Guten Tag
Ich begleite einen Klienten, der eine AHV-Rente und Ergänzungsleistungen bezieht. Herr A. und seine Frau sind seit 2010 gerichtlich getrennt. Aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen von Herrn A. ist seine Frau am 20.10.2019 wieder bei Herrn A. eingezogen. Sie übernimmt die Pflege von Herrn A. und unterstützt ihn bei Verrichtungen im Alltag. Eine Anmeldung für Hilflosenentschädigung bestätigt eine mittlere Hilflosigkeit. Die Hilflosenentschädigung wurde (rückwirkend) per 1.12.2020 verfügt.
Herr A. hat den Einzug seiner Frau verspätet gemeldet. Im Februar 21 erhielt er eine Verfügung mit Rückforderung von 3'900.-. Seine Frau wurde als Mitbewohnerin gerechnet, beim rückgeforderten Betrag handelt es sich um die Hälfte der Miete. Bei einer Nachfrage bei der Sozialversicherungsstelle wurde uns per Mail mitgeteilt, dass der Zivilstand «gerichtlich getrennt» analog Steueramt und Gemeinde berücksichtigt wird. Den Rückforderungsbetrag hat Herr A. in Raten an die Sozialversicherungsstelle zurückbezahlt.
Im Mai 2022 wurden von Herrn A. und seiner Frau Unterlagen nachgefordert. Es wurde auf die Randziffer 3132.01 der Wegleitung über die Ergänzungsleistungen hingewiesen entgegen der vorangegangenen Bestätigung:
- Bei Ehepaaren, die nicht getrennt leben, werden die anrechenbaren Einnahmen und anerkannten Ausgaben beider Ehegatten zusammengezählt und die Differenz davon gebildet. Dies gilt auch, wenn ein Ehepaar, das gerichtlich getrennt ist, weiterhin zusammenlebt.
Herr A. und Frau D. haben die gewünschten Unterlagen vollständig eingereicht.
Am 12. August 2022 erhielt Herr A. eine Verfügung der EL mit Rückforderung der Ergänzungsleistungen seit 1.10.2019. Herr A. muss Fr. 20'000.- zu Unrecht bezogene Ergänzungsleistungen zurückzahlen. Im Rückforderungsbetrag wurde die noch nicht ausbezahlte Hilflosenentschädigung verrechnet.
Zur Finanziellen Situation von Frau D.:
Frau D. hat bis Januar 21 gearbeitet und liess sich beim Arbeitgeber frühpensionieren. Ab Feb. 21 erhielt sie eine Überbrückungsrente vom Arbeitgeber, die höher war als der Lohn. Seit Feb. 22 erhält Frau D. eine AHV- und eine PK-Rente. Frau D. hat in ihrem Heimatland in Kosovo eine Wohnung gekauft und geplant nach der Pensionierung auszuwandern. Da Herr A. sonst niemanden hat, wollte Frau D. ihn nicht alleine lassen.
Bei der neu verfügten Ehepaarberechnung ist jeweils der Anspruch auf Prämienverbilligung gegeben. Nur im Jahr mit der Überbrückungsrente waren die Einnahmen höher und der Anspruch auf Prämienverbilligung verfällt. Für das Jahr 2022 besteht gemäss neuer Berechnung ein Anspruch auf Prämienverbilligung von 782.- pro Monat.
Meine Fragen:
- Können die Ergänzungsleistungen drei Jahre rückwirkend zurückgefordert werden? Und dies obwohl bereits eine Neuprüfung mit Rückforderung gemacht wurde? Müsste der Klient nicht im guten Glauben davon ausgehen können, dass die Ergänzungsleistungen bei einer Überprüfung korrekt berechnet sind und ihm das Geld zusteht und nicht zu Unrecht bezogen ist?
- Kann aufgrund der finanziellen Situation von Herrn A. und Frau D. die Rückzahlung eine grosse Härte bedeuten?
- Kann die Hilflosenentschädigung einfach mit der Rückforderung verrechnet werden?
Vielen Dank für Ihre Rückmeldung und evtl. Empfehlung zum weiteren Vorgehen.
Freundliche Grüsse
Frage beantwortet am
Peter Mösch Payot
Expert*in Sozialversicherungsrecht
Guten Tag. Gerne beantworte ich Ihre Fragen:
a) Für Rückerstattungen gilt Art. 25 ATSG:
Abs. 1: Unrechtmässig bezogene Leistungen sind zurückzuerstatten. Wer Leistungen in gutem Glauben empfangen hat, muss sie nicht zurückerstatten, wenn eine grosse Härte vorliegt.
Abs. 2: Der Rückforderungsanspruch erlischt drei Jahre, nachdem die Versicherungseinrichtung davon Kenntnis erhalten hat, spätestens aber fünf Jahre seit der Auszahlung der einzelnen Leistung.Wird der Rückerstattungsanspruch aus einer strafbaren Handlung hergeleitet, für welche das Strafrecht eine längere Verjährungsfrist vorsieht, so ist diese Frist massgebend.
Vor diesem Hintergrund ist im vorliegenden Fall davon auszugehen, dass der Rückerstattungsanspruch noch nicht verwirkt ist.
b) Eine Rückerstattung ist natürlich nur möglich, wenn die erfolgte EL-Leistung nicht den rechtlichen Grundlagen entsprach und entsprechend zu hoch ausfiel. Die Ausführungen im Sachverhalt zur Frage, ob und inwieweit bei getrennten Ehepaaren, die faktisch wieder zusammenleben, die EL berechnet wird, sind korrekt. Selbstverständlich ist aber auf der Basis der konkreten Akten genau zu prüfen, ob der behauptete Betrag der rückerstattungsfähigen EL richtig berechnet wurde.
c) Es kann aber hier sein, dass die Betroffenen gutgläubig war enund die Rückerstattung zu einer grossen Härte nach Art. 25 ATSG geführt hat, welche einer Rückerstattung eigentlich entgegenstand.
Insoweit sollte gegen den Rückerstattungsentscheid ein Erlassgesuch geprüft werden. Dafür müssen die Leistungen gutgläubig empfangen werden und zusätzlich muss eine grosse Härte vorliegen.
Vorliegend bestehen einige Chancen, dass von Gutgläubigkeit ausgegangen werden kann. Eine eigentliche Meldepflichtverletzung ist nicht unmittelbar ersichtlich. Und es kann insoweit die bereits erfolgte Überprüfung, die zu einer ersten Rückforderung führte, ohne dass dabei die Berechnungseinheit (beide Ehegatten zusammen) in Frage stand, erwähnt werden.
Wird eine EL zu Unrecht ausgerichtet und kann die EL beziehende Person bei der Aufmerksamkeit, wie sie ihr nach den Umständen und der Lage des gegebenen Falles zugemutet werden darf, dieses Unrecht nicht erkennen, liegt der gute Glaube vor (vgl. WEL (Stand 1.1.2022), Rz. 4652.01). Es liegt hier gewisses Ermessen für die EL-Stelle vor. Ich sehe aber Chancen, dass in einem Fall wie vorliegend die Gutgläubigkeit anerkannt würde.
Massgeblich ist im Weiteren die grosse Härte, welche die Rückforderung mit sich bringen würde. Als Zeitpunkt ist insoweit bedeutsam, wann der Rückforderungsentscheid rechtskräftig wird.
Im Weiteren gilt dabei Art. 5 ATSV:
Danach wird auf eine Rückerstattung verzichtet, wenn die für die EL-Berechnung relevanten anerkannten Ausgaben plus einige Erweiterungen die anrechenbaren Einnahmen überschreiten. Steuerforderungen gehören dabei wie üblich bei den Ergänzungsleistungen nicht zu den anrechenbaren Ausgaben. (Zu den Details siehe Art. 5 ATSV).
d) Die Rückforderung von zu Unrecht ausgerichteten EL einschliesslich des Betrages für die Krankenversicherungsprämie können mit fälligen EL sowie fälligen Leistungen aufgrund des AHVG, IVG, UVG,MVG, FamZG, AVIG und BVG verrechnet werden (Art. 20 Abs. 2 lit.b ELG). Also auch Hilflosenentschädigungen.
Vor der Verrechnung ist aber an sich von Amtes wegen der Erlass der Rückforderung nach zu prüfen (vgl. WEL (Stand 1.1.2022), Rz. 4640.01). Bei einer Verrechnung mit fälligen EL darf das betreibungsrechtliche Existenzminimum nicht unterschritten werden. Eine Verrechnung ist ausserdem ausgeschlossen, wenn die Differenz zwischen dem Bruttoeinkommen und dem Existenzminimum kleiner ist als der Betrag der jährlichen EL.
Die Einhaltung dieser Regeln wäre im vorliegenden Fall zu prüfen.
e) M.E. wäre es ratsam, das entsprechende Gesuch unter Beizug der konkreten Akten mit anwaltschaftlicher Hilfe zu verfertigen. Ich rate Ihnen vom Vorgehen her, vorab mit der Ausgleichskasse auf dem informellen Wege auszuloten, ob auf die Rückerstattung ganz oder teilweise verzichtet werden könnte oder ob zumindest Stundungen mit Teilverzicht und Teilabschreibungen möglich sind. Soweit zu erwarten ist, dass die Betroffenen die entsprechenden Beträge kaum erstatten können, dürfte das gut möglich sein.
Ich hoffe, das dient Ihnen.
Prof. Peter Mösch Payot
Vielen Dank Herr Mösch für Ihre Antwort.
Eine kurze Nachfrage hätte ich noch:
Sie schreiben: "Eine eigentliche Meldepflichtverletztung ist nicht unmittelbar ersichtlich." Können Sie dies erklären? Aus meiner Sicht hätte der KL sofort mitteilen müssen, dass sich seine Wohnsituation verändert hat. Er hat dies jedoch erst im Januar 21 mitgeteilt. Auf die Mitteilung hin erhielt er im Februar 21 eine neue Berechnung als Mitbewohner (angepasste Miete).
Nach Rückfrage bei der EL-Stelle erhielt ich bereits die Auskunft, ein Erlassgesuch habe gute Chancen. Jedoch erst ab Datum der Mitteilung, dass seine Ex-Frau eingezogen ist. Da dies den Grossteil der Rückerstattung ausmacht, wäre ich froh, um eine gute Begründung, wieso trotzdem auf einen Erlass eingegangen werden soll.
Vielen Dank nochmal für die Beantwortung.
Freundliche Grüsse
Frage beantwortet am
Peter Mösch Payot
Expert*in Sozialversicherungsrecht
Guten Tag.
Ja, die Gutgläubigkeit bezieht sich aus meiner Sicht tatsächlich nur, aber immerhin, auf den Zeitraum, nachdem eine Nachfrage bei der Sozialversicherungsstelle gestellt wurde und per Mail mitgeteilt wurde, dass der Zivilstand «gerichtlich getrennt» analog Steueramt und Gemeinde berücksichtigt wird.
Immerhin ist unabhängig davon zu prüfen, ob die Rückzahlung teilweise gestundet und ev. abgeschrieben werden kann, soweit sie aufgrund der finanziellen Lage der Betroffenen uneinbringlich erscheint.
Beste Grüsse
Peter Mösch Payot