Guten Tag
Ausgangslage:
·Frau S. bezieht seit dem 11.09.2009 Sozialhilfe.
·Am 23.10.2023 wurde ihr eine 3/4-IV-Rente (60%) rückwirkend ab dem 01.07.2021 zugesprochen.
·Mit Verfügung vom 16.10.2024 hat die EL-Stelle entschieden, dass ab dem 01.06.2022 das Freizügigkeitskonto (CHF 99'540) sowie die Säule 3a (CHF 31'175) als Vermögen angerechnet werden, da diese ab diesem Zeitpunkt verfügbar waren (fünf Jahre vor der Pension). (Kapitalsteuer bereits abgerechnet)
·Aufgrund des Vermögensüberschusses wurde die EL per 31.05.2022 eingestellt.
Situation:
·Eine Verrechnung der IV-Rente mit den gewährten EL-Leistungen hat bereits stattgefunden. Dennoch ergibt sich eine offene Schuld bei der Sozialhilfe in Höhe von CHF 26'001 (Betrag ohne Gewähr).
Kernfrage:
·Kann die Sozialhilfe rückwirkend ab dem 01.06.2022 zurückgefordert werden, da Frau S. ab diesem Zeitpunkt über Vermögen (FZK und Säule 3a) verfügte und theoretisch in der Lage gewesen wäre, ihren Lebensunterhalt selbst zu bestreiten?
·Beim Bezug würden Kapitalsteuern anfallen, die bei der Berechnung des Vermögens für die EL in Abzug gebracht werden. Nur wenn sie diese Gelder bezieht und die Kapitalsteuer in Abzug gebracht wird, kann der EL-Anspruch neu geprüft werden. Kann die Klientin gezwungen werden, das FZK zu beziehen (da keine ganze Rente)? Sollte es nicht möglich sein, kann die Sozialhilfe trotzdem eingestellt werden?
·Eintrittsschwelle (CHF 100'000) sinkt, hätte Frau S. potenziell wieder Anspruch auf Ergänzungsleistungen.
Anfrage:
Wie beurteilen Sie die Möglichkeit der Rückforderung der Sozialhilfe ab dem 01.06.2022 im Kontext der rückwirkenden IV-Rente und der anrechenbaren Vermögenswerte? Gibt es rechtliche oder praktische Aspekte, die in diesem Fall zusätzlich zu beachten werden müssen?
Wie wäre die rechtliche Situtation, wenn nur ein FZK von über CHF 100'000 vorhanden gewesen wäre?
Danke für Ihre Rückmeldung.
Frage beantwortet am
Anja Loosli
Expert*in Sozialhilferecht
Guten Tag
Ich bedanke mich für Ihre Frage, die ich gerne folgendermassen beantworte:
Ich bin mir aufgrund der Ausführungen nicht ganz sicher, ob ich den Sachverhalt richtig verstanden habe. Ich halte deshalb fest, von welchem Sachverhalt ich bei der Beantwortung Ihrer Fragen ausgehe:
Eine Klientin bezieht seit 11.9.2009 – also seit 15 Jahren – Sozialhilfe. Aktuell bezieht sie nach wie vor Sozialhilfeleistungen. Im Oktober 2023 hat die IV rückwirkend ab 1.7.2021 eine ¾ IV-Rente zugesprochen. Ergänzend zu der IV-Rente hat die EL rückwirkend Ergänzungsleistungen zugesprochen. Allerdings hat die EL nur bis 31.5.2022 Ergänzungsleistungen zugesprochen, weil sie ab 1.6.2022 aufgrund des Alters der Klientin (5 Jahre vor ordentlichem Pensionsalter) sowohl das nicht ausgelöste Freizügigkeitsguthaben wie auch die nicht ausgelöste Säule 3a als Vermögen anrechnet. Damit liegt das Vermögen der Klientin über dem Vermögensfreibetrag der EL und sie hat ab 1.6.2022 keinen Anspruch mehr auf Ergänzungsleistungen. Die IV-Rente wird nach wie vor bezahlt. Die rückwirkend ausbezahlte IV-Rente und die rückwirkend ausbezahlten Ergänzungsleistungen wurden mit dem bevorschussend -also zeitlich übereinstimmend - erbrachten Leistungen der Sozialhilfe verrechnet. Die IV-Rente alleine reicht nicht aus, um die Klientin ablösen zu können. Sie wird deshalb nach wie vor von der Sozialhilfe finanziell unterstützt.
Bevor ich gestützt auf diesen Sachverhalt Ihre Fragen beantworte, stellt sich für mich di Frage, ob die EL nicht bezogene bzw. ausbezahlte Freizügigkeitsleistungen und Guthaben der Säule 3a als Vermögen berücksichtigen darf. Diese Frage ist zu bejahen (Art. 9a ELG, RZ 3442.02 und 3442.03 der Wegleitung über die Ergänzungsleistungen zur AHV und IV), weshalb ich nun gerne auf die von Ihnen gestellten Fragen eingehe:
1. Kann von der Klientin verlangt werden, dass sie das Freizügigkeitsguthaben und die Säule 3a bezieht und kann sie damit abgelöst werden?
Die SKOS hält in ihrem Merkblatt «Umgang mit Freizügigkeitsguthaben in der Sozialhilfe» fest, dass bei nicht ausbezahlten Freizügigkeitsguthaben der Vorsorgeschutz grundsätzlich bis zum Eintritt des Vorsorgefalls (AHV-Vorbezugsalter oder ganze IV Rente) dem Subsidiaritätsprinzip vor geht. Die SKOS empfiehlt deshalb, dass der Bezug des Freizügigkeitsguthabens und des Guthabens der Säule 3a bei Männern bis zum vollendeten 63. Altersjahr und bei Frauen bis zum vollendeten 62. Altersjahr (das AHV Alter der Frauen wird ab 2025 schrittweise erhöht und damit auch das Vorbezugsalter) oder bis zum Bezug einer ganzen IV-Rente nicht verlangt werden kann. Im Sozialhilfehandbuch des Kantons Solothurn steht im Kapitel «Vorbezug Altersvorsorge» ebenfalls, dass die Auslösung von Freizügigkeitsleistungen BVG und aus der privaten Vorsorge in der Regel erst auf den Zeitpunkt des AHV-Vorbezugs oder mit dem Anspruch auf eine ganze Rente der Invalidenversicherung zu verlangen sind. Detailliertere Ausführungen finden sich im Kapitel «Freizügigkeitsguten und private gebundene Vorsorge». Ergänzend wird dort auf die neueste bundesgerichtliche Rechtsprechung verwiesen, gemäss der der Bezug des Freizügigkeitsguthabens vor Erreichen des AHV-Vorbezugsalters verlangt werden kann, wenn damit der Lebensunterhalt bis zum Vorgezugsalter finanziert werden kann.
Da Frauen im Jahr 2022 noch mit 64 Jahren pensioniert wurden, verstehe ich den Sachverhalt so, dass die Klientin im Juni 2022 59 Jahre alt geworden ist. Dann wäre sie jetzt 61 Jahre als und das AHV-Vorbezugsalter wäre noch nicht erreicht.
Sie können nun der Empfehlung der SKOS folgen. Dann gilt Folgendes:
Ist die Klientin aktuell noch nicht im AHV-Vorbezugsalter, kann von ihr weder verlangt werden, dass sie das Freizügigkeitsguthaben noch das Guthaben der Säule 3a bezieht, da sie keine ganze IV-Rente hat. Sobald sie das AHV-Vorbezugsalter erreicht, kann von ihr der Bezug des Freizügigkeitsguthabens und der Säule 3a verlangt und sie kann abgelöst werden.
Folgen Sie der Empfehlung der SKOS nicht (was im Kanton Solothurn offenbar zulässig ist), so können Sie berechnen, ob das Freizügigkeitsguthaben und das Guthaben der Säule 3a ausreichen würden, um den Lebensunterhalt bis zum AHV-Vorbezugsalter zu finanzieren. Bejahen Sie dies, können Sie den Bezug des Freizügigkeitsguthabens und des Guthabens der Säule 3a verlangen und die Klientin ablösen.
Welchen Weg Sie wählen, liegt meiner Ansicht nach in Ihrer Entscheidung.
2. Wenn von der Klientin nicht verlangt werden kann, dass sie sich das Freizügigkeitsguthaben und die Säule 3a ausbezahlen lässt, kann sie trotzdem abgelöst werden?
Wenn von der Klientin der Bezug des Freizügigkeitsguthabens und des Guthabens der Säule 3a nicht verlangt werden dürfen, darf ihr dieses Geld nicht als flüssiges Vermögen angerechnet werden. In diesem Fall kann die Klientin nicht abgelöst werden, wenn die IV-Rente nicht ausreicht, um ihren Lebensunterhalt zu finanzieren.
3. Können die Unterstützungsleistungen ab 1.6.2022 zurückverlangt werden?
Ich verstehe den Sachverhalt so, dass die IV-Rente ab 1.6.2022 bereits verrechnet wurde und gehe deshalb davon aus, dass Sie nach der Rückerstattung gestützt auf das Freizügigkeitsguthaben und das Guthaben der Säule 3a fragen.
Die SKOS empfiehlt im oben genannten Merkblatt, dass über eine Rückerstattung erst im Zeitpunkt der Auszahlung nachzudenken sei. Sie sei aber auch dann nicht angebracht, da der Vorsorgefall Alter bzw. Invalidität eingetreten ist. Ansonsten würde der Zweck der 2. und 3. Säule im Vorsorgesystem (finanzielle Absicherung im Alter bzw. ab Ein tritt einer vollen Invalidität) missachtet. Allerdings könnten die Unterstützungsleistungen, die zwischen Eintritt des Vorsorgefalles (AHV Vorbezug bzw. Zusprache einer ganzen Invalidenrente) und der Auszahlung des Freizügigkeitsguthabens vorschussweise ausgerichteten worden seien, zurück verlangt werden. Dieselbe Lösung ist im Kapitel «Freizügigkeitsguthaben und private gebundene Vorsorge» des Sozialhilfehandbuchs des Kantons Solothurn vorgesehen.
Dies bedeutet, dass Sie die Unterstützungsleistungen ab 1.6.2022 aufgrund des Freizügigkeitsguthabens und des Guthabens der Säule 3a nicht grundsätzlich zurückverlangen können. Erst ab dem Zeitpunkt des Eintritts des AHV-Vorbezugsalters können allfällige von der Sozialhilfe erbrachten Leistungen zurückverlangt werden, sobald die Guthaben ausbezahlt sind.
4. Wie wäre die rechtliche Situation, wenn lediglich ein Freizügigkeitskonto vorhanden wäre?
Sozialhilferechtlich wäre die Situation gleich. Allerdings würde – wenn kein anderes Vermögen vorhanden ist – der Vermögensgrenzwert für die Ergänzungsleistungen nicht überschritten (unter Fr. 100'000.--), weshalb wohl ein Anspruch auf Ergänzungsleistungen bestehen würde.
Ich hoffe, Ihnen mit meiner Antwort helfen zu können.
Freundliche Grüsse