Guten Tag
Im Rahmen eines Erstantrags wirtschaftliche Sozialhilfe (Kanton NW, 2-Personen im 4-Personenhaushalt) stellt sich mir folgende Frage:
Das Ehepaar I. hat Anspruch auf Ergänzungsleistungen gemäss Art. 4 ELG. Aufgrund fehlender Mindestbeitragszeit besteht kein Anspruch auf eine IV-Rente. Die Ausgleichskasse NW zieht monatlich CHF 100.00 von den Ergänzungsleistungen ab, da noch eine Rückforderung besteht aufgrund ungemeldeter Veränderungen der Wohnverhältnisse. Da es sich dabei um eine Schuld handelt, gehe ich davon aus den in der Verfügung festgehaltenen, höheren Betrag als Einnahme anzurechnen. Dies, da es sich aus meiner Sicht um eine Schuld handelt und "die Kürzung" nicht höher als 30% des GBLs ist. Ist diese Annahme richtig oder falsch? Wie kann ich die vorliegende Konstellation ausreichend begründen?
Herzlichen Dank für Ihre Rückmeldung.
Frage beantwortet am
Anja Loosli Brendebach
Expert*in Sozialhilferecht
Sehr geehrte Frau Käslin
Vielen Dank für Ihre Frage. Ich beantworte diese gerne wie folgt:
Nach § 8 der Soialhilfeverordnung des Kantons Nidwalden (SHV, BGS 761.11) orientiert sich die Bemessung der wirtschaftlichen Hilfe im Kanton Nidwalden grundsätzlich an den SKOS-Richtlinien. In Lit. A.4 dieser ist das Gegenwärtigkeitsprinzip festgehalten, was bedeutet, dass die Sozialhilfe grundsätzlich nur den gegenwärtigen Bedarf deckt und somit keine Schulden berücksichtigt werden. Dieser Grundsatz wird präzisiert in Lit. B.1.2 und F.3.1 der SKOS-Richtlinien, wenn dort festgehalten wird, dass Alimentenverpflichtungen und Steuern nicht als Ausgaben bzw. auf der Bedarfsseite zu berücksichtigen sind.
Sie haben also insofern recht, als dass Schulden nicht auf der Aufwand-Bedarfsseite zu berücksichtigen sind.
Nun ist die Sachlage vorliegend aber anders. Die Ergänzungsleistungen verlangen nicht die Bezahlung der ihnen gegenüber bestehenden Schulden sondern verrechnen diese. Die bedürftigen Personen können somit nicht darüber entscheiden, ob sie die Schulden begleichen oder nicht. Ihnen stehen die verrechneten Fr. 100.-- vielmehr tatsächlich nicht zur Verfügung, weshalb nur der von den Ergänzungsleistungen ausbezahlte Nettobetrag als Einnahmen berücksichtigt werden darf oder mit anderen Worten: Die verrechneten Fr. 100.-- dürfen vorerst nicht zu den Einnahmen hinzugerechnet werden.
Damit ist das Problem aber noch nicht gelöst. Denn in der Wegleitung über die Ergänzungsleistungen zur AHV und IV (WEL) steht unter Randziffer 4640.20, dass bei einer Verrechnung einer Rückforderung (und dies muss auch für alle anderen Schulden gegenüber den Ergänzungsleistungen gelten) nicht ins betreibungsrechtliche Existenzminimum eingegriffen werden darf. Bei einem Ausgabenüberschuss ist nach Randziffer 4640.03 deshalb auf die Verrechnung in der Regel zu verzichten.
Da das von Ihnen unterstützte Ehepaar offenbar einen Ausgabenüberschuss hat, andernfalls wäre das Paar nicht bedürftig, greifen die Ergänzungsleistungen mit der Verrechnung in das Existenzminimum ein, was unzulässig ist.
Dies bedeutet, dass die Verfügung, mit der die Ergänzungsleistungen die Verrechnung vornimmt von den Versicherten - also dem unterstützten Ehepaar - anzufechten und der Verzicht auf die Verrechnung zu verlangen ist. Ist die Verfügung bereits in Rechtskraft erwachsen, dann kann von den Versicherten ein Wiedererwägungsgesuch gestellt werden.
Solange das Rechtsmittel- bzw. Wiedererwägungsverfahren läuft, darf die Sozialhilfe die verrechneten Fr. 100.-- nicht aufaddieren und als (fiktive) Einnahmen bzw. als nicht zu berücksichtigende Schuldentilgung behandeln. Weigert sich das unterstützte Ehepaar, gegen die Verfügung der Ergänzungsleistungen vorzugehen, kann unter vorheriger Androhung der Betrag als fiktive Einnahme aufaddiert werden (siehe Subsidiariatätsprinzip, Lit. A.4 und A.8 SKOS-Richtlinien).
Ich hoffe, Ihnen mit meiner Antwort weiterhelfen zu können.
Freundliche Grüsse
Anja Loosli Brendebach