neu zu einem EL-Anspruch.
Die Wegleitung zu den Ergänzungsleistungen (WEL) enthält eine Regelung, die in eine ähnliche Richtung geht: Wird eine Heimtaxe rückwirkend angepasst, ist die EL auf diesen Zeitpunkt hin neu zu berechnen und auszurichten. Dies gilt insbesondere bei der rückwirkenden Erhöhung der Heimtaxe, sofern diese durch die EL-beziehende Person oder ihre Vertretung innerhalb von sechs Monaten, seit sie davon Kenntnis nahm oder nehmen konnte, gemeldet wird (WEL 3320.03).
Diese Regelung scheint sich zwar auf EL-Bezüger zu beziehen, lässt sich aber gut auch auf Neuanmeldungen anwenden, in dem explizit steht: auf diesen Zeitpunkt hin neu zu berechnen und (neu) auszurichten.
Man könnte zudem geltend machen, dass eine damalige Anmeldung abgewiesen worden wäre. Die nun rückwirkende Änderung der Heimtaxe wäre ein Rückkommensgrund im Sinne einer prozessualen Revision. Denn gemäss Art. 53 Abs. 1 ATSG müssen formell rechtskräftige Verfügungen in Revision gezogen werden, wenn die versicherte Person oder der Versicherungsträger nach deren Erlass erhebliche neue Tatsachen entdeckt oder Beweismittel auffindet, deren Beibringung zuvor nicht möglich war. Die rückwirkende Erhöhung der Heimtaxe ist eine neue Tatsache, die damals nicht bekannt war.
Schliesslich stellt sich die Frage der Beratungspflicht gemäss Art. 27 ATSG. Wenn damals die Ausgleichskasse oder AHV-Zweigstelle auf eine Frage hin von einer Anmeldung abgeraten haben und dadurch nun der Schaden entstanden ist, müsste der Staat allenfalls haften. Das gilt nicht nur bei Falschauskünften, sondern auch bei unterlassener Beratung, wo sich aufgrund der Umstände eine Beratung aufgedrängt hätte.
Zusammenfassend empfehle ich hier hartnäckig zu bleiben und, da es sich wohl um einige Fälle handelt, mit der EL-Behörde bzw. der Ausgleichskasse auf höherer Ebene – vor allem auch für künftige Fälle - eine Lösung zu suchen, falls der Rechtsweg nicht mehr möglich ist.
Freundlicher Gruss
Daniel Schilliger